Tapetentrends: Blumenmotive, die sich auf der ganzen Wand zum Bild formen – oder auch einfarbige, halbabstrakte Muster. Foto: Hersteller/Little Greene

Wohntrend: Skandi-Farben, Tapeten mit Pfauenfedermuster und blaue Deckenfarbe – ein Besuch bei der Stuttgarter Malerin und Interior-Expertin Christine Schönherr.

Alles kommt wieder. Manchmal muss man nur lang genug warten, dann wird auch eine Tapete aus den frühen 80ern wieder modern– allerdings könnte es sein, dass sie bis dahin ganz schön staubig geworden ist.

Von Stofftapeten ist die Rede. Sie verfügen über Cord, Samt, Seide – oder über Grasfasern. Tapeten sind das, die nicht plan an der Wand liegen, sondern aufgeraut und stofflich angereichert sind und sich gut anfühlen.

Tapeten, die sich gut anfühlen

Womöglich sind das Nachwirkungen aus der Corona-Zeit, in der das Leben möglichst kontaktlos vonstatten gehen sollte – das Bedürfnis umfasst offenbar nicht nur jenes nach menschlicher Berührung, sondern auch danach, haptisch angenehme Dinge anzufassen. Und Lust auf Farbe, Muster, alles, das mit einer frohen Lebensfeier assoziiert ist.

So erlebt es auch die Künstlerin und Interior-Expertin Christine Schönherr, die mit dem Farbwerk einen feinen Laden in der Augustenstraße 33 im Stuttgarter Westen führt. Vor einer Tapete aus Pfauenfedern, die sich hervorragend zu dem mutig blau gestrichenen Deckenfarbe macht, sind die gläsernen Probetiegel der Farben des englischen Unternehmens Little Greene ordentlich nebeneinander aufgereiht wie Elixiere einer Apotheke.

Little Greene ist bei Farbfreunden mindestens so beliebt (weil familiengeführt) wie die bekanntere Firma Farrow & Ball. Beide Hersteller punkten mit historischen Farbtönen mit fantasievollen Namen wie „Castell Pink“, „Julie’s Dream“, „Bombazine“ und „Blanc de Treillage“.

Bei Tapetentiteln wie „Belton Scenic Pavilion“, dessen Original sich im Schlafzimmer des Belton House in Lincolnshire befindet, fühlt man sich, als weile man in einem Salon oder Boudoir der TV-Serien wie „Bridgerton“ oder „Downton Abbey“ oder in einer Jane-Austen-Romanverfilmung. Tapetenmuster aus dem 18. und 19. Jahrhundert werden zum Teil neu interpretiert und sind extrem nachgefragt.

Das Bedürfnis, sein Daheim zu schmücken, ist freilich noch viel älter, man denke an die steinzeitliche Höhlenmalerei. Auch tierische und pflanzliche Wandbehänge kannte man dann auch schon bei den Babyloniern, den Griechen und Römern. „In der Renaissance erhielt die Verkleidung der ganzen Wand einen festen Platz“, schreibt Sabine Thümmler in ihrem Buch „Die Geschichte der Tapete“.

Goldleder, Seidenstoffe, Tapeten, die mit Wollstaub bedeckt waren, kamen seither in Schlössern, Burgen, Herrschaftshäusern und bürgerlichen Wohnstuben zum Einsatz. Reichtum und Selbstdarstellung auch entlang der Wand inszeniert – all das ist längst nicht mehr nur dem Adel vorbehalten, sogar im kühl anmutenden Bauhaus der 1920er kamen Tapeten zum Einsatz und wurden Bestseller. Die Firma Rasch produzierte in den Jahren von 1929 bis 1933 Exemplare in modernen Farben, die inzwischen bei sikkens.de erhältlich sind.

Dunkle, heimelige Farbtöne

Und heute? „Die 70er Jahre mit ihren großen Mustern und die 80er mit ihren Brauntönen wurden in den 90ern durch die weiße Raufasertapete abgelöst“, sagt Christine Schönherr, „langsam wird diese white cube Ästhetik durchbrochen.“

Expertin für Farben,Tapeten und Raumgestaltung: Christine Schönherr im Farbwerk. Foto: Farberk/PR

Alles in weiß – das ist praktisch, wirkt aber auch hart – zudem, das betonen Innenarchitekten immer wieder, sei es ein Vorurteil, dass weiße Räume grundsätzlich voluminöser wirken. Was deutlich wird, wenn man sich im Farbwerk umschaut, auch der rückwärtige Flur mit dunklen Neutraltönen in Kreidefarben der Farbendesignerin Anna von Mangoldt gestrichen, wirkt einladend und geräumig.

Wer sich ein pinkfarbenes Wohnzimmer noch nicht zutraut, kann mit solch gedeckten Farben beginnen. Das tun offenbar viele. Little Greenes Kreativdirektorin Ruth Mottershead sagt: „Wir sehen einen Trend weg von kühlen, grauen Innenräumen und hin zu einer wärmeren Palette natürlicher Farbtöne, darunter sanfte, neutrale Honig-, Karamell- und Schokoladentöne, die Wärme und Behaglichkeit in unsere Häuser bringen.“

DieserTrend gefällt offenbar auch die Kundinnen und Kunden in Stuttgart. Auf den zu den Farben und Tapeten gehörenden Farbkarten im Farbwerk prangt ein Post-it-Zettel „Skandi-Farben“ – also eher Naturtöne in Braun, Beige. „Dieser Trend ist in Stuttgart ungebrochen, doch immer häufiger kommt auch mal ein knalliges Rot, ein Ultramarin zum Einsatz.“

Retromuster und Pflanzenmotive

Das macht sich dann auch gut in Kombination mit auffälligen Tapeten, seien es Blumenmuster, grafische Muster, Tiermotive. Das Deutsche Tapeten-Institut hat unter den aktuellen Trends neben dezenter interpretierten Retromustern auch Pflanzenmotiven fürs Dschungelgefühl mitten in der Großstadtwohnung, auch wandfüllende Gemäldemotive ausgemacht, oder Blumenwiesen, die die ganze Wand bedecken wie im Entree des Farbwerks.

Wer nicht den ganzen Raum samt Decke in einen Dschungel verwandeln mag, kann beispielsweise einen Ton, der in einer Tapete zu finden ist, für Wand- und Deckenfarben einsetzen. „Wichtig ist immer auch, die Möbel und den Fußboden mit zu bedenken und wie sie zu den Tapeten passen“, sagt Christine Schönherr. „Die Lichtverhältnisse und die Raumgröße sind ebenfalls Aspekte, die zu beachten sind.“

Große Muster freuen sich über viel Fläche, berichtet die Expertin, kleine Muster auf großen Flächen drohen zu verschwinden. Hildebrandt: „Und man darf ruhig auch auf gemusterten Tapeten Bilder, Spiegel oder Regale aufhängen“.

Blumiges und Geometrisches kombinieren

Manche Tapeten wirken auch besonders gut, wenn sie in einer Nische hinter einem alten Möbel stehen und sich so zum Gesamtkunstwerk vereinen wie schon in der Arts + Crafts Bewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert oder im Jugendstil wie etwa in den Interieurs von Henry van der Velde.

Christine Schönherr: „Interessant ist auch ein Stilmix, also beispielsweise historische Tapeten mit floralem Muster mit geometrisch strengem Teppich und modernen Leuchten und Möbeln zu kombinieren.“

Wenn möglich sollte man die Auswahl mit den Interior-Expertinnen vor Ort besprechen, weil Lichtverhältnisse und Raumgröße wichtig für die Planung sind. „Mir ist die Decke besonders wichtig“, sagt Christine Schönherr, die nach ihrer Malerausbildung auch noch Malerei an der Kunstakademie in Stuttgart studiert hat und neben Interiorberatung auch künstlerisch arbeitet.

Bei ihr ließe sich also ebenfalls eine Wandmalerei bestellen oder eine Wandskulptur wie sie jüngst eine in Aalen für einen Kindergarten gestaltet hat: „Bei Renovierungen und wenn es um die Einrichtungsgestaltung geht, denkt man viel über den passenden Fußboden nach oder über die Küchenfronten, sehr viel Raum nehmen allerdings die Wände und Decken ein.“

Wer beispielsweise in einem Neubau wohnt,aber gern eine höhere Decke hätte, kann mit soften Übergängen zwischen Wand und Decke ein luftigeres Raumgefühl kreieren. Auch wer sich nicht komplett neu einrichten will oder kann, kreiert relativ kostengünstig mit interessanten Tapeten oder auch mit frisch gestrichenen, in die Jahre gekommenen Möbeln ein neues Wohlgefühl für unwirtliche Herbst- und Wintertage.

Info

Tipps von Experten
Verwinkelte Räume wirken ruhiger und angenehmer, wenn man Wände und Decken und auch noch Türstöcke und Türen in einem Farbton streicht. Wer einen sehr hohen und kleinen Raum bewohnt und die Proportionen gefühlt ändern möchte, kann die Deckenfarbe rund 80 Zentimeter weiter unten bis auf die Wände verlängern. Wer in einem Neubau wohnt und seine 3,5 Meter hohen Räume vermisst, sollte keine scharfen Farbkanten für Decke und Wand wählen, sondern sanfte Übergänge schaffen. Schmale Räume wiederum weiten sich, wenn eine Wand dunkel gestrichen wird.

Tapeten
Italienische Adelshäuser verwendeten schon im 14. Jahrhundert die ersten Stofftapeten. Die in Deutschland beliebte Raufasertapete wurde 1864 von Hugo Erfurt erfunden. Im Zuge der Industrialisierung konnten sich immer mehr Menschen eine Tapete leisten – allerdings zum kleinen Preis, in künstlerischer Handarbeit hergestellte Tapeten waren der Oberschicht vorbehalten. Mit der Bauhautapete der 1920er begannt der Boom der überstreichbaren Wandbekleidung in der Wohnung. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich in den 70ern die Lust zur auffälligen, psychedelisch angehauchten Tapete. In den 90er Jahren ließ diese Mode nach, viele Tapetenfabriken schlossen in den vergangenen Jahrzehnten. Heute geht der Trend zur markanten Tapete , bleibt aber meist auf eine Wand beschränkt – noch.

Tapetenmuseum
Das Deutsche Tapetenmuseum in Kassel besitzt eine Sammlung von über 23 000 Objekten – von der 500 Jahre alten Goldleder-Tapete bis zum heutigen Vliesmuster. Denkmalämter oder Schlösserverwaltungen erhalten dort Unterstützung, wenn sie historische Tapeten wiederherstellen möchten.