Er legt die Finger in die Wunde: Wolfgang Schorlau, der Erfinder des Privatdetektivs Georg Dengler. Foto: dpa

Acht Romane mit dem Ermittler Georg Dengler hat der Bestsellerautor Wolfgang Schorlau bisher geschrieben. Im November erscheint sein neunter: „Der große Plan“ untersucht die Griechenlandkrise.

Stuttgart - Unter den Krimi-Autoren der Republik ist er der politischste: Sein Privatdetektiv Georg Dengler geht den Machenschaften von Geheimdiensten und Neo-Nazis, Militärs und Konzernen nach. Acht Dengler-Romane mit einer Gesamtauflage von fast zwei Millionen Exemplaren hat der in Stuttgart lebende Wolfgang Schorlau bisher geschrieben. Mit dem im November erscheinenden neuen Thriller will der 66-jährige Bestsellerautor die Erfolgsserie fortsetzen: Im „großen Plan“ lässt er Dengler nach Athen, in die Welt der Troika und der internationalen Finanzpolitik reisen.

Herr Schorlau, wie kommt Ihr in Stuttgart lebender Privatdetektiv dazu, Ermittlungen im Fall Griechenland aufzunehmen?
Georg Dengler erhält einen Auftrag vom Auswärtigen Amt: Eine Mitarbeiterin ist verschwunden. Sie hatte eine hohe Funktion im Stab der Troika, der Institution, die über die Finanzhilfen für Griechenland entscheidet. Ich wollte wissen, auf welchen Konten die vielen Milliarden der „Griechenlandhilfe“ letztlich gelandet sind. Mir fiel auf, dass man dazu trotz überbordender Berichterstattung nichts erfuhr. So machten wir uns beide an die Arbeit. Georg Dengler ist gut im Suchen und Finden von Personen. Er hat schon in der Pharmaindustrie, in der Fleischindustrie, in multinationalen Konzernen ermittelt . . .
. . . und ist dabei zuverlässig auf Verschwörungen gestoßen.
(lacht) Ja, ja, weil Dengler bei seinen Ermittlungen immer hinter die Kulissen schaut, wird mir hin und wieder der Vorwurf der Verschwörungstheorie gemacht.
Wie gehen Sie damit um?
Meine Erfahrung ist: diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, mögen Denglers Blick hinter die Kulissen nicht sonderlich. Aber ich halte es mit Friedrich Dürrenmatt: Eine Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Bei der „Schützenden Hand“, dem Roman über den NSU-Komplex, interpretierte ich die offiziellen Fakten in der fatalsten Version, die ich mir vorstellen konnte: dass der Verfassungsschutz den terroristischen Rechtsradikalismus weitgehend finanziert, organisiert und steuert. Verblüffenderweise stellte sich heraus, dass die katastrophalste Deutung die wahrscheinlichste ist. Immerhin kann Dengler häufig sehr gründlich nachweisen, dass die offiziellen Geschichten, die uns erzählt werden, falsch sind. Das ist auch bei seinem neuen Fall so. Er stößt tatsächlich wieder auf einen Komplex aus Wirtschaft, Politik und Verbrechen. In Athen, Berlin und auch in Stuttgart dringt er ins Dickicht der Griechenlandkrise ein, die sich ihm letztlich als Bankenkrise darstellt. Um auf die Spur der vermissten Frau zu kommen, muss er diese Krise verstehen . . .
. . . und der Leser den Romantitel vermutlich ernst nehmen: „Der große Plan“ – wer hat da was und wozu geplant?
Schauen Sie: wenn Sie mir Geld leihen, obwohl Sie wissen, dass ich pleite bin, tragen Sie dann nicht auch Verantwortung, wenn ihr Investment in mich verloren geht? Tatsächlich haben Banken und institutionelle Anleger – reiche Privatleute, Versicherungen und so weiter – griechische Anleihen wegen ihrer hohen Verzinsung gekauft, in der Hoffnung, dass bei einer griechischen Zahlungsunfähigkeit der europäische Steuerzahler einspringt. Genau das ist geschehen. Die Europäische Zentralbank kaufte ihnen die Anleihen zum vollen Wert ab, obwohl sie de facto nur noch einen Bruchteil davon wert waren. Mit Ihrem Geld, mit meinem und dem der Leser dieses Interview. Nun schuldet Griechenland das Geld nicht mehr privaten, sondern öffentlichen Einrichtungen. Diese Entschuldung von Privaten wurde uns als Hilfe für Griechenland verkauft, verbunden mit einer ziemlich üblen Kampagne, die uns einen Sündenbock präsentierte: Die Griechen seien faul und unzuverlässig seien. Ein ökonomisches Strukturproblem wurde in die Charakterschwäche eines Volkes umgedeutet. Unser Zorn sollte sich auf die griechische Bevölkerung richten und nicht auf die tatsächlichen Nutznießer des großen Plans: Bis heute glaubt die Öffentlichkeit, das Geld wäre in den griechischen Staatshaushalt geflossen.

„Die offizielle Lesart der Krise steht im eklatanten Widerspruch zur Realität“

Und das ist ein Irrtum?
Von der gewaltigen Summe von etwa 250 Milliarden Euro sind in Athen – das sagen alle Experten – höchstens zehn Prozent angekommen, nach meinen Recherchen sogar nur 5 Prozent. Der Rest floss im Wesentlichen an deutsche, französische und amerikanische Banken, die sich mit Griechenland verzockt haben, sowie in Rückzahlungen an die EZB und den internationalen Währungsfonds. Vermutlich waren die Gelder nur ein paar Stunden in Athen, bevor sie dann zurückflossen nach Frankfurt und London. Der „große Plan“ ist also: Europas Steuerzahler übernehmen die Schulden der privaten Geldinstitute und reicher Privatpersonen.
Also doch: Verschwörung des Kapitals!
Nennen Sie es, wie Sie wollen. Es ist der Stoff meiner Romane: Wie wenig die Fakten, die man mit einiger Mühe recherchieren kann, mit der großen Erzählung zusammen hängen, die wir alle mehr oder weniger glauben. Was Griechenland anlangt, herrscht nach wie vor die Meinung, die Griechen hätten über ihre Verhältnisse gelebt und jetzt regle die Troika all jene Dinge, die zu regeln die Griechen selbst nicht imstande sind. Um es mit Schäuble zu sagen: Die Griechen müssen lernen, ihre Hausaufgaben zu machen. Der faule Pleitegrieche: aus solchen Vorurteilen speist sich die offizielle Lesart der Krise, die in eklatantem Widerspruch zur Realität steht.
Und da können Sie und Dengler nicht still halten.
Das Fatale ist ja: es wird in Griechenland nichts gerettet. Das Land hat 11 Millionen Einwohner, etwa soviel wie Baden-Württemberg. Und trotz der gewaltigen Geldströme geht es den Menschen in Griechenland immer schlechter. Die Dolmetscherin, die mich bei meinen Recherchen begleitete, erzählte mir eine Geschichte aus der Klasse ihrer Tochter, die ich in ähnlicher Form oft hörte: Kinder fallen im Unterricht ohnmächtig um aus Hunger. Ich hörte viele Geschichten von Kranken, die sich keine Operationen mehr leisten können, auch keine Medikamente. Ich hörte von Diabetikern, für die Insulin unerschwinglich geworden ist, und deren Hände und Arme deshalb amputiert wurden. Ich selbst war in Schulen, Gesundheitszentren, Suppenküchen, Stadtquartieren: Die Not ist in Europa ohne Beispiel. Die politischen Maßnahmen – Sozial- und Rentenkürzungen bei steigender Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen– verwandeln Griechenland in ein Land der Dritten Welt.

„Wir Deutsche haben einen blinden Fleck in unserer Wahrnehmung“

Welche Rolle spielt dabei die Troika, die sich neuerdings „Institution“ nennt?
Die Institution: der Name passt, er hat einen Beiklang von Mafia. Die Troika ist die eigentliche Regierung in Griechenland, obwohl sie von niemandem gewählt worden ist. Ich hatte Gelegenheit, an einer Sitzung des Zentralkomitees der Regierungspartei Syriza teilzunehmen. Dort berichtete ein Minister von den Verhandlungen über das mittlerweile beschlossene neue „Rettungspaket“. Die Troika verlangte eine Senkung des Haushalts um 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist sehr viel Geld. Doch die Institution schien großzügig und versprach auch 2 Prozent Erleichterung, wenn 1 Prozent der Kürzungen von den Rentnern genommen würde. Die Regierung sagte, das sei kaum möglich, viele Rentner könnten ihren Lebensunterhalt nicht mehr aus der jetzigen Rente bestreiten. Man sollte ihnen also auch 1 Prozent der Erleichterung zukommen lassen. Nein, sagte die Institution, die 2 Prozent Erleichterung sei allein für die Senkung des Spitzensteuersatzes vorgesehen.
In der Öffentlichkeit ist die Griechenland-Krise aus dem Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Glauben Sie, mit Ihrem Roman das ändern zu können?
„Der Große Plan“ ist ein Buch über Griechenland, vor allem aber ein Buch über Deutschland. Wenn man die veröffentlichte Meinung hierzulande liest, scheinen wir Deutsche zu jeden anderen Land Europas eine bestimmte, meist abwertende Auffassung zu haben. Die Briten mit dem Brexit, die Franzosen mit ihrer kaputten Wirtschaft, die Italiener mit ihrem Chaos, die Amerikaner mit ihrem durchgeknallten Präsidenten, die Türken sowieso und von den Russen ganz zu schweigen. Eigentlich super, mal ehrlich, das sind nur wir. Seltsam, dass nahezu jede Partei in Europa, ob rechts oder links, ob Macron oder Le Pen mit Stimmungsmache gegen Deutschland erfolgreich Wahlkampf führen kann. Offensichtlich haben wir einen blinden Fleck in unserer Wahrnehmung, den ich zusammen mit Dengler ausleuchten will: die Angst der europäischen Nachbarn, vor allem im Süden, unter die Knute Deutschlands zu geraten. Griechenland wird jetzt als Beispiel vorgeführt, wie diese Knute schmeckt. Es sollte uns alle beunruhigen, dass diese hässliche Seite der EU weitgehend und nicht ganz grundlos den Deutschen zugerechnet wird.
In Ihrem letzten Krimi „Die schützende Hand“ haben Sie die NSU-Morde untersucht – und viel Dokumentarmaterial in den Roman aufgenommen. Werden Sie das wieder tun?
Der NSU-Roman war ein Doku-Thriller. Ich bemühe mich, für jeden „Dengler“ eine neue Form zu finden. Auch für den „Großen Plan“. Lassen Sie sich überraschen.

Das Gespräch führte Roland Müller.

Dengler im Fernsehen

Georg Dengler, den Stuttgarter Ermittler von Wolfgang Schorlau, gibt es seit zwei Jahren auch im Fernsehen. Voraussichtlich im November zeigt das ZDF den dritten Film mit ihm: „Die schützende Hand“ über die NSU-Morde, wie die beiden Vorgänger abermals unter der Regie von Lars Kraume und mit Ronald Zehrfeld als Denglerund Birgit Minichmayr als Olga. Derzeit verfilmt das erstklassige Team einen vierten Dengler-Krimi: „Fremde Wasser“ über die im globalen Rahmen stattfindende Privatisierung des Wassers.

Der neue Dengler-Roman „Der große Plan“ kommt am 9. November in den Buchhandel. Am gleichen Tag wird Wolfgang Schorlau das Buch bei einer Lesung mit Gespräch im Stuttgarter Hospitalhof vorstellen.