Die vielen Chornummern waren geschmeidig in die Handlung von "Anatevka" eingebaut. Foto: M. Bernklau Foto: Schwarzwälder-Bote

Musical: Theatergruppe, Christophoruskantorei und ein Altensteiger Doppelorchester führen "Anatevka" auf

"Wenn ich einmal reich wär...", träumt Tevje, der Milchmann. Das Musical "Anatevka" war ein Broadway-Welterfolg. Aber es ist die traurige Geschichte der im Holocaust endgültig untergegangenen Welt des jiddischen Schtetls. In der Altensteiger Eichwaldhalle brachte sie das Christophorus-Gymnasium am Wochenende dreimal auf die Bühne.

Altensteig. Eine ganz große Sache ist das, Breitformat im Cinemascope der Eichwaldhalle. Das hat auch ein paar Nachteile. Aber schon allein, was die "Spot on"-Theatergruppe und die Christophorus-Kantorei in Zusammenarbeit mit dem Jugendsinfonie- und Kammerorchester aus der Musikschule da an Kostümen, Bühnenbild und Requisiten (dazu Licht und Technik) zusammengestellt haben, wäre schon eine ganz tiefe Verbeugung wert.

Doch das Altensteiger "Anatevka"-Musical, unter der Regie von Joachim Krüger, war viel mehr. "Was war da bei uns?", hatten junge Menschen im Oberen Nagoldtal zur Hetze, Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung der Juden unter Hitler gefragt. Was dort im Dorf Anatevka war, im polnischen, ukrainischen und russischen Osten des Zaren, vor dem Holocaust durch die Deutschen, davon zeichnet das Musical in zwei Akten ein ebenso traumhaft traurig-schönes Bild wie der Maler Marc Chagall.

Akt ein endet im wüsten zerstörerischen Pogrom der russischen Soldateska

Der Milchmann Tevje, die vollen dreieinhalb Stunden lang ganz großartig von Ramón Link gespielt, ist arm. Aber er hat mit seiner Frau Golde (Vita Wolf) fünf Töchter, die eine nach der anderen unter die Haube sollen. Dafür ist im Dorf eigentlich Jente, die Heiratsvermittlerin (Elena Beuerle) zuständig. Aber die Töchter gehen eigene Wege. Zeitel (Andrea Bran), die Älteste, verschmäht den reichen Metzger Lazar, weil sie den bitterarmen Schneider Mottel (Johannes Radde) liebt, der auf seine erste Nähmachine spart.

Das ginge noch. Doch Hodel (Milena Pfeifle) hat sich den aufrührerischen Studenten Perchik (Maximilian Kern) ausersehen und folgt ihm am Ende bis in die sibirische Strafkolonie. Und die Dritte, Chava (Susanne Stehle) schließlich lässt sich sogar mit einem christlichen Gojm ein, mit Fedja (Jan Felix Stöffler), einem dieser russischen Soldaten, die im Auftrag des Zaren die Juden piesacken, unterdrücken, schurigeln, wo sie nur können – und am Ende sogar kurzerhand vertreiben.

Der Rabbi (Jannik Kuch) hat seinen Segen gegeben. Unterm Baldachin wird der Becher Wein ausgetrunken, ein Glas zertreten – Scherben bringen Glück –, werden die Ringe getauscht. Das Paar nimmt sieben Segenssprüche entgegen. Man streitet noch heftig, ob Gott das Tanzen gut heißt oder eher nicht. Aber das ausgelassene Hochzeitsfest von Zeitel und Mottel – und damit der erste Akt – endet mit einem wüsten zerstörerischen Pogrom der russischen Soldateska.

Nach langer betroffener Stille brandet in der halle Beifall auf

Der zweite Akt erzählt nicht nur die weiteren der jüdischen Tradition und Tevjes väterlichen Vorstellungen zuwider laufenden Liebesgeschichten. Rührend erkennen auch die Eltern nach 25 Ehejahren ihre nie eingestandene Liebe. Tevje verstößt Chava, seine Dritte, nachdem sie ein christlicher Pope mit Fedja getraut hat. Erst als die Familie, das ganze Dorf in alle Winde verweht wird, kommt es zur Versöhnung. Tevje, Golde und die beiden Jüngsten brechen gen Amerika auf.

Von der ersten Reihe aus dirigiert Michael Nonnenmann die vielen Chornummern und von Ingrid Lipps wunderbar choreografierten Tänze, die geschmeidig in die Handlung eingebaut sind. Ganz hervorragend und ungemein flexibel gibt das Orchester unter der Leitung von Jutta Hay den musikalischen Hintergrund ab, was keineswegs leicht war. Denn oft agieren die singenden und rezitierende Schauspieler weitab rechts vom Orchester. Die Tonverstärkung von der Decke herab machte das direkte Zusammenspiel zusätzlich heikel. Aber es gelang fast durchweg, mit vielen tollen schauspielerischen Leistungen.

Das jüdische Dorf Anatevka mit all seiner Armut, seinen Konflikten und seiner Tradition, aber auch seiner fröhlichen Lebenslust, wird in alle Winde zerstreut. Nur einen Koffer darf jedes mitnehmen. Ein bedrückender Exodus. Zu alledem spielt der Fiedler auf dem Dach (Ann-Kathrin Krause) seine traurig schönen Weisen, wie schon zu Beginn.

Nach langer betroffener Stille brandete Beifall auf in der Eichberghalle und schwoll zu minutenlangen stehenden Ovationen an.