Eine Rarität, wenn auch eine ramponierte ist dieses Gesang- und Gebetbuch aus der Sammlung Jehle. Foto: Schwarzwälder-Bote

Glücklicher Fund: Sammlung Jehle erwirbt rares Gesang- und Gebetbuch von 1793

Just während der Sonderausstellung "Kirchengesangbücher aus fünf Jahrhunderten" hat Volker Jehle für die Musikaliensammlung im Stauffenberg-Schloss bei ebay eine Rarität erworben: ein kombiniertes Gesang- und Gebetbuch von 1793.

Albstadt-Lautlingen. Ein Karlsruher hatte es im Internet angeboten: ein Gesangbuch aus dem 18. Jahrhundert, desolater Zustand, Kostenpunkt zehn Euro. "Desolater Zustand" stimmte: Das Titelblatt mit Angaben zu Druckort und Erscheinungsjahr fehlte, der Buchblock war lose, der vordere Deckel senkrecht entzweigebrochen, Einband und Papier voll von Holzwurmlöcher – Eselsohren hatten die Seiten natürlich auch. Ganz klar: Hier war eine größere Operation vonnöten.

Zunächst putzte Jehle den Einband mit Olivenöl, das er einziehen ließ, damit das Leder nicht brach. Den Bruch im nur drei Millimeter dicken Holzdeckel verleimte er, packte den Deckel zwischen zwei Bretter und ließ ihn zwischen Schraubzwingen übernachten. Danach wurde der Deckelinnenbezug aus handbemaltem Papier geklebt, und es folgte eine zweite Nacht zwischen Brettern und Zwingen. Die dritte war nach der Verleimung des losen Buchblocks fällig; jetzt erst konnte man endlich gefahrlos blättern – und erschauderte angesichts des Wurmfraßes. Also Fenster auf und das Mehl herausgeklopft, das in Schwaden davonzog. Anschließend wurde das Buch im Backofen erhitzt. Bei 55 Grad koaguliert Eiweiß: Ruhet sanft, ihr Würmchen!

Und nun? Folgte die eigentliche Aufgabe: die Identifikation. Der badische Anbieter hatte die Angabe "1750" gemacht; sie erwies sich als irreführend, denn weiter hinten fand sich ein ergänzendes Titelblatt: "Benjamin Schmolkens Buß- Beicht- und Communion-Buch, nebst Morgen- und Abend-Andachten, und mit denen sieben Buß-Psalmen Davids, wie auch einigen geistreichen Gebetern und Liedern auch Wetter-Gebetern vermehrtere Auflage. Reutlingen, gedrukt bey Johannes Grözinger, 1790." Hier lag offensichtlich eine Kompilation vor: Dem Gesangbuch folgten – was seinerzeit nicht unüblich war – weitere Stücke, welche die Drucker ungebunden auf Lager hatten. Der Einband war nämlich Sache des Käufers, der sich seinen religiösen Allzweckalmanach nach Bedarf zusammenstellte, dazu noch ein oder mehrere Titelblätter erwarb und dann alles binden ließ – ein spiritueller Maßanzug sozusagen. So konnten zwischen zwei Deckel Drucke aus verschiedenen Jahren kommen.

Um welche handelte es sich in diesem Fall? Das Gebetbuch war in Reutlingen "gedrukt" – das Gesangbuch vielleicht auch? Volker Jehle ging ins Internet, untersuchte die im "Karlsruher virtuellen Katalog" zusammengefassten Bestandsverzeichnisse etlicher öffentlicher Bibliotheken, gab die Seiten- und Liederzahl des Gesangbuchteils – 671 respektive 629 – samt dem Stichwort "Gesangbuch" ein und stellte fest, dass das einschlägige Reutlinger Gesangbuch zu schmal war. Als passend erwies sich jedoch das Stuttgarter von 1791, jedoch ergänzt um einige Seiten und folglich jünger – es konnte frühestens 1793 bei Cotta erschienen sein. In der Sammlung Jehle und der laufenden Ausstellung gibt es mehrere Exemplare dieser Auflage.

Die Besitzerin war ganz zufällig eine Ebingerin

Also keine Rarität? Doch – aber erst weiter hinten: Benjamin Schmolks Gebetbuch findet sich weder im "Karlsruher Virtuellen Katalog", noch bei Google. Das Schönste aber ist der Besitzvermerk auf dem Vorsatz: "Dieses Edle Gesang-büchlein gehört Maria Barbara Götzin in Ebingen 1790. / Daß mein Betten und mein Singen Herr zu Deinen Ohren dringen". Maria Barbara Götz wurde am 4. Juni 1776 in Pfullingen geboren und verblich am 3. Februar 1851 – vermutlich in Ebingen. Das Gesangbuch hat sie wohl zu ihrer Konfirmation erhalten.