Die Wohnstadt Asemwald präsentiert sich heute noch fast so, wie sie Ende der 1960er Jahre entstand und Anfang der 1970er bezogen wurde. Rettungswege an der Außenseite einer solchen Fassade wären sehr aufwändig. Foto: Leserfotograf runner1007

Vor der Sperrung des Fernsehturms hat die Stadt bereits im Asemwald drastische Brandschutzmaßnahmen angeordnet. Mit Zwangsgeldern versucht sie den Vollzug durchzusetzen. Die Eigentümer der Wohnungen in den Hochhäusern wehren sich gerichtlich.

Stuttgart - Noch suchen die Richter des Verwaltungsgerichts Stuttgart nach einem Termin für die Verhandlung, doch der Showdown zwischen den Baurechtsexperten der Stadt und den Wohnungseigentümern vom Asemwald ist kaum mehr zu verhindern. Es ist der Schlusspunkt einer Auseinandersetzung um den Brandschutz in der Wohnstadt.

Schon am 3. Mai 2011 – also fast zwei Jahre vor der Sperrung des Fernsehturms wegen Brandschutzmängeln – verfügte das Baurechtsamt, wie erst jetzt bekannt wurde, dass in den drei Hochhäusern mit bis zu 23 Stockwerken und insgesamt etwa 1800 Bewohnern ein zweiter Rettungsweg geschaffen werden müsse. Dort, wo die Feuerwehr mit Leitern nicht hinkommt. An den Fassaden müssen Betontrennwände zwischen den kleinen Fensterputzbalkonen durchlässig werden. Das soll es den Bewohnern im Notfall ermöglichen, außen zu einem anderen Treppenhaus innerhalb desselben Gebäudes durchzukommen, falls jenes vor ihrer Wohnungstür nicht mehr benützbar ist.

Kleine Durchlässe habe es in den Betonelementen von Anfang an gegeben, sagt Kirsten Rickes vom Baurechtsamt. Die Öffnungen seien aber oftmals verschlossen und vergessen worden. Sie sind auch zu klein. Daher ordnete die Stadt an, dass sie auf eine Höhe von 1,20 Metern erweitert werden. Statt 40 Zentimeter Breite wären auch 90 Zentimeter erforderlich, meint Rickes. Doch da sei man einen Kompromiss eingegangen, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren.

„Wenn es 40 Jahre keine Probleme gab, kann es trotzdem am nächsten Tag brennen“

„Das ist doch ein Witz“, sagt eine Frau, die früher im Asemwald wohnte. Die meist älteren Bewohner könnten da im Notfall kaum durchkriechen. Für beleibte oder behinderte Menschen gäbe es schon gar kein Durchkommen. Andererseits hält sie die Brandschutzmängel für ein Thema. Sie selbst sei nicht nur wegen des hohen Mietpreises weggezogen, sagt die Frau, sondern weil ihr die Sache „buchstäblich zu heiß geworden ist“. Man könne nur zusätzliche Aufzüge mit offenen Metallkörben an die Fassaden bauen.

Dass der vom Baurechtsamt vorgezeichnete Rettungsweg nichts taugt, meint auch eine Wohnungseigentümerin und Bewohnerin, die ihren Namen nicht genannt wissen möchte. Sie zweifelt allerdings den Handlungsbedarf an. 40 Jahre lebe sie nun schon in einem der Hochhäuser. Sie fühle sich sicher. Im Übrigen: Nicht überall seien in den Betonelementen Durchlässe angelegt worden. Und nicht überall gebe es solche Balkone. Besonders für die Bewohner der Eineinhalb- bis Zweizimmerwohnungen, die in den Hochhaussektoren von Dreizimmerwohnungen flankiert werden, entstünde kein Rettungsweg. Sie müssten auch künftig ins angestammte Treppenhaus.

Die Amtsleiterin Rickes hält dagegen. „Wenn es 40 Jahre keine Probleme gab, kann es trotzdem am nächsten Tag brennen.“ Der aufgezeigte Weg sei „besser als nichts“. Baustatisch sei die Vergrößerung der Durchlässe nicht unmöglich, wie behauptet wird. Da die Durchlässe bis zum Balkonboden reichen, könnten Menschen auf der Flucht trotz der geringen Breite durchkriechen. Der Rettungsweg diene auch dazu, dass die Feuerwehr notfalls auf einem zweiten Weg zu den Bewohnern vordringen könne. Laut Rechtsprechung bestehe eine akute Gefährdung, wenn es den zweiten Rettungsweg nicht gebe. Das Baurechtsamt wolle keineswegs auf Biegen und Brechen einen Paragrafen der Landesbauordnung durchsetzen. „Es handelt sich hier um sehr wichtige Maßnahmen für die Sicherheit der Bewohner“, sagt Rickes. Wenn etwas passieren sollte, hätten die Eigentümer „ein Problem der Verantwortung“. Außerdem sei die Idee ursprünglich von der Eigentümerseite gekommen.

Verwaltungsgerichtshof erkannte „konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit“ der Bewohner

Die Eigentümergemeinschaft hat sich nach der Verfügung und der Anordnung des Sofortvollzugs im Mai 2011 freilich entschlossen zu wehren versucht. Sie lehnte es ab, rund eine Million Euro aufzuwenden, da der Rettungsweg über die zu kleinen Balkone absehbar untauglich sei. Der Versuch, den Sofortvollzug aufheben zu lassen, scheiterte aber bereits im Frühjahr 2012. Zunächst am Regierungspräsidium, dann am Verwaltungsgericht und schließlich am Verwaltungsgerichtshof. Er erkannte eine „konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit“ der Bewohner. Die Maßnahmen sollten die Gefahr verringern. Das wiege schwerer als das Interesse der Eigentümer, einen Aufwand von jeweils rund 800 Euro zu vermeiden.

Aber selbst die Tatsache, dass die Stadt inzwischen schon zwei Zwangsgelder eintrieb, hat die Eigentümer bisher nicht beirrt. Jetzt hoffen sie auf eine Entscheidung im Hauptverfahren beim Verwaltungsgericht. Ihr Amt, sagt Kirsten Rickes, würde sich auch jetzt noch mit einer Alternative befassen, doch der angekündigte Vorschlag eines Gutachters sei bisher nicht eingegangen.