Christina Reichle Foto: Maier

Kristina Reichle geht nach 15 Jahren in Balingen nach Flözlingen im Landkreis Rottweil.

Balingen - Die evangelische Stadtkirchengemeinde in Balingen braucht einen neuen Pfarrer – und das ziemlich schnell: Kristina Reichle wechselt zum 1. Dezember zur Gemeinde Flözlingen-Zimmern in den Landkreis Rottweil. Der dortige Kirchengemeinderat wählte Reichle am Mittwochabend zur neuen Pfarrerin.

Damit ist offiziell, was in der Balinger Stadtkirchengemeinde seit Tagen ein offenes Geheimnis war. Ende Oktober hatte Reichle ihren bevorstehenden Abschied nach Flözlingen im Kirchengemeinderat angekündigt; für die dortige Pfarrerstelle war sie die einzige Bewerberin. Während in der Gemeinde Flözlingen-Zimmern die pfarrerlose Zeit endet, steht sie in Balingen nun bevor.

Den Abschied aus Balingen beschreibt Kristina Reichle im Gespräch mit unserer Zeitung als "bewussten Schritt": Sie wolle angesichts ihres Alters – 56 – einen Gang runterschalten. Es falle ihr zunehmend schwerer, das Arbeitstempo zu halten, das ihr in Balingen abverlangt worden sei, das sie sich aber auch selbst abverlangt habe. Neben ihrem eigentlichen Job als Pfarrerin und den vielen damit verbundenen Aufgaben, etwa der Betreuung von drei Kindergärten und den damit verbundenen organisatorischen und bürokratischen Arbeiten, war Reichle in Balingen stark engagiert, etwa im Tafelladen und für den Mittagstisch der Gemeinde.

Als Pfarrerin der Stadtkirchengemeinde war Kristine Reichle zudem Ansprechpartnerin für die Stadtverwaltung, aktuell etwa bei der Gestaltung des Hinteren Kirchplatzes. Zuletzt habe sie, sagt Reichle, das Gefühl gehabt, ihre Arbeit "ständig im Dauerlauf" zu erledigen, sich ständig am Rande der Leistungsgrenze abstrampeln zu müssen.

In der neuen Kirchengemeinde Flözlingen-Zimmern hofft sie, als Pfarrerin wieder mehr ein "Mensch für Menschen" sein zu können, sich mehr Zeit nehmen zu können für die Gemeinde und die Leute dort. Flözlingen hat 700 Einwohner, davon sind 450 evangelisch. Zu Reichles neuen Aufgaben gehört auch die seelsorgerische Betreuung von Zimmern ob Rottweil, Horgen, Stetten, Lackendorf sowie des Rottweiler Wohngebiets Hegneberg. Ebenfalls ist sie zuständig für die Jugendarbeit im Kirchendistrikt Rottweil.

Als einen beruflichen Abstieg wertet Reichle den Wechsel von der prestigeträchtigen Balinger Stadtkirchenpfarrerstelle nach Flözlingen nicht – ganz im Gegenteil: Es habe sie schon länger "gejuckt", eine neue Stelle anzutreten. Dies auch deshalb, weil innerhalb der Landeskirche das ungeschriebene Gesetz gilt, wonach Pfarrer in der Regel alle zehn Jahre eine neue Aufgabe antreten sollten. Ihre Zeit in Balingen sei so gesehen "ungewöhnlich lang" gewesen.

Auch in tierischer Hinsicht passt es mit der neuen Gemeinde

Die Stelle in Flözlingen, die im Juli ausgeschrieben wurde, habe sie sofort angesprochen. "Das passt", habe sie sich nach dem ersten Kontakt und Gesprächen mit Vertretern der Kirchengemeinde gedacht. Übereinstimmungen gab’s auch in tierischer Hinsicht: Rudolf Etter, der Vorsitzende des Kirchengemeinderats, hält wie die Reichles auch Hühner. Sie freue sich, sagt Reichle, auf ihre neue Aufgabe als "Dorfpfarrerin".

Für Reichle ist der Wechsel nach Flözlingen eine Rückkehr im doppelten Sinne: Bevor sie im Februar 2002 als Nachfolgerin von Jochen Vollmer Pfarrerin der Balinger Stadtkirchengemeinde wurde, war sie bereits als Pfarrerin in den kleinen Gemeinden Altenried und Schlaitdorf tätig. Dazu kommen ihre engen Bindungen, ihre Wurzeln in den Nachbarlandkreis: Reichles Familie stammt ursprünglich aus Kattowitz im heutigen Polen; nach der Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg landete die Familie in Rottweil und wurde dort sesshaft. Ihre Cousine Gisela Wienchol war Leiterin der Haus- und Landwirtschaftlichen Schulen Rottweil. Der "spezielle Rottweiler Schlag" sei ihr also durchaus geläufig, sagt Reichle.

Auch wenn ihr Abschied aus Balingen nun zügig vonstatten geht, ist die Übergangszeit doch bereits geregelt. Dekan Beatus Widmann wird die Geschäftsführung des Pfarramts übernehmen. Die Gottesdienste in der Stadtkirche sind bis Juli 2017 durch die Unterstützung der anderen Balinger Pfarrer gesichert. Die Konfirmanden werden von Pfarrer Christof Seisser aus Heselwangen betreut, die Konfi-3-Kinder von Pfarrer Christoph Braunmiller von der Gemeinde Engstlatt-Schmiden.

Die Stadtkirchen-Pfarrerstelle soll nach den derzeitigen Vorstellungen bis Mitte des Jahres 2017 wieder besetzt sein. In den nächsten Tagen, so Reichle, setzen sich Dekan Widmann und der Kirchengemeinderat zusammen, um den Dienstaufrag für die Ausschreibung zu formulieren. Ein Vorteil dabei: Die Stelle ist bestandsgeschützt, kann also sofort wieder besetzt werden. Fest steht, dass der künftige Pfarrer übergangsmäßig in die Robert-Mayer-Straße auf dem Binsenbol einziehen wird; nach dem Auszug Reichles aus dem Pfarrhaus an der Hermann-Rommel-Straße wird das marode Gebäude erst einmal grundlegend saniert.

Der Termin für Reichles Verabschiedung steht ebenso bereits fest: Die Gemeinde sagt ihr am Sonntag, 27. November, im Rahmen des Gottesdiensts in der Stadtkirche Adieu. Ein endgültiger Abschied wird es derweil nicht sein: In Heselwangen haben die Reichles ein Haus gekauft. Wenn sie im Ruhestand sind, wollen Kristina Reichle und ihr Mann Franz Josef zurückkehren.