BETRIFFT: Hindenburg-Diskussion

Ein kommunales Eigentor? Im Balinger Gemeinderat hat der Fraktionssprecher der Freien Wähler seinen Ratskollegen in pädagogischer Manier zur Anregung mit auf den Weg gegeben, bestimmte Straßenschilder aufgrund des Geschichtsmakels umzubenennen. Es ging um den ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, dessen Straßen- und Platzname in Balingen und Frommern nicht mehr passen soll.

Völlig ungeachtet der damaligen Situation, dem der greise Staatsmann vor der Machtergreifung Adolf Hitlers nicht mehr gewachsen war, bestehen hierzu kontroverse Meinungen. Gerade Hindenburg habe versucht, den ihm unbeliebten Hitler zu verhindern und verließ sich deshalb auf Politiker der Weimarer Republik. Erst das dringliche Handeln nach deren Versagen nötigte ihn zur Unterschrift.

Vorbild für die Jugend – darüber lässt sich natürlich aus heutiger Sicht diskutieren, dennoch darf man Geschichtshintergründe aber nicht "verjessen" machen.

Um wieder den Ball aufs obige "Titel-Tor" zu spielen, ist man natürlich versucht, das Leben und Wirken von Ina Seidel zu eruieren. 1885 in Halle geboren, wurde sie als deutsche Lyrikerin und Romanautorin sicherlich für ihre schriftstellerischen Werke in Balingen mit der Straßenwidmung geehrt. Dass sie im Oktober 1933 zu jenen 88 Schriftstellern gehörte, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler mit unterschrieb und sich am Führerkult um Adolf Hitler mit ihrem Gedicht "Lichtdom" beteiligte, ist genauso unsäglich wie ihre Lobeshymne zu Hitlers 50. Geburtstag. 1944 nahm Hitler Ina Seidel in die Gottbegnadeten-Liste unter die sechs wichtigsten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller auf.

Es gibt inzwischen Orte, wo man den Ina-Seidel-Weg umbenannt hat. Es stellt sich daher die Frage: Kommen Persönlichkeiten, die es angeblich in Balingen "auszumisten" gilt, nun alle als Steigbügelhalter für Adolf Hitler in Betracht? Und was geschieht beispielsweise mit der Martin-Luther-Straße in Erzingen, dessen antisemitisches Vordenken – fatalerweise – nicht bedeutungslos für die späteren Nationalsozialisten war? Wo beginnt, wo endet der Widmungscharakter? Gehören noch weitere Bezeichnungen im Raum Balingen auf den Prüfstand, um dem angeführten Kritiker als Trost für das eingangs erwähnte Eigentor wieder Recht zu geben?

Monika Koch | Balingen