Schwelgen in Erinnerungen: Rainer und Doris Steidle studieren die Tagebücher aus 13 Wanderjahren Foto: Renner Foto: Schwarzwälder-Bote

Volkshochschule: Rainer Steidle stellt nach 13 "bewegten" Jahren seine Donnerstagswanderungen ein

13 Jahre lang hat Rainer Steidle an jedem ersten Donnerstag im Monat im Auftrag der Volkshochschule eine Wanderung organisiert und geführt – mal in nächster Nähe von Albstadt, gelegentlich auch weiter entfernt. Nun hört er auf. Albstadt verliert eine Institution.

Albstadt. Bis zu seinem 59. Lebensjahr hatte Rainer Steidle als Stricker in der Textilindustrie gearbeitet – dann fiel er bei der Arbeit von der Leiter, riss sich eine Sehne und war mit einem Schlag arbeitsunfähig. Fortan engagierte sich der Frührentner im Ebinger Albverein, unter anderem als Wanderwart, und war schließlich die ganze Woche über mehr oder weniger ausgelastet – nur am Donnerstag nicht.

Und so kam es, dass Rainer Steidle im November 2003 beim damaligen Chef der Volkshochschule, Harald Anders, vorstellig wurde und ihm anbot, künftig einmal im Monat eine Wandergruppe durch die Natur oder alternativ durch die eine oder andere reizvolle Innenstadt zu lotsen – donnerstags. Steidle verlangte kein Honorar, aber dafür im Gegenzug, dass die Teilnahme an seinen Touren kostenlos und ohne Anmeldung möglich sein musste. Anders schlug ein.

Seit jenem Tag hat Rainer Steidle nicht weniger als 138 Wanderungen mit durchschnittlich 40 bis 45 Teilnehmern geführt – eine bunt gemischte Truppe, in der Hausfrauen ebenso vertreten waren wie Ärzte, folgte ihm auf seinen zwei- bis dreistündigen Touren. Diese führten mal über die Albhochfläche – wenn die Traufkante zu bewältigen war, dann achtete Steidle, dessen Klientel größtenteils das Rentenalter erreicht hatte, darauf, dass es abwärts ging – , mal zu entfernteren Zielen wie Stuttgart, Tübingen oder Esslingen. Steidles Donnerstagswanderer besuchten die Krippenausstellung im Kloster Weggental, den Ulmer Weihnachtsmarkt, Ritter Sport in Waldenbuch, den Kaiserstuhl und nicht zuletzt – warum in die Ferne schweifen? – das Maschenmuseum in Tailfingen. Neben der Natur kam auch die Kunst zu ihrem Recht: Rainer Steidle und die Seinen wandelten auf den Spuren der Maler Eugen Nell und Otto Wider – letzteren hatte er als Kind noch kennengelernt; Wider war ein Nachbar der Steidles gewesen. Keine Strecke aber kam zweimal an die Reihe; die Routen variierten jedes Mal.

Die älteste Teilnehmerin brachte es auf 94 Lenze

Schlechtes Wetter gab es bei Rainer Steidle nicht – in 13 Jahren ist nicht eine einzige Wanderung ausgefallen. Seine Truppe bewältigte im Winter "vergletscherte" eisglatte Wege und überstanden im Sommer Unwetter; einmal transportierten Waldarbeiter, durchnässte Wandersleut ins Gasthaus in Obernheim. Solche kleinen Dramen hat Steidle ebenso in seinen Wandertagebüchern festgehalten wie zufällige Begegenungen, etwa mit jenem Beuroner Klosterbruder, der 30 Jahre lang Schweine gezüchtet hatte, nun auf seine alten Tage mit dem Besen "Wollmäuse jagte" und die Wanderer zum gregorianischen Chorgesang im Kloster einlud. Illustriert sind die Bücher mit Fotos von Elmar Frey; außerdem enthalten sie die Signaturen von gut und gern 100 Wanderfreunden, die über die Jahre mit von der Partie waren. "Da sind richtige Freundschaften entstanden", sagt Steidle. Übrigens verliefen trotz des hohen Alters mancher Teilnehmer – die älteste war 94! – alle Wanderungen unfallfrei.

Das Alter der Teilnehmer ist allerdings auch der Grund, warum Rainer Steidle keine weiteren Touren mehr anbietet: Das Verhältnis zwischen den rüstigen und ehrgeizigen Langwanderern und den Kurzwanderern oder gar Nur-Einkehrern hat sich merklich zu letzteren hin verschoben. Am 7. September fährt Rainer Steidle noch einmal mit seiner Mannschaft an die Blitzenreuther Seenplatte – danach ist Schluss!

Allerdings nicht für Rainer Steidle selbst. Mit 75 ist er weit davon entfernt, die Wanderschuhe an den Nagel zu hängen; privat wird er weiterhin unterwegs sein. Nur die Volkshochschule wird ohne ihn auskommen müssen. Aber man soll ja bekanntermaßen aufhören, wenn es am Schönsten ist.