Das Landgericht Tübingen sprach am Dienstag das Urteil im Missbrauchs-Prozess. Foto: Martin Bernklau

Landgericht Tübingen verhängt Urteil gegen Wachmann aus Bad Wildbad. Mindestens 68 schwere Übergriffe.

Tübingen/ Bad Wildbad - Das Landgericht Tübingen hat einen 43-jährigen Mann am Dienstag wegen dem schweren sexuellen Missbrauch seiner drei Töchter zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt.

Das Gericht hatte keine Zweifel: Der Wachmann aus Bad Wildbad hat sein heute elfjähriges Kind und die beiden inzwischen erwachsenen Töchter aus erster Ehe über Jahre hinweg schwer missbraucht. Einen Fall wertete die Große Jugendstrafkammer am Landgericht Tübingen sogar als Vergewaltigung und verurteilte den 43-Jährigen zu einer Gesamtstrafe von zehn Jahren Gefängnis. Sie folgte damit exakt dem Antrag der Staatsanwältin.

Bei der Mutter zunächst auf taube Ohren gestoßen

"Zutiefst verwerflich" nannte der Vorsitzende Martin Streicher, was der sechsfache Vater seinen drei Töchtern angetan hatte. Insgesamt 68 Einzeltaten sah das Gericht nach den Ermittlungen, dem Gutachten der Kinderpsychiaterin und den Aussagen aller drei Töchter – bei denen die Öffentlichkeit ebenso ausgeschlossen war wie bei den Plädoyers – als erwiesen an. Der Angeklagte hatte am ersten Prozesstag das Angebot abgelehnt, den Töchtern durch ein Geständnis die Zeugenvernehmung zu ersparen und im Gegenzug mit einer milderen Strafe rechnen zu können.

Im Zentrum der acht Prozesstage standen die Vorwürfe, die im vergangenen August zunächst zu einem Platzverweis und dann zur spektakulären Festnahme des Mannes in Bad Wildbad geführt hatten. Dorthin war die Familie kurz zuvor aus Bad Herrenalb gezogen.

Seine elfjährige Tochter, ältestes von vier Kindern aus der zweiten Ehe, hatte sich einer Familienhelferin anvertraut, nachdem sie bei der Mutter mit ihren Schilderungen von Übergriffen des Vaters zunächst auf taube Ohren gestoßen war.

Die Ermittlungen von Kripo und Staatsanwaltschaft führten dann auch zu einer zwei Jahre älteren Freundin des Mädchens, der das damals neunjährige Kind auf dem Schulweg erzählt hatte, was der Vater mit ihr mache. Auf diesen frühesten nachweisbaren Zeitpunkt bezog das Gericht die Einschätzung der Übergriffe.

Spätestens nachdem die Gutachterin Marianne Clauß praktisch ausgeschlossen hatte, dass – wie vom Angeklagten behauptet – Dritte der Elfjährigen die Geschichten eingeredet hätten oder dass die Angaben der Fantasie oder einer Übertragung etwa aus Filmen entsprungen sein könnten, galten die Aussagen der Förderschülerin trotz gewisser Einschränkungen und einiger Unstimmigkeiten als im Kern glaubwürdig und beweiskräftig.

Vorsitzender Richter spricht von "bizarren Vorgängen"

Danach hat der Vater sein Kind zuhause, auf Autofahrten oder im Wohnwagen auf dem Freizeitgrundstück immer wieder entkleidet, an Brust und Unterleib angefasst, vor ihm onaniert und es zu eigenem Streicheln der Intimzonen gedrängt. Am schwersten wogen für die Kammer zwei Fälle: Einmal soll er bei dem zunächst schlafenden Kind mit Hilfe von Gleitgel den Analverkehr, ein anderes Mal eine Vergewaltigung des zunächst spielerisch mit Handschellen gefesselten Mädchens versucht haben. Abgelassen habe er auch einmal, als die Tochter beim vaginalen Eindringen mit den Fingern über ihre Schmerzen geklagt habe.

Für diese schweren Übergriffe befand das Gericht jeweils Einzelstrafen von zwei bis drei Jahren für angemessen, bei den anderen Taten wären jeweils Strafen im Monatsbereich schuldangemessen gewesen, wie der Vorsitzende einzeln erläuterte. Als Verbrechen sah die Kammer aber die vollendete Vergewaltigung der jüngeren, zur Tatzeit 14-jährigen Tochter aus erster Ehe. Dafür wurde ein Strafmaß von dreieinhalb Jahren angesetzt.

Mit der älteren Tochter aus erster Ehe habe der Wachmann ohne deren Widerstand geschlafen, einmal um "beweisen" zu können, dass der neue Partner der Mutter sich an dem Mädchen vergangen habe.

"Bizarre Vorgänge", von denen "nur das Schlimmste hier zur Sprache kam", nannte Martin Streicher diese Geschehnisse – strafbar als Missbrauch von Schutzbefohlenen und Beischlaf zwischen Verwandten – , die schon vor beinahe zwei Jahrzehnten durch ähnlich gewohnheitsmäßige Übergriffe wie bei der heute elfjährigen Tochter begonnen hätten.

Bedürfnisse "ohne Rücksicht und Empathie befriedigt"

Man habe "nur die Spitze des Eisbergs" verhandeln können. Der Angeklagte, so der Richter, habe seine sexuellen Bedürfnisse "rücksichtslos und ohne jede Empathie" an allen drei Töchtern befriedigt. "Perfide" sei der Versuch gewesen, der eigenen Schwiegermutter, der älteren Freundin des Mädchens und selbst Nachbarn, die ihn nach dem Platzverweis aufnahmen, Verschwörungen oder gar ihrerseits Übergriffe vorzuwerfen.

"Ihre Schutzbehauptungen sind alle widerlegt, da blieb kein Stein auf dem anderen", sagte Streicher an den Angeklagten gewandt. Teil des auf zehn Jahre Haft zusammengefassten Urteils ist auch eine Schmerzensgeldzahlung an die Tochter, deren Höhe später an den seelischen Folgen für das Kind bemessen werden soll. Allen drei Töchtern, so der Kammervorsitzende, habe der Vater "unabsehbare Beschwernisse auf den Lebensweg mitgegeben".