Die Vertreter der im neuen "Netzwerk für Wertevielfalt im Nordschwarzwald" aktiven Gruppen. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Gründung: Neues "Netzwerk für Wertevielfalt im Nordschwarzwald" will Zeichen für Zivilcourage im Alltag setzen

Es sind schwierige Zeiten für Toleranz in der Gesellschaft. Genau deshalb hat sich jetzt das "Netzwerk für Wertevielfalt im Nordschwarzwald" konstituiert.

Nordschwarzwald/Bad Wildbad. Initiator und "Motor" der Netzwerk-Bildung ist Hubertus Welt, Vorstand im Verein "Menschen Miteinander/ Interkultureller Garten Oberes Enztal". Er wohnt in Bad Wildbad – weshalb im dortigen Jugend- und Kulturhaus "Freiraum" die Gründungsveranstaltung des neuen Netzwerkes stattfand: ein auch kulinarisch bunter Abend fürs gegenseitige Kennenlernen, für Gespräche und einen ersten Austausch. Und das Sammeln neuer Ideen für die künftige gemeinsame Arbeit.

Wer sich wortreich entschuldigen ließ an diesem Abend: die reichlich eingeladene Polit-Prominenz aus der Region, aber auch darüber hinaus. Schirmherrin des neuen Netzwerkes ist zum Beispiel Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung der baden-württembergischen Landesregierung. Erler ist Tochter von Fritz Erler, der im Nachkriegsdeutschland als prominenter Bundespolitiker den Neustart der Zivilgesellschaft nach den Nazi-Exzessen maßgeblich mitgestaltet hatte. Tochter Gisela Erler ist in Pforzheim aufgewachsen – heute eine AfD-Hochburg, mit Wahlergebnissen für die rechte Protestpartei von über 40 Prozent.

Doch die Schirmherrschaft zum Anlass nehmen, um hier Gruppen auch eben aus Pforzheim beim Beschreiten neuer Pfade persönlich zu unterstützen – dafür war der Gründungstermin ausgerechnet am Brückentag vor dem Tag der Deutschen Einheit vielleicht nicht optimal gewählt. Auch die angeschriebenen Bürgermeister und Oberbürgermeister zwischen Pforzheim und Freudenstadt ließen sich entschuldigen, wie auch verschiedenen Abgeordneten – wobei die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken, die eine eigene Veranstaltung parallel in Wildberg an diesem Abend hatte, zumindest einen selbstgebackenen Kuchen und ein zu verlesendes Grußwort vorbeibrachte.

Das ganz große "Zeichen" für Toleranz und Wertevielfalt der hiesigen Gesellschaft und Politik war das so aber eher nicht. Was vielleicht aber andererseits auch ganz gut war. Denn so kamen die hier versammelten "Menschen von nebenan" voll zur Geltung. Echte Menschen eben, die sich wie Hubertus Heil durch die sich verändernde Sprache im öffentlichen Sprachraum, die zunehmend radikaler, zügel- und maßloser wird im Umgang mit allem "Anderen", in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Die Demokratie und die Sozialpartnerschaft in der Gesellschaft bedroht sehen. Die sich für den Erhalt der europäischen Idee einsetzen wollen – weil diese Idee aus ihrer Sicht Grenzen überwindet, Menschen zusammenführt, Toleranz lehrt und das Leben an sich bereichert.

Glaubt er mit seiner Arbeit, seinem Engagement aber wirklich etwas verändern zu können? Hubertus Welt verzieht für einen kurzen Moment schmerzverzerrt das Gesicht, als hätte er diese Frage befürchtet. Er sei von Haus aus Sozialpädagoge. Und aus seiner Arbeit wisse er, dass man Menschen auch aus festgefahrenen, extremen Verhaltensmustern herausholen könne – wenn man konsequent dabei bleibe und diese Menschen auf ihrer emotionalen Ebene abhole. Bei ihren Gefühlen und Ängsten. "Die Ängste dieser Teile der Gesellschaft sind echt. Aber falsch. Das kann man ihnen wirksam verständlich machen."

Er habe am Vortag einen Geburtstag in der Nachbarschaft besucht, erzählt Hubertus Welt auch später bei seiner Begrüßungsrede den übrigen anwesenden Aktivisten. Es kamen auch dort viele gesellschaftliche Probleme zur Sprache – "kaputte Straßen, die Rente der Oma, die nicht reicht. Die Schuld aber wurde subsummiert: auf die Flüchtlinge. "Die seien schuld – an allem." Was nun mal totaler Quatsch sei.

Genau an dieser Stelle gelte es Aufklärungsarbeit zu leisten – ohne Unterlass. Bei jeder Gelegenheit. Und so auffällig und laut wie möglich, wozu das neue Netzwerk künftig einen entscheidenden Baustein zu beitragen solle. "Indem wir uns gegenseitig informieren und unterstützen, wenn etwas anliegt." Eine Demo, eine Diskussions-Veranstaltung, ein Toleranz-Festival, ein Auftritt in sozialen Netzwerken. Mehr Unterstützer für das jeweils eigenen Anliegen soll so deutlich mehr Wucht entfalten – beim Gegenüber, aber auch bei der Wirkung natürlich in den berichtenden Medien.

Größtes Problem dabei: "Im eigenen Saft zu schmoren." Weshalb Hubertus Welt und allen Mitstreiter und Redner an diesem Abend wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass man "nicht gegen irgendetwas" sei – also ausdrücklich nicht gegen Rechts oder gegen AfD. Sondern eben für Wertevielfalt, für Toleranz, für die konstruktive Auseinandersetzung mit Andersdenkenden.

Worin vielleicht auch die größte Signalwirkung des Netzwerkes liege: Mit dem Wissen, es gibt da sehr viel mehr Menschen, die so denken, sich auch selbst im Alltag zu trauen, den lauten und radikalen Positionen im öffentlichen Diskurs genauso öffentlich zu widersprechen. Damit nicht die Lautstärke einer Position über deren Relevanz entscheide, sondern ob sie wirklich eine Mehrheit der Gesellschaft widerspiegelt. "Denn wenn wir schweigen", so Hubertus Welt, "haben wir schon verloren."

(ahk). Die im "Netzwerk Wertevielfalt im Nordschwarzwald" beteiligten Initiativen: Menschen Miteinander / Interkultureller Garten Oberes Enztal e.V., Bad Wildbad; Initiative gegen Rechts, Pforzheim; Forum Asyl Pforzheim; Bündnis gegen Rechtsextremismus für Toleranz und Vielfalt, Freudenstadt; Bündnis gegen Faschismus und Rassismus Rastatt/Murgtal; Pulse of Europe Dornstetten.  Die Gründung des Netzwerkes wurde von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg mit Fördermitteln aus dem Programm "Demokratie stärken" unterstützt. Die gemeinsamen Ziele aller Beteiligten im Netzwerk werden so formuliert: "Die Mitglieder des Netzwerkes eint das Bestreben, für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen einzutreten. Die Vielfalt erleben wir als Bereicherung. Alle treten für die demokratischen Grundwerte ein. Mit der Vernetzung streben wir eine größere Wirksamkeit in unserer Region an. Alle Initiativen werden sich gegenseitig informieren über geplante Aktivitäten ihrer Gruppierungen sowie über besondere Vorkommnisse in ihren Städten und Gemeinden. Gemeinsame Aktionen sollen vorbereitet und durchgeführt werden. Das können sowohl zentrale als auch lokale Veranstaltungen sein."