Ein digitaler Blick in die Zukunft oder ein virtueller Plausch am Baustellenzaun – die Ideen, mit denen das Unternehmen Imsimity die Umgestaltung der Stadtmitte begleiten will, kamen im Gemeinderat gut an. Lediglich die Kosten sorgen schon jetzt für Diskussionen.
St. Georgen - Die Umgestaltung der Stadtmitte ist für St. Georgen ein Mammutprojekt, welches das Gesicht der Stadt nachhaltig verändern wird – so nachhaltig, dass für viele kaum nachvollziehbar ist, wie die Stadtmitte nach den Arbeiten einmal aussehen wird. Das beginnt bei der Farbe der Pflastersteine, setzt sich beim künftigen Erscheinungsbild des Rathauses fort und endet noch nicht mit der Frage, wie die Ausfahrt der Tiefgarage künftig aussehen soll.
Hilfe aus dem TZ?
Um die geplante Entwicklung für die St. Georgener sicht- und erlebbarer zu machen, will die Stadtverwaltung das im Technologiezentrum ansässige Unternehmen Imsimity zu Hilfe holen, das die Umgestaltung der Stadtmitte mit digitalen Mitteln begleiten soll. Wie diese aussehen könnten, präsentierte Imsimity-Geschäftsführer Martin Zimmermann jüngst den St. Georgener Gemeinderäten. Dabei zeigte sich eines sehr deutlich: Die Möglichkeiten sind vielfältig. "Das sind alles Dinge, die eigentlich nur limitiert sind durch ihre Vorstellungskraft", meinte Zimmermann an die Räte gewandt.
Die Idee, die Innenstadtsanierung über digitale Medien näher an die St. Georgener Bevölkerung zu bringen, ist nicht mehr neu. Schon seit mindestens drei Jahren sei man an dem Thema dran, teilte Alexander Tröndle, Leiter des städtischen Bauamts, den Räten mit. Schnell war der Kontakt zu Imsimity hergestellt, die in der Stadt ihren Sitz hat und bereits vergleichbare Projekte für andere Städte und Gemeinden in der Region durchgeführt hat.
Komplette Innenstadt für die Nachwelt festhalten
In der Bevölkerung sei "ein unglaubliches Interesse" für die Innenstadtumgestaltung da, berichtete Tröndle seinen Eindruck unter anderem aus Gesprächen mit Grundstückseigentümern im Bereich der Innenstadt.
Auch deswegen wolle man es den St. Georgenern noch leichter machen, den bevorstehenden Wandel nachzuvollziehen. Und nicht nur das. Als ein Teil des Projekts sehen es Stadtverwaltung und Imsimity auch, das "alte St. Georgen" in seinem jetzigen Zustand für die Nachwelt festzuhalten. Einige Gebäude haben die Mitarbeiter von Imsimity daher bereits digital erfasst – den Roten Löwen etwa. Schritt für Schritt soll die komplette Innenstadt folgen.
Die Innenstadt in dieser Form zu sanieren, betonte Zimmermann, sei ein Meilenstein für die Stadt. Digitale Möglichkeiten könne man in diesem Zusammenhang nicht nur nutzen, um die Bürger zu informieren, sondern auch, um sie am Prozess zu beteiligen. Die digitalen Visualisierungsmöglichkeiten, erzählte Zimmermann aus seiner Erfahrung etwa bei der Erneuerung des Herrnhuter Platzes in Königsfeld, würden zwar nicht helfen, Diskussionen über die geplanten Maßnahmen zu vermeiden, sie würden sie aber immerhin versachlichen.
Der Imsimity-Geschäftsführer machte am Beispiel des Rathauses deutlich, wie virtuelle Realität helfen kann. Sie mache ein Rätselraten und Mutmaßen unnötig, weil man die Optionen quasi zum Leben erwecken könne. Wie sieht ein Rathaus-Neubau aus? Wie das vorhandene Gebäude mit einer Fassadenbegrünung? Und wie nach einer Sanierung? Digital könnten diese Möglichkeiten allesamt abgebildet werden – und zwar in 3D und wahlweise auch immersiv mit Virtual oder Augmented Reality.
Informationsveranstaltungen und geführte Präsentationen über digitale Plattform
Die entsprechend aufbereiteten Informationen sollen dann im Internet bereitgestellt werden, sodass – das ist die Vision von Imsimity – sie jeder Interessierte jederzeit abrufen kann. Auch über verschiedene Geräte – von der VR-Brille über das mobile Smartphone bis hin zum herkömmlichen PC – soll das Ganze funktionieren. Eine Plattform soll so entstehen, auf der sich die St. Georgener als Avatare bereits vorab durch die künftige Innenstadt bewegen, miteinander in Kontakt treten und sich austauschen können. Auch Informationsveranstaltungen und geführte Präsentationen, erläuterte Zimmermann, könnten über diese digitale Plattform stattfinden.
Dabei kann das Modell nicht nur den angestrebten Endzustand der Innenstadtumgestaltung anzeigen. Auch diverse Zwischenstände und Bauabschnitte könnten dargestellt werden. Die Anwendung müsste also nicht nur einmal erstellt, sondern auch kontinuierlich aktualisiert und angepasst werden. Sonst verliere sie ihren Reiz, waren sich Tröndle und Zimmermann einig. Auch eine Anpassung im Jahresverlauf wäre denkbar, lautet eine weitere Idee von Imsimity – so könnten Interessierte beispielsweise bereits vorab erleben, wie die neue Innenstadt aussehen könnte, wenn dort gerade das Stadtfest oder der Weihnachtsmarkt stattfindet.
Die digitale Begleitung der Innenstadtumgestaltung könnte auch der Verwaltung und dem Gemeinderat bei der Entscheidungsfindung helfen, gab Bauamtsleiter Tröndle zu bedenken – etwa in Bezug auf die Bepflasterung des Marktplatzes. Er selbst könne sich anhand einer Vier-Quadratmeter-Fläche an Pflastersteinen nur schwer vorstellen, "wie welcher Stein in der Fläche wirkt". Ein virtuelles Modell der Innenstadt, in dem man sich die verschiedenen Möglichkeiten ansehen könnte, würde da helfen, war Tröndle überzeugt.
Nicht nur Zustimmung
Von den Gemeinderäten gab es für die vorgestellten Ideen reihum Lob – und größtenteils auch Zustimmung. "Wenn wir jetzt diese Chance nutzen können, dann sollten wir das tun", meinte etwa Hansjörg Staiger (SPD). Und auch Karola Erchinger (Freie Wähler) fand es "total klasse, wenn wir uns das leisten können und wollen". Es gehe immerhin auch um die Außenwirkung der Stadt, merkte Marc Winzer (Freie Wähler) an und betonte, dass das Angebot auch von Menschen, die nicht in St. Georgen wohnen, sicherlich gerne genutzt würde.
Kritischere Töne schlug da Gemeinderat Axel Heinzmann (Grüne Liste) an. Wenn er Bilder von VR-Brillen sehe, "wird der Kundenkreis immer sehr klein". Letztlich gehe es darum, wer die Angebote, die man hier schaffen wolle, auch wirklich nutze – und natürlich darum, wie viel das Ganze kosten soll. Denn darüber hatte man noch gar nicht gesprochen. Und dabei sollte es auch bleiben, denn Ziel des Tagesordnungspunkts war es lediglich, den Gemeinderat über die Möglichkeiten zu informieren und den Beschluss zu fassen, dass die Verwaltung ein gegliedertes Angebot bei Imsimity einholen soll.
Auch Dirk Schmiders (Grüne Liste) Antrag auf eine Kostendeckelung des Projekts von vorn herein – weil dieses ja nicht nur einmal, sondern kontinuierlich Kosten verursachen werde – fand schließlich keine Anhänger. Bereits vor dem Projektstart über die Kosten zu reden, hielt Jochen Bäsch (FDP) etwa für "ein bisschen verfrüht". Er war sich sicher, dass die Entwicklung in Zukunft in diese Richtung gehen werde und dass man das Projekt deshalb auf jeden Fall weiter verfolgen sollte. Dem stimmte auch Constantin Papst (CDU) zu, als er sagte: "Sicherlich darf es nicht ausufern, aber man sollte da auch nicht zu kurz springen."
Zukunftsmusik
Als Sahnehäubchen auf dem Projekt, das auch im Anschluss an die Innenstadtumgestaltung noch weiterleben könnte, sahen Imsimity-Geschäftsführer Zimmermann und einige Räte die digitale Belebung des alten Klosters, das ebenfalls in die bereits erwähnte Plattform integriert werden könnte. "Aber sicherlich als dritter oder vierter Schritt", merkte Zimmermann an.
Doch das ist noch Zukunftsmusik. Zunächst wird Imsimity ein Angebot für verschiedene Begleitmöglichkeiten – von einzelnen digital erfassten Gebäuden bis zum ganz großen Paket – erstellen und der Stadt vorlegen. Der entsprechende Beschluss für den Auftrag an die Verwaltung erging mit drei Enthaltungen. Anschließend wird das Gremium über die konkreten Möglichkeiten beraten – auch die Kosten werden dann sicherlich noch einmal eine Rolle spielen.
Begriffserklärungen: Extended Reality
Von vielen verschiedenen Realitäten und Abkürzungen ist im Umgang mit neuartigen Technologien dieser Art oft die Rede. Zusammengefasst werden sie unter dem Begriff Extended Reality (XR), zu Deutsch erweiterte Realität. Unterformen sind Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR). Im Zuge der AR wird die reale Welt mit virtuellen Objekten und Informationen überlagert. Im Gegensatz dazu taucht der Benutzer bei VR komplett in eine digitale Umgebung ein. Die reale Umgebung wird dabei kaum mehr wahrgenommen. In der MR, die auch als hybride oder gemischte Realität bezeichnet wird, existieren digitale und reale Dinge nebeneinander. Diese können dann sogar miteinander interagieren.