Fortbildung zum Thema "Lernen gestalten und begleiten" / Gabriele Stötzer berichtet

Von Götz Bechtle

Bad Wildbad. In den vergangenen Tagen wurde an die Besetzung der (Ost-)Berliner Stasizentrale durch mutige Bürger vor 25 Jahren erinnert. Dass bereits mehr als ein Monat zuvor, nämlich am 4. Dezember 1989 die Stasi-Zentrale Erfurt als erste in der damaligen DDR von mutigen Bürgerinnen besetzt wurde, erfuhr man in der Landesakademie Bad Wildbad.

Eine Frau, die maßgeblich daran beteiligt war, ist Gabriele Stötzer. Im Rahmen einer Fortbildung zum Thema "Lernen gestalten und begleiten" für das Fach Geschichte an allgemeinbildenden Gymnasien hörten rund 30 Fachberater (Multiplikatoren für das Fach Geschichte) über das durchaus politische Leben der Künstlerin und Schriftstellerin aus Erfurt. Das Thema lautet "Sie hat es überlebt". Einschüchterung, Drohung, Willkür, Verrat, Gefängnis hat Gabriele Stötzer (geboren 1953) überstanden und dabei stets den Blick nach vorne gerichtet. 2013 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, und im vergangenen Jahr war sie 49. Stipendiatin der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung.

Im Zuchthaus Hoheneck

Nach ihrem Schulabschluss absolvierte sie eine Ausbildung zur Medizinisch-Technischen-Assistentin und holte in Abend- und Wochenendkursen das Abitur nach. Sie war FDJ-Sekretärin und erhielt einen Studienplatz für Deutsch und Kunst. Um die Lehrveranstaltungen und Seminare über Marxismus-Leninismus effektiver zu gestalten, unterschrieb sie gemeinsam mit anderen Kommilitonen im Januar 1976 an der Universität Erfurt einen Artikel von Wilfried Linke, gemäß der stets propagierten Maxime "arbeite, plane, regiere mit".

Stötzer verlas diesen Artikel in der Landesakademie, der aus unserer heutigen Sicht keineswegs staatsgefährdend zu sein scheint. Anders damals: Der Autor Linke wurde Mitte 1976 exmatrikuliert wegen "Verbreitung falscher Aussagen". Stötzer schrieb deshalb einen (unbeantworteten) Brief an Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung der DDR von 1963 bis 1989, in dessen Folge sie "abschwören" sollte, was sie ablehnte. Eine 50-köpfige Kontrollkommission erhob ein Disziplinarverfahren gegen Stötzer, worauf sie wegen verleumderischer Kampagnen, ungeheurem politischem Verrat, konspirativen Beziehungen, Verbreitung feindlicher Auffassungen, politischer Provokation und staatsfeindlichen Aussagen exmatrikuliert und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Im Zuchthaus Hoheneck in Stollberg in Sachsen war sie unter Mörderinnen, Schwerverbrecherinnen und Bankräuberinnen untergebracht. Sie lehnte die Ausreise in den Westen ab und fasste dort den Entschluss, nach ihrer Entlassung zu schreiben. Als politisch Vorbestrafte stand sie ständig unter intensiver Überwachung durch die Stasi. In ihrem Vortrag zeigte Stötzer die Macht der "Staatssicherheit" auf .

Stötzer selbst ging nach der Tätigkeit in einer Schuhfabrik ihrer Berufung als Schriftstellerin und Künstlerin nach und arbeitete sozusagen elf Jahre im Untergrund. Getarnt als Familienfeiern veranstaltete sie mit anderen Frauen Lesungen, Kunstaktionen, Performances sowie Modeschauen und initiierte die Gruppe "Frauen für Veränderungen". Sie verfasste autobiographische und experimentelle Texte, um eine spezielle weibliche Ausdrucksweise zu finden. In den 80er-Jahren fertigte sie Künstlerbücher aus Texten, Fotos und Zeichnungen. Nach der Öffnung der Mauer war sie Mit-Initiatorin der ersten Besetzung einer Stasizentrale in Erfurt, wobei unbewaffnete Frauen das Gebäude umstellten und dann eindrangen, um zu verhindern, dass Stasiunterlagen verbrannt wurden.

"Es war wichtig", so Stötzer, "dass einzelne Frauen wahrgenommen wurden" und nicht nur mitmachten. Ihre Erfahrungen hat sie in ihrem Buch "Die bröckelnde Festung" niedergeschrieben.