Das Quellwasser sprudelt in Flözlingen nicht mehr: Einige Brunnen sind fast versiegt. (Symbolfoto) Foto: crazymedia/ Shutterstock

Anwohner sitzen auf dem Trockenen. Historiker sieht Erhalt der Anlagen gefährdet.

Flözlingen - Darf der Nachbar das Brunnenwasser abgraben? Jahrhundertelang haben sich die Einwohner Flözlingens einvernehmlich mit Wasser aus verschiedenen Quellen versorgt. Nun droht ein Prozess vor dem Amtsgericht die historische Praxis zu gefährden.

Einfach ist das System der Wasserversorgung in Flözlingen nicht. Aber besonders, denn zusätzlich zum Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung gibt es in dem Ort mehr als 14 Brunnen. Viele Einwohner besitzen ein Brunnenrecht, das sie zur Entnahme von Quellwasser berechtigt.

Nun führt der Weg des Wassers meist über verschiedene Grundstücke: Das Quellwasser sammelt sich auf manchen Grundstücken in Brunnenstuben. Diese speisen über Leitungen Entnahmestellen auf angrenzenden Grundstücken, so genannte Fließbrunnen.

Unruhe bricht im Gerichtssaal aus

Bedingt ist das ausgeklügelte System durch die Hanglage des Ortes. Es ermöglicht die Verteilung des Wassers auf verschiedene Fließbrunnen allein durch Druckunterschiede. Das funktioniere seit Jahrhunderten, wie Recherchen des aus Flözlingen stammenden Kunstwissenschaftlers und Historikers Andreas Zoller zeigen.

Bis jetzt – denn vor dem Amtsgericht Rottweil ist nach dem Verkauf eines Grundstücks mit Brunnenstube ein Rechtsstreit entbrannt. Besitzer von angrenzenden Grundstücken mit Fließbrunnen sitzen auf dem Trockenen und sie machen den neuen Eigentümer dafür verantwortlich. Dieser entnehme der Brunnenstube zu viel Wasser, die Anklage lautet deshalb auf Unterlassung.

Während der Verhandlung bricht Unruhe im Gerichtssaal aus. Der seit April 2016 verhandelte Fall trifft auf großes öffentliches Interesse. Denn es geht darum, ein historisches Brunnenrecht durchzusetzen. Das betrifft auch die Nutzung der anderen Brunnen im Ort.

Das Brunnenrecht berechtigte die Besitzer von Grundstücken mit Entnahmestellen seit Jahrhunderten dazu, Quellwasser zu beziehen. Außerdem sieht es vor, dass sich diese Grundstückseigentümer um die Instandhaltung der Brunnenstuben auf fremden Grund und Boden kümmern.

Doch laut der Anwältin der klagenden Brunnenbesitzer kommen inzwischen statt sechs nur noch 0,6 Liter pro Minute in den Fließbrunnen an. Außerdem verwehre der neue Grundstückseigentümer seinen Nachbarn den Zugang zur Brunnenstube und verhindere damit notwendige Reparaturen. Als Grund vermuten die Brunnenbesitzer nicht nur unverhältnismäßig hohe Wasserentnahmen durch den Angeklagten. Sie sprechen auch von einer möglichen "Verschlammung". Zudem habe der Angeklagte Baggerarbeiten vorgenommen, um eine eigene Leitung in die historische Brunnenstube zu verlegen. Dabei habe er diese beschädigt, womöglich sei Erdreich in die Leitungen gekommen.

Der Beschuldigte indes nimmt die Vorwürfe regungslos zur Kenntnis. Er sehe sich nicht in der Pflicht, die Wasserversorgung der Geschädigten sicherzustellen. Außerdem entnehme er nur bedarfsgerecht Quellwasser aus der Brunnenstube auf seinem Grundstück – im Gegensatz zu den Fließbrunnen.

Die Kläger runzeln die Stirn, lehnen sich angespannt in ihren Stühlen nach vorne, als die Richterin ihre Fallprüfung vorträgt. Denn das Brunnenrecht ist zwar einerseits durch einen Herrschvermerk im Grundbuch der begünstigten Grundstücke eingetragen. Andererseits ist keine entsprechende Belastung bei den Grundstücken, auf denen sich Brunnenstuben befinden, vermerkt. Diese erforderliche Belastung fehlt auf allen Grundstücken mit Brunnenstuben in Flözlingen. Ohne Belastung kein Brunnenrecht, erklärt die Richterin.

Das sorgt nicht nur bei den Klägern, sondern auch bei den Zuschauern für Unmut, woraufhin die Richterin mahnend eingreifen muss. "Wenn das so durchgeht, dann gibt es eine Veränderung im Ort", sagt eine Zuschauerin unserer Zeitung. Historiker Zoller finde es "schade", dass die Rechtsprechung gegen die ortsübliche Handhabung gestellt werde.

Indes, die zuständige Richterin sehe in dem Prozess keinen Präzedenzfall, erklärt sie auf Nachfrage. Dennoch beeinflusse das noch ausstehende Prozessergebnis sehr wahrscheinlich den zukünftigen Umgang mit den anderen Brunnen, meint die Klägeranwältin.

Nachdem Vergleichsversuche wiederholt gescheitert sind, schließt die zuständige Richterin gestern die mündliche Verhandlung. Sie setzte für Anfang August einen Verkündungstermin an. Dabei behalte sie es sich vor, ein Urteil zu sprechen oder Zeugen vorzuladen. Die Kläger wiederum kündigten an, im Falle eines Urteils in Berufung gehen zu wollen, falls keine Zeugenanhörung stattfinde.

Zuschauer zeigten sich nach der Verhandlung entrüstet. Man habe die Kläger "um ihre Zeugen beraubt" lauten die Vorwürfe. Doch nicht nur im Gerichtssaal, auch im Ort scheint die Stimmung derzeit angespannt. Die Kläger berichten von Bedrohungen durch den Angeklagten, dessen Anwalt beklagt, es werde Stimmung gegen seinen Mandanten gemacht.

Bei all dem Trubel rückt Zoller im Gespräch mit unserer Zeitung die Brunnen in den Mittelpunkt. Ein solches Prozessergebnis käme einem "Todesurteil" für die historischen Anlagen gleich.