Die Stadtkirche auf der Weltkugel, das Familienwappen, von dem Strahlen ausgehen, dazu die Namen der Produkte des Balinger Traditionsunternehmens Seeger: Matthias Bartl (links) hat im Auftrag von Hubertus Fies ein etwas anderes Firmenporträt gestaltet. Foto: Maier Foto: Schwarzwälder-Bote

Kunst: Wie Matthias Bartl im Auftrag des Balinger Unternehmens Seeger kreativ tätig wurde

Von Steffen Maier

Balingen. Hubertus Fies musste in den vergangenen Wochen viele Anrufer beruhigen. Da sitze ein junger Mann an den Toren und der Wand der Firma Seeger in Balingen, hieß es oft, hantiere mit Sprühdosen und bringe ein Graffiti an. Die Standardantwort von Fies, Geschäftsführer von Seeger: "Der darf das, der soll das sogar."

Der Mann, der da zugange war, ist Matthias Bartl. Er war im Auftrag von Hubertus Fies und der Firma Seeger tätig: Zum Geburtstag des Unternehmens, das seit 135 Jahren Wasch- und Reinigungsmittel herstellt und dieses Jubiläum am Samstag, 4. Juni, mit einem Tag der offenen Tür von 10 bis 14 Uhr feiert, brachte er Farbe und frischen Wind an dessen Wände. Eine Art Porträt der Firma Seeger hatte Fies bei Bartl in Auftrag gegeben, herausgekommen ist ein Beispiel dafür, wie Street-Art abseits der oft illegalen Sprühereien eine Bereicherung des öffentlichen Raums sein kann.

Auf die Idee kam Seeger-Chef Fies, als er in Balingen auf die an vielen Stellen kreativ-künstlerisch gestalteten Stromkästen sah. Wer das denn mache, habe er Oberbürgermeister Helmut Reitemann am Rande eines Firmenbesuchs gefragt. So kam der Kontakt zu Matze Bartl zustande, der gemeinsam mit Michl Brenner das Stromkasten-Projekt seit dem vergangenen Jahr künstlerisch betreut. Nach einem ersten Gespräch sei man sich schnell einig gewesen, dass Bartl die Seeger-Wände in Angriff nehmen solle.

Schnell war die Arbeit indes nicht erledigt. Mehrere Wochen stöberte Bartl zunächst im Archiv des Unternehmens, das an der Hindenburg- und an der Schickhardtstraße in Balingen zwar schon lange beheimatet ist, das Außenstehenden gegenüber aber eher verschlossen blieb. Die Bartl’schen Werke sollen, so sagt es Fies, auch ein Zeichen dafür sein, dass das Unternehmen offener geworden sei.

135 Jahre – wie setzt man das kreativ um? Bartl machte sich ans Werk. Nach der Sichtung im Archiv sei er beeindruckt gewesen von der langen Geschichte des Unternehmens ("ein Balinger Dinosaurier"), von den Persönlichkeiten und der Beständigkeit der Familie Seeger, die die Firma all die Zeit durch zwei Weltkriege und zahlreiche Krisen geführt haben. In seinem Atelier schnitt er über Wochen die Schablonen zu, mit denen er dann nach und nach die Motive gestaltete.

Deutlich wird in der Arbeit an den Seeger-Wänden der Respekt Bartls: Eingearbeitet ist das Familienwappen der Seegers, davon gehen "Strahlen der Beständigkeit" aus, wie es Bartl nennt. Die Gründerfamilie wird symbolisch als "Käpt’n Seeger" dargestellt, als Steuermann, der das Firmenschiff führt. Das Gründungsjahr – 1881 – ist rot hervorgehoben; prominent vertreten ist auch der Turm der Balinger Stadtkirche, der auf der Weltkugel thront – dies als Zeichen der Verbundenheit des Unternehmens mit Balingen und als ironische Anspielung: Balingen, das Zentrum der Welt!

Graffiti-Kunst – geht doch auch legal!

Hubertus Fies, der das Balinger Traditionsunternehmen Anfang 2013 gekauft hat, ist vom Ergebnis beeindruckt, findet das Werk "sehr gelungen", wie er sagt. Die Bilder von Matze Bartl hätten neben dem künstlerischen Wert und außer als Zeichen dafür, dass die Firma sich öffnen wolle, auch einen ganz konkreten praktischen Nutzen: Dadurch, dass die großen Einfahrtstore an der Hindenburgstraße nun klar mit Seeger in Verbindung stehen, würden künftig wohl weniger Lastwagenfahrer, die eigentlich zum benachbarten Schlachthof wollen, dort Einlass begehren.

Für Matze Bartl war es indes mehr als Auftragsarbeit. Er sieht das Seeger-Werk als Beweis dafür, dass man auch legal Graffiti-Kunst betreiben kann. Vor diesem Hintergrund regt er immer wieder an, dass Hauseigentümer ihre Wände gerne zur Verfügung stellen können.

Das beste Beispiel dafür, dass so buchstäblich etwas Großes entstehen könne, sei in Balingen das Unternehmen Rewe, so Bartl: Früher habe Rewe in Balingen die meisten Anzeigen wegen illegalen Sprühereien erstattet – bis zu dem Zeitpunkt, als es die Rückwand des City Centers den Künstlern für ihre Kreativität zur Verfügung gestellt habe. Heute sei diese Wand, zur Bahnlinie hin gelegen, ein echter Hingucker – und die Zahl der Anzeigen sei auf praktisch null zurückgegangen.