Am Landgericht Tübingen läuft seit Dienstag der Prozess gegen einen 54-Jährigen wegen Mordversuchs. Foto: dpa

Prozessauftakt: Landgericht Tübingen verhandelt gegen 54-jährigen Altensteiger wegen Mordversuchs.

Altensteig/Tübingen - Er spricht gut deutsch und lebte schon über 20 Jahre lang in Altensteig. Trotzdem ist eine Russisch-Dolmetscherin berufen worden, neben einem psychiatrischen und einem medizinischen Gutachter. Denn es geht für den 54-jährigen Spätaussiedler um den Vorwurf des versuchten Mordes beim Prozess vor der Großen Strafkammer des Tübinger Landgerichts, der am Dienstag eröffnet wurde.

Der Metallarbeiter soll im vergangenen September seinen früheren Meister in Mordabsicht niedergestochen haben, weil er ihn für seine fristlose Kündigung bei einem Altensteiger Großbetrieb, für die kurze Zeit später ausgebrochene Krebserkrankung seiner Frau und dafür verantwortlich machte, ihn und seine Familie ruiniert zu haben. Diesen Vorwurf hielt er vor Gericht aufrecht, auch wenn er die Stiche auf den Industriemeister "tief bedauert", gerne ungeschehen machen würde und dafür "schon drei Mal" um Entschuldigung gebeten hat. Auch diese Bitte wiederholt er.

Alexander W. hat zwei Anwälte. Der eine ist Strafverteidiger und kümmert sich um die Tat, die der Nebenkläger später "ein Attentat" nennt. Staatsanwalt Michael Stengel führt danach noch das Mordmerkmal der Heimtücke ein. Der andere Anwalt kennt sich in Arbeitsrecht aus. Denn dem blutigen Geschehen am späten Abend des 18. September 2013 in der Dorfer Straße ging eine Geschichte voraus, die der Angeklagte als gezieltes Mobbing durch den vorgesetzten Kollegen Frank L. empfunden haben will, der fast gleichzeitig in die Firma eintrat und zwei Jahrzehnte lang mit ihm zusammenarbeitete – "mehr oder weniger problemlos", wie der in jener Nacht in seiner Garage mit dem Messer Angegriffene im Zeugenstand sagt.

Im Jahr vor der Tat hatte das Amtsgericht Nagold den in Kasachstan geborenen Russlanddeutschen wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt. Die fristlose Kündigung wegen eines Zornausbruchs mit erhobenen Auspuffkrümmer im Jahr davor hatte der gelernte Dreher angefochten. Vor dem Arbeitsgericht hatte man sich auf eine Abfindung über einen Betrag geeinigt, die der langen Betriebszugehörigkeit angemessen war.

Doch der Angeklagte verwand den Verlust seiner Arbeit nicht und fand keine neue. Fast nebenbei kommt zur Sprache, dass die Ehefrau den arbeitslosen, zeitweise im Handwerksbetrieb des Sohnes beschäftigten Mann bei einem Selbstmordversuch wortwörtlich im letzten Moment vom Strick geschnitten hat. In der U-Haft versuchte er es erneut und schnitt sich die Pulsadern auf.

In jener Nacht im vergangenen September hatte Alexander W. seinem Meister dann offenbar bei dessen Heimkehr nach der Spätschicht vor dessen Garage aufgelauert. Was dann im Detail passierte, konnte das Gericht am ersten Tag noch nicht klären: Drohungen mit einem eher kleinen Klappmesser, Wortgefechte, der Versuch des Angegriffenen, sich mit einem Pfefferspray zu wehren, Handgemenge und Stürze auf dem Gehweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Stiche waren "nicht lebensbedrohlich"

Den ersten der zwei vier Zentimeter tiefen Stiche will der Attackierte noch in der Garage gespürt haben, den zweiten kann er zeitlich nicht mehr zuordnen. Er schrie um Hilfe. Seiner herbeigeeilten Ehefrau, einem Paar aus der Nachbarschaft und zwei zufällig im Auto vorbeifahrenden jungen Männern soll es gelungen sein, die Gewalt irgendwie zu schlichten. "Wie apathisch", so der Angegriffene, soll der mutmaßliche Messerstecher dann am Straßenrand gesessen sein. Der Rettungswagen brachte den verletzten Abteilungsleiter in die Klinik.

Nach einer Woche konnten die beiden, laut Gerichtsmediziner "nicht lebensbedrohlichen" Stiche in den Oberbauch so weit behandelt werden, dass der 48 Jahre alte Familienvater entlassen werden konnte. Er ist allerdings bis heute in psychologischer Behandlung. Seinen Angreifer nahm die Polizei fest. Acht Monate nach der Tat wurde er in Handschellen vorgeführt.

Am gestrigen Nachmittag bat Richter Ralf Peters, der Vorsitzende der fünfköpfigen Schwurgerichtskammer, alle Prozessbeteiligten nach vorn zur Erläuterung der Tatort-Skizzen. Angeklagter und Nebenkläger standen unmittelbar nebeneinander. Alles blieb ruhig, keine Aggression hier, keine Angst dort war zu spüren. Der Prozess wird am 30. Mai fortgesetzt.