Stuttgart - Alle suchen nur noch Sicherheit. Nicht nur Gold und Schweizer Franken sind als Anlage in unsicheren Börsenzeiten gefragt. Gesucht sind, so paradox es klingen mag, auch Staatspapiere der hochverschuldeten Vereinigten Staaten. Sie gelten ebenso wie Bundesanleihen bei vielen Investoren als sicherer Hafen. Die Rendite amerikanischer Staatspapiere mit zehnjähriger Laufzeit ist in den vergangenen Tagen auf den niedrigsten Stand seit den fünfziger Jahren gefallen. Der US-Staat muss für neue Kredite nur zwei Prozent Zinsen zahlen. Die exorbitante Verschuldung und die Herabstufung der US-Bonität durch eine Ratingagentur scheint dem Ansehen nicht geschadet zu haben: Die meisten Investoren glauben, dass die Amerikaner ihre Schuldenprobleme wieder in den Griff bekommen.

Wie begründet solche Urteile der Finanzmärkte sind, darüber lässt sich trefflich streiten. Wer die steile Talfahrt an den weltweiten Börsen verfolgt, dem kommen Zweifel, ob die Urteile der Investoren noch nachvollziehbar sind. Der Deutsche Aktienindex (Dax) erlitt am Donnerstag den größten Tagesverlust seit November 2008, also dem Zeitpunkt nach Ausbruch der Finanzkrise. Im August hat der Dax rund ein Viertel an Wert verloren. Nicht nur manche Börsenprofis verstehen die Welt nicht mehr. Wieder einmal stellt sich die Frage, was das Geschehen an den Börsen mit der Realwirtschaft zu tun hat. Die Kluft ist unverkennbar. So sind Rekordmeldungen deutscher Unternehmen noch gut in Erinnerung. Der Autobauer BMW vermeldete erst unlängst das beste Halbjahr seiner Geschichte, auch viele andere Unternehmen blicken unverändert auf dicke Auftragspolster. Die gute Stimmung bei Mittelstand und Großkonzernen kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Volkswirte aus Forschung und Verbänden bis vor Kurzem noch mit einem Wachstum von mehr als drei Prozent für das laufende Jahr rechneten. Ist die eindrucksvolle deutsche Aufholjagd bald vorbei?

Aus den USA kommt die Angst

Auch wenn das Auf und Ab an den Börsen zurzeit im Vordergrund steht, ist die entscheidende Frage, wie sich Produktion und Dienstleistungen entwickeln. Aus den Vereinigten Staaten schwappt die Angst herüber, das Land könne vor einer neuen Rezession stehen. Auffallend ist jedenfalls, dass in den Medien immer öfter von Rezessionsängsten die Rede ist. Forscher haben einmal festgestellt, dass die Verunsicherung der Konsumenten schon deshalb wächst, weil sie im Alltag häufig auf Rezessionsgefahren aufmerksam gemacht werden. Darin liegt eine Gefahr: Die Unsicherheit nimmt zu, was auf die Kauflaune der Verbraucher schlägt. Unverkennbar führt die Staatsschuldenkrise in Europa und den USA dazu, dass die Menschen aus Sorge um die Zukunft wieder stärker sparen. Wenn die Verbraucher wenig Lust auf Konsum haben, sondern das Geld lieber auf die hohe Kante legen, dämpft dies die Binnenkonjunktur. Dieser Prozess ist bereits in Gang. Ablesbar ist dies daran, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal fast auf der Stelle trat. Nun dürfen Quartalszahlen nicht überbewertet werden. Wegen des großen Auftragspolsters bei Industrie und Mittelstand ist mit einem abrupten Einbruch der Konjunktur nicht zu rechnen. Die meisten Volkswirte halten für 2011 immer noch ein Wachstum zwischen zwei und drei Prozent für möglich. Das wäre noch immer ein guter Wert.

Natürlich handelt es sich hierbei um eine Momentaufnahme. Die größte Unbekannte auch für die Konjunktur bleibt die europäische Schuldenkrise. Wenn es schon im zweiten Quartal mit der Wirtschaft nur wenig aufwärtsging, könnte sich dieser Trend verlängern. Denn die Unsicherheit über die Eurozone und die Kursstürze haben sich zuletzt verstärkt und finden erst im Wirtschaftsverlauf des laufenden Quartals einen Niederschlag. Auch wenn die Euroländer ihre Probleme noch nicht gelöst haben, könnte sich die Lage dennoch etwas entspannen. Die Ausschläge an den Märkten sind auch deshalb so hoch, weil die Beschlüsse zur Stabilisierung der Eurozone, die der EU-Rat im Juli fasste, noch nicht umgesetzt sind. Dieser Schwebezustand ist ein Nährboden für die Spekulation. Sobald die Parlamente entschieden haben, ergibt sich für die Märkte eine neue Lage.

Reichlich übertrieben ist es jedenfalls, wenn Experten die jetzige Situation mit der Finanzkrise 2008/2009 vergleichen. Dass es so schlimm kommt, ist kaum zu befüchten. Damals brach wegen der globalen Unsicherheit die Nachfrage in vielen wichtigen Märkten zusammen: Auto- und Maschinenbauer fanden plötzlich keine Käufer mehr für ihre Produkte, und die Lager füllten sich.

Das ist heute anders. Inzwischen warten Autokäufer bei vielen Herstellern mehrere Monate, bis sie ihren Neuwagen in Empfang nehmen können. Gerade aus den Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien kommen nach wie vor viele Bestellungen. Natürlich ist ein exportstarkes Land wie Deutschland anfällig, falls die ohnehin labile Konjunktur in den Vereinigten Staaten und Europa an Fahrt verlieren sollte. Diese Sorge ist einer der Gründe für die Kursstürze. Dennoch sind die Reaktionen an den Finanzmärkten überzeichnet.

Mittelstand sieht Entwicklung gelassen

Beruhigend ist, dass diejenigen, auf die es auch ankommt, bislang gelassen bleiben: die Unternehmen. Das war während der Finanzkrise 2008/2009 anders. Damals machten sich Konzerne und Kleinbetriebe große Sorgen, ob sie von den Banken noch Finanzierungen zu vertretbaren Konditionen erhalten würden. Die Furcht vor einer Kreditklemme war allgegenwärtig. Heute deuten alle Signale aus den Kammern und Verbänden darauf, dass die meisten Produzenten und Dienstleister bis jetzt nicht befürchten, dass die Finanzmarktturbulenzen ihr Geschäft beeinträchtigen. Jedenfalls vermelden die Kammern, dass der Mittelstand die Entwicklung gelassen sieht.

Natürlich handelt es sich hierbei um eine Momentaufnahme. Die größte Unbekannte auch für die Konjunktur bleibt die europäische Schuldenkrise. Wenn es schon im zweiten Quartal mit der Wirtschaft nur wenig aufwärtsging, könnte sich dieser Trend verlängern. Denn die Unsicherheit über die Eurozone und die Kursstürze haben sich zuletzt verstärkt und finden erst im Wirtschaftsverlauf des laufenden Quartals einen Niederschlag. Auch wenn die Euroländer ihre Probleme noch nicht gelöst haben, könnte sich die Lage dennoch etwas entspannen. Die Ausschläge an den Märkten sind auch deshalb so hoch, weil die Beschlüsse zur Stabilisierung der Eurozone, die der EU-Rat im Juli fasste, noch nicht umgesetzt sind. Dieser Schwebezustand ist ein Nährboden für die Spekulation. Sobald die Parlamente entschieden haben, ergibt sich für die Märkte eine neue Lage.