In Balingen tritt am Samstag die Umweltzone in Kraft – viele Einwohner schütteln darüber den Kopf. Foto: Maier

In Balingen schütteln viele Einwohner den Kopf. Polizei kündigt Kontrollen an.

Balingen - Die Lage: einfach ein Idyll. In einer Talmulde, umgeben von Bergen der Schwäbischen Alb, jede Menge Wald und Wiesen, gute Luft. Etwas mehr als 500 Einwohner, ein Freibad, die Straße dorthin endet im Ort. Streichen liegt, wenn man so will, am Ende der Balinger Welt – und doch beginnt nun auch dort am morgigen Samstag für Autofahrer eine neue Zeitrechnung: Das gesamte Stadtgebiet von Balingen (Zollernalbkreis), damit auch Streichen, wird Umweltzone.

Es ist ein besonderer Umstand, dass die Umweltzone und damit einhergehend die Pflicht zur grünen Plakette zum 1. April in Kraft tritt, in Balingen halten viele das für einen besonders schlechten Witz. Tatsächlich hatte das Regierungspräsidium Tübingen einige argumentative Hürden zu überwinden, ehe es die unbeliebte Maßnahme Anfang März verbindlich angeordnet hat.

Unmittelbare Konsequenzen hat das zwar nur für eine recht überschaubare Zahl von Autohaltern, die ihre "alten Stinker" nun entweder umrüsten oder, schlimmer noch, abgeben müssen. Aber betroffen fühlen sich irgendwie doch alle, schließlich geht’s ums – im ländlichen Raum besonders wichtige – heilige Blechle. "So ein Mischd", lautet der Tenor der Balinger.

Grenzwerte werden nur leicht überschritten – das Regierungspräsidium aber kennt kein Pardon

Auch die Stadtverwaltung betrachtet die Umweltzone als Ärgernis – obwohl sie selbst die Schadstoffmessungen in Auftrag gegeben hatte, die deren Einführung aus Sicht des RP unvermeidbar machten. In dem vom Durchgangsverkehr auf der Bundessraße 27 besonders belasteten Stadtteil Endingen ließ die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz zunächst im Jahr 2013 die Luft überprüfen. Drei Messpunkte an der Ortdurchfahrt wurden dafür ausgewählt, Ergebnis: Mit 40, 41 und 45 Mikrogramm wurde der gesetzlich zulässige Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft zwar nur leicht, eben eben doch überschritten. Das setzte die Bürokratiemaschinerie in Tübingen in Gang.

Das RP-Referat 54.1 stellte in der Folge einen Luftreinhalteplan für Balingen auf. Ein solcher ist gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Grenzwerte überschritten werden. Im Frühsommer 2016 wurde dessen Entwurf vorgestellt – die Balinger waren entsetzt.

Im Rathaus hatte man darauf gesetzt, dass erhöhte Grenzwerte in Endingen Maßnahmen eben nur in Endingen notwendig machen würden. Am besten, so wurde spekuliert, würden die Messergebnisse den Bau der seit Jahrzehnten geforderten Ortsumfahrung beschleunigen. Aber denkste. Die RP-Leute nahmen ganz Balingen ins Visier – bis ins letzte Eck, bis in so abgelegene Stadtteile wie Streichen.

Die Folge: Einwände, Proteste, sogar die Drohung einer Klage. Von "Unverhältnismäßigkeit" war die Rede. Das RP gab daraufhin neuerliche Messungen zu Beginn des Jahres 2017 in Auftrag – ausgerechnet in den Wintermonaten Januar bis März, während denen, aufgrund der kälteren Temperaturen, die Schadstoffe sich nicht so schnell verziehen. Doppelt blöd dann auch, dass es im Januar besonders kalt war und ausgedehnte Inversionswetterlagen die Witterung bestimmten. Ergebnis der Messungen bis Februar: Die Stickstoffdioxidwerte, nicht nur in Endingen, sondern auch an zwei Messstellen in der Balinger Innenstadt, lagen über jenen des Jahres 2013.

Der "Mischd" – unabwendbar. Und beschlossene Sache. Dies, obwohl die neuesten Messwerte aus dem Monat März, als es wieder wärmer wurde, zum Teil deutlich unter dem Grenzwert liegen.

Balingen wird damit nun zur 26. "grünen" Umweltzone in Baden-Württemberg. Die Farbe der dann notwendigen Plakette nehmen viele zum Anlass, auf die ihrer Meinung nach schuldigen Politiker zu schimpfen: Ohne die Grünen hätte es den Mist angeblich niemals gegeben. Übersehen wird dabei indes oft, dass nicht die Grünen in Baden-Württemberg, sondern das EU-Parlament in Brüssel die Entscheidung über die Grenzwerte für Stickstoffdioxid getroffen hat, in deren Folge Umweltzonen in vielen europäischen Städten ausgewiesen wurden.

Hinweisschilder sind weiträumig angebracht, und die Polizei kündigt Kontrollen an

Ebenso gerät der eigentliche Hintergrund gerne in Vergessenheit: Erhöhte Luftschadstoffe gefährden schlichtweg die Gesundheit. Autoabgase haben daran einen ganz erheblichen Anteil. Doch anstatt über mögliche Gefährdungen durch zu viele Abgase zu reden, die im Alltag ohnehin oft kaum wahrgenommen werden, spekulieren viele lieber darüber, dass Umweltzonen im Grunde ein staatliches Konjunkturprogramm für die Autoindustrie seien.

Ganz grundsätzlich zweifeln derweil auch viele daran, wie wirksam die grüne Umweltzone für Balingen tatsächlich ist. Bringt es etwas, eine überschaubare Zahl an "alten Stinkern" aus dem Verkehr zu ziehen, während für deutlich schlimmere Abgasschleudern wie Baumaschinen Ausnahmen gelten?

Gleichwohl tritt das Verbot für Fahrzeuge ohne grüne Plakette nun in Kraft. Es gilt für das gesamte Stadtgebiet, und damit auch für alle, die hindurchdüsen – etwa auf den Bundesstraßen 27 und 463. Die Straßenmeisterei hat weiträumig die entsprechenden Hinweisschilder angebracht. Wer innerhalb der Umweltzone ohne gültige Plakette erwischt wird, muss ein Bußgeld bezahlen. Zumindest in der Anfangszeit dürfen Plakettensünder wohl mit einer gewissen Schonfrist rechnen, ehe der Balinger Vollzugsdienst sowie die Polizei, die bereits Schwerpunktkontrollen angekündigt hat, so richtig ernst machen.