"Ladung zum Antritt der Erzwingungshaft" steht über dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Rottweil. Eine im Zollernalbkreis lebende Mutter hätte hinter Gitter gemusst, weil sie sich weigerte, ein Bußgeld zu bezahlen. Verhängt wurde dieses gegen sie, da ihre in Freudenstadt wohnende Tochter immer wieder die Schule schwänzt. Foto: Schnurr

"Muss ich meinen Beruf aufgeben, um eine 15-Jährige zum Unterricht zu bringen?" Gesetzeslage ist dabei jedoch eindeutig.

Zollernalbkreis/Freudenstadt - Weil ein heute 15-jähriges Mädchen eine notorische Schulschwänzerin ist, muss ihre Mutter 100 Euro Strafe bezahlen – oder einen Tag im Knast sitzen.

Noch immer ruft die "Ladung zum Antritt der Erzwingungshaft" von der Staatsanwaltschaft Rottweil bei Annette W. (Name der Redaktion bekannt) Kopfschütteln hervor: Bis spätestens Montag, 15. September, müsse sie in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd antreten, steht darin – falls sie nicht eine Geldbuße von 100 Euro sowie die Verfahrenskosten von 57,25 Euro bezahle.

Das ist viel Geld für die zweifache Mutter, die nach zwei Bandscheibenvorfällen ihren erlernten Beruf aufgeben musste und derzeit eine Umschulung macht. Komme sie nicht von sich aus, werde man sie abholen lassen, schreibt die Vollstreckungsbehörde sinngemäß weiter.

Von Freudenstadt in Zollernalbkreis gezogen

Vor kurzem ist die 45-Jährige aus Freudenstadt in den Zollernalbkreis gezogen – eine unbescholtene Bürgerin, alleinerziehend, die als Altenpflegerin hart gearbeitet hat, um ihren beiden Kindern Wünsche erfüllen zu können. Die heute 15-jährige Franziska (Name geändert) hat ihrer Mutter diesen Einsatz schlecht vergolten – und ist jetzt auch der Grund, weshalb Annette W. im schlimmsten Fall hinter Gitter müsste.

"Jeden Morgen, bevor ich in die Arbeit bin, habe ich sie geweckt", berichtet die Mutter. "Man sollte sich darauf verlassen können, dass eine 14-Jährige dann von sich aus in die Schule geht." Aber ihre Tochter sei oft mit dem Bus zur Schule gefahren, dann jedoch nicht in den Unterricht gegangen und habe sie angelogen, dass sie dort gewesen sei.

Ihre erste Schule hat die Minderjährige daher im Einvernehmen mit der Schulleitung verlassen. Auch auf der zweiten habe Franziska "ständig Ärger" gemacht, erinnert sich ihre Mutter, im Unterricht mit dem Handy gespielt oder auf dem Pausenhof geraucht. Weil sie auch nicht regelmäßig zum Unterricht erschien, beschloss die Klassenkonferenz, eine Ordnungswidrigkeit anzuzeigen. Die Stadt Freudenstadt verhängte daraufhin im November ein Bußgeld gegen die Mutter, weil sie nicht dafür gesorgt hatte, dass ihr Kind verlässlich in die Schule ging.

Rein rechtlich ist die Lage eindeutig. Das baden-württembergische Schulgesetz sagt in den Paragrafen 85 und 86: Erziehungsberechtigte sind dafür verantwortlich, dass ihre Kinder regelmäßig am Unterricht teilnehmen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, kann die Schulaufsichtsbehörde ein Zwangsgeld verhängen.

Annette W. sagt aber, ihr sei bis heute unverständlich, dass der Schulleiter das zugelassen habe, obwohl er ihre schwierige Lage kannte: "Muss ich meinen Beruf aufgeben, um eine 15-Jährige zum Unterricht zu bringen?"

Ihrer Meinung nach wäre es sinnvoller gewesen, dem Mädchen Sozialstunden aufzubrummen, "damit sie etwas daraus lernt". Bei der Stadt Freudenstadt, dem Schulträger, hat sie gegen das Zwangsgeld Einspruch eingelegt. Danach hörte die Frau lange nichts mehr. Auf ein Schreiben vom Amtsgericht Freudenstadt im Juni reagierte sie nicht – sie solle zahlen, sonst werde "Erzwingungshaft" verhängt. Dann kam Ende August tatsächlich die Ladung von der Staatsanwaltschaft, die Haft in Schwäbisch Gmünd anzutreten.

Die erste Reaktion der Mutter: "Ein Schock, dass ich in Haft soll, wenn ich nicht bezahle. Warum soll ich für etwas bestraft werden, was meine Tochter gemacht hat?"

Das sieht sogar das Mädchen so, das inzwischen bei seinem Vater im Kreis Freudenstadt wohnt. Nachdem ihr kleiner Bruder ihr bei einem Besuch erzählt hat, dass die Mama womöglich ins Gefängnis müsse, schrieb Franziska einen Brief: Ihr tue das wahnsinnig leid – sie selbst müsse doch eine Strafe bekommen, nicht ihre Mutter.

Hinter Gitter will Annette W. auf keinen Fall: "Ich habe doch nichts getan. Vorher hänge ich mich auf", sagt sie verzweifelt. "Andere begehen Körperverletzung und bekommen eine Bewährung, und ich soll wegen dem Schwänzen ins Gefängnis."

Soweit wird es nun aber nicht kommen: Nach Beratung durch einen Anwalt hat sich die 45-Jährige letztlich entschlossen, das Zwangsgeld doch zu bezahlen. Die berufliche Chance, künftig das Büro ihres Lebensgefährten zu leiten, wollte sie nicht riskieren. Sie steht kurz vor der Prüfung zur Güterkraftverkehrsleiterin, und dafür benötigt sie ein sauberes, polizeiliches Führungszeugnis. "Ich hätte einen Eintrag bekommen, wenn ich nicht bezahlt hätte." Das Geld für die Überweisung an die Bußgeldbehörde hat sie von ihrem Partner bekommen.

Franziska ist Ende vergangenen Jahres allerdings auch von der zweiten Schule geflogen: Sie hatte zusammen mit einer Freundin auf der Schultoilette gezündelt, worauf das gesamte Gebäude evakuiert werden musste. Nach diesem schweren Vorfall wurde sie von der Schule ausgeschlossen. Seither besucht sie eine andere Bildungseinrichtung im Kreis Freudenstadt.