Auf dem Längsschaft des Spinnerin-Kreuzes bei Zavelstein ist deutlich die Kunkel mit der herabhängenden Spindel zu erkennen. Auf dem Querbalken steht in gotischer Minuskelschrift "Anno D(omi)ni M CCCC XL VII" zu lesen. Foto: Pichler

"Sagenhafte Heimat": Handarbeiterin kam vermutlich in einer Wolfsgrube ums Leben

Bad Teinach-Zavelstein - Im Rahmen unserer Leseraktion "Sagenhafte Heimat" erzählt Klaus Pichler vom steinernen Spinnerin-Kreuz bei Zavelstein.

Wer von Zavelstein dem Fußweg Richtung Calw folgt, kommt etwa einen halben Kilometer vom Ortskern entfernt an einem alten Steinkreuz vorbei, dem Spinnerin-Kreuz. Es nimmt in unserer Region eine besondere Stellung ein.

Mittelalterliche Steinkreuze finden sich viele in Württemberg, wobei es sich fast ausschließlich um Sühnekreuze handelt. Die mittelalterlichen Rechtsbräuche verlangten als Teil der Sühne bei einem Tötungsdelikt das Aufstellen eines steinernen Kreuzes am Tatort. Sie wurden recht grob behauen und wiesen entweder gar keine Inschrift auf oder wurden mit einfachen, auf den Beruf des Getöteten hinweisenden Zeichen versehen. Der Sühnepflicht musste zwar Genüge geleistet werden, doch ein besonderer Gestaltungsaufwand bei der Herstellung des Steinkreuzes hätte erhöhte Kosten bedeutet.

Das Spinnerin-Kreuz jedoch zeigt in allen Details eine ungewöhnlich sorgfältige Bearbeitung. Schon durch die Gestaltung wird deutlich, dass die Person, für die das Kreuz bestimmt war, dem Auftraggeber am Herzen lag: Es handelt sich somit um ein Gedenkkreuz. Auf der Wegseite ist eine Jahreszahl deutlich zu lesen: Anno Domini 1447. Am Längsbalken macht eine Kunkel (Rocken) mit einer am Faden hängenden Spindel den Beruf der zu Tode Gekommenen deutlich.

Sogar ihr Name ist bekannt: An der Außenwand des Kentheimer Kirchleins findet sich die Grabplatte einer Margret Meyr aus Holzgerlingen, die am 23. Januar 1447 verstorben ist. Die Grabplatte weist dieselben Gestaltungsmerkmale wie das Gedenkkreuz auf, ist ebenfalls durch eine Kunkel mit Spindel gekennzeichnet und wurde offensichtlich vom gleichen Steinmetz gefertigt.

Dass Margret Meyr in Kentheim und nicht in Zavelstein begraben wurde, liegt darin begründet, dass Kentheim mit seinem um das Jahr 1000 gebauten Kirchlein in der Mitte des 13. Jahrhunderts zur selbstständigen Pfarrei erhoben worden war. Hier mussten alle Toten des Kirchspiels begraben werden, bevor die Pfarrei am Ende des 15. Jahrhunderts nach Zavelstein verlegt und dort 1569 ein neuer Friedhof angelegt wurde.

Noch bis zur Bebauung in den 60er-Jahren hielt sich in Zavelstein der Name "Totengässle" als Bezeichnung für den Weg, über den die Toten von Zavelstein, Rötenbach, Emberg, Schmieh, Weltenschwann und Speßhardt zum Begräbnis auf dem "Kentener" Friedhof gebracht werden mussten. Von Rötenbach kommend führte er durch die heutige Sonnenhalde über die Schulstraße weiter nach Sommenhardt und über Lützenhardt nach Kentheim.

Die Geschichte des tödlichen Unfalls der Margret Meyr wird in Zavelstein üblicherweise in einer Kurzfassung überliefert und ist so auch auf einer Texttafel beim Spinnerin-Kreuz geschildert: Sie soll in einem Schneesturm umgekommen sein.

Eine in dem Buch "Sagen der Heimat" von Rotraud Pfaff publizierte Geschichte gehört völlig in den Bereich des Sagenhaften, hat keinen erkennbaren historischen Bezug und wird zudem in Zavelstein auch nicht überliefert: Eine Spinnerin habe am Christabend unbedingt die Spinnstube besuchen wollen und sei als Strafe dafür vom Teufel geholt worden.

Von einem Ende der 70er-Jahre verstorbenen alten Zavelsteiner wurde dagegen eine detaillierte, anrührende und möglicherweise zutreffende Fassung erzählt: Margret Meyr war zu Besuch bei ihrer Base, die im Zavelsteiner Städtle wohnte. Das Kind der Base sei erkrankt, worauf sich die Spinnerin auf den Weg nach Calw gemacht habe, um beim dortigen Doktor Rat und Arznei für das kranke Kind zu besorgen. Auf dem Heimweg sei sie im Schneesturm in eine Wolfsgrube gefallen und darin elend erfroren.

Gibt es Hinweise auf den Wahrheitsgehalt dieser Fassung? Vielleicht. Zum einen ist anzunehmen, dass es sich um einen spektakulären Unfall gehandelt haben muss, der die Errichtung eines wertvollen Gedenkkreuzes veranlasste. Zum anderen erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, dass eine vom sechs Kilometer entfernten Calw kommende Margret Meyr die wenigen hundert Meter zu ihrem Ziel ohne besonderen Anlass nicht mehr schaffte.

Zudem lebten zu dieser Zeit im Schwarzwald noch viele Wölfe, und die Bevölkerung versuchte mit zahlreichen, als Fallen konstruierten Gruben der Plage Herr zu werden. Die Wolfsgruben wurden später der vielen Unfälle wegen vom Herzog verboten.

Und schließlich wird das Flurstück, auf dem das Spinnerin-Kreuz steht, im Volksmund "Schnapprad" genannt. Der Name deutet auf eine Schnappvorrichtung und ein Rad hin. Wolfsgruben waren häufig mit einer nach unten schnappenden Abdeckklappe ausgerüstet, der Köder wurde auf ein Rad gelegt, welches über dem Boden an einer Stange befestigt war: eine markante Konstruktion und Landmarke also, die sich zur Namensgebung anbot.

Was allerdings das "Spinnerin-Haus" im Städtle betrifft, kann es sich allenfalls um den Platz handeln, an dem dieses einst stand. Bekanntlich wurde das Städtchen 1692 im französisch-pfälzischen Erbfolgekrieg eingeäschert. Alle jetzigen Wohngebäude stammen aus der Zeit des Wiederaufbaus ab etwa 1700.

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