Immo Opfermann hat das Leben und Sterben von Paul Marek anhand von Briefen aus dem Gefängnis dokumentiert. Foto: Fotos: Ungureanu

Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde Paul Marek, ziviler Werkmeister im KZ-Außenlager Erzingen, vom französischen Militärgericht zum Tode verurteilt. Das Gericht revisierte das Urteil, verhängte 20 Jahre Zwangsarbeit. Auf Einladung des Arbeitskreises "Wüste" zeichnete Immo Opfermann in der Balinger Zehntscheuer das Bild eines Mannes, der am Ende wohl eher ein Opfer gewesen ist.

Balingen - Die Mappe mit den Briefen von Paul Marek aus dem Gefängnis und den Unterlagen, die seine Frau akribisch sammelte, habe ihm deren Tochter Dorothea schon vor Jahren gegeben, seit er sich mit dem Unternehmen "Wüste" befasst habe, sagte Opfermann. Seither habe ihn das Thema beschäftigt, er habe es anhand der Dokumente, die ihm zur Verfügung standen, aufarbeiten wollen.

Was der Referent an diesem Abend in der Zehntscheuer deutlich gemacht hat, war, dass es hier nicht um den klassischen Täter ging, vielmehr um den schmalen grat, der den Täter vom Opfer trennt. Umstritten sei mittlerweile auch die Tatsache, dass es damals nur Angeklagte aus den Reihen der Kriegsverlierer gegeben habe.

Anklage forderte die Todesstrafe

"Croquignole" hatte man ihn in Erzingen genannt. Das bedeutet so viel wie "Nasenstüber". Wer den Namen hörte, habe gleich gewusst, wer damit gemeint sei. Er selbst habe eingeräumt, dem ein oder anderen mal einen "Schubs" gegeben zu haben, denn "bei schwerer Arbeit muss jeder aufpassen". Und: "Keiner ist an der Arbeit gestorben." In Balingen im Gefangenenlager war Marek schwer misshandelt worden, in der Anklage war die Rede von einem "besonders brutalen deutschen Sackmeister", der einen Kranken mit einem Gummiknüppel misshandelt und andere mit der Faust oder einem Holzknüppel geschlagen haben sollte.

Die Anklage forderte die Todesstrafe. Die Pflichtverteidigerin Helga Kloninger, eine promovierte Juristin, konnte das verhindern. Keine Gnade, sondern Gerechtigkeit forderte sie – und erreichte 20 Jahre Zwangsarbeit im französischen "Kriegsverbrechergefängnis" in Wittich in der Eifel.

Von dort schrieb Paul Marek Briefe an seine Frau Helene. Die Geburt seiner Tochter Dorothea erlebte er nicht mehr in Freiheit. In den Briefen, 20 mal 20 Zentimeter groß, in "gut lederlicher Druckschrift", ist von der Tochter immer nur die Rede als "das Kind".

Sechs Tote in Außenlager

Derweil erschienen in der Boulevardpresse "fürchterliche und ignorante Verdrehungen der Tatsachen". So wurde behauptet, dass die Häftlinge im KZ-Außenlager Erzingen "so gründlich beseitigt" worden seien, dass es keine Zeugen mehr gebe. Dabei habe es in Erzingen während des einhährigen Bestehens des Außenlagers nur sechs Tote gegeben, sagte Opfermann. In einem Brief aus Wittich schreibt Marek: "Nur Arbeit habe ich verlangt, sonst gar nichts".

Alle Gnadengesuche halfen nichts, obwohl sich das ganze Dorf Erzingen und auch ehemalige Häftlinge für ihn einsetzten. Lediglich eine Haftverkürzung um fünf, später um weitere zwei Jahre, wurde in Aussicht gestellt. "Die Goldfasane sind immer noch in freiheit, der kleine Mann muss jetzt büßen", kommentierte Marek. Frau und Tochter gerieten in große Not, als deren Haus in Erzingen abbrannte. "Sie waren heimatlos geworden", sagte Opfermann.

Das das Urteil gegen Paul Marek zehn Jahre nach Kriegsende 1955 vom Balinger Sozialgericht als falsch eingestuft und revidiert wurde, erlebte er nicht mehr. Nachdem er an Weihnachten 1952 vergebens auf eine Begnadigung gewartet hatte, erhängte er sich im Februar 1953 in seiner Zelle. Haftpsychose? Depression? Das Motiv stehe bis heute nicht fest, sagte Opfermann.