Vorher-Nachher-Wohntraum: Der Architekt Thilo Holzer hat ein Haus in Stuttgart aus dem Dornröschenschlaf geweckt und ein lichtdurchflutetes Heim für eine vierköpfige Familie geschaffen.
Wer kennt das nicht. Im Laden sah die Hose, das Kleid, der Hut wunderschön aus, aber einige Tage später merkt man, das neue Teil passt irgendwie nicht zu einem. Es fühlt sich nicht gut an, sich darin im Spiegel zu sehen. Für derlei Fehlkäufe sind Kleidertauschbörsen eine gute Idee, verschenken ist auch eine Option.
Aber was, wenn es sich um ein verwohntes Einfamilienhaus aus dem Jahr 1929 handelt? Dann ist es hilfreich, einen Architekten mit guten Umgestaltungsideen an der Seite zu haben. Die waren so smart, dass sie kürzlich von der Architektenkammer Baden-Württemberg mit dem Preis „Beispielhaftes Bauen“ gewürdigt wurden.
Ein Haus mit Charme
Die Familie war schon länger auf der Suche nach einem Haus, denn ihre Mietwohnung in Degerloch war schön und hatte einen großen Garten, wurde aber mit den zwei Kindern etwas klein. Das Ehepaar hatte das Haus, das nur wenige Meter neben einem der besonders schönen Aussichtspunkte auf der oberen Halbhöhe Stuttgart-Degerlochs steht, im Internet gesehen.
Mehrere Makler hatten es gleichzeitig im Portfolio. „Das ist ja eher ungewöhnlich und wirkte auf mich dubios“, sagt die Bauherrin, „deshalb haben wir das erst einmal nicht in Betracht gezogen.“ Als sie dann mit einem Makler unterwegs war und er dieses Haus in Degerloch in einem Halbsatz erwähnte, sagte sie sich, anschauen schadet nicht. „Mir gefiel es gleich, es hatte Charme“, sagt sie. „Ich war skeptisch“ sagt er, „ weil klar war, dass wir sehr viel renovieren müssen. Aber mir gefiel die Lage.“
Nach dem Kauf kamen Fragen auf. Da saßen die neuen Besitzer hinterm Haus im steil abfallenden Garten – „und wenn wir uns umdrehten und aufs Haus schauten, hatten wir das Gefühl, wir hätten ein Hochhaus gekauft“, sagt der Bauherr, während er fabelhaft duftenden Kaffee reicht und sich auf einen der knallroten Barhocker von Designer Konstantin Grcic an der Kücheninsel setzt.
Kleine Zimmer, kein Zugang zum Garten
Das mehrfach umgebaute Haus war zudem von allerhand später angebrachten Balkons verunziert. Und es gab einen kleinen Flur, ein Minibad, kleine Zimmer und kleine Fenster in Richtung Garten, aber keinen direkten Zugang ins Grüne.
Nachdem erste Umbaupläne eines Architekten die Bauherrschaft nicht wirklich begeisterte, engagierte sie Thilo Holzer. Der Architekt wohnt nur einen Steinwurf entfernt und hat mit preisgekrönten Umbauten gezeigt, wie so ein Haus aus dem Dornröschenschlaf zu holen ist. „Uns war klar“, sagt der Architekt, „dass wir einen direkten Zugang zum Garten schaffen mussten. Und dass wir dazu zwei Ebenen einziehen müssen sowie Holzfachwerk und Balken freilegen werden.“
Die Idee kam gut an. „Gleich die erste von mehreren Varianten des Architekten hat uns total überzeugt“, sagt der Bauherr. „Wir waren auch froh, dass er uns bei all den Entscheidungen , die man während des Umbauens treffen muss, zur Seite stand.“ Von der Frage, wo die Kinder und wo die Eltern ihr Reich haben werden bis zu Entscheidungen für Armaturen, Farben, Böden, Fenster sind bei so einem Umbau viele Themen zu bedenken.
„Und es ist gut, wenn der Architekt auch einmal sagt, wenn Ihr diese Entscheidung nicht in den nächsten ein, zwei Tagen fällt, verzögert sich der Umbau erheblich“, sagt die Bauherrin mit einem Lächeln. Rund zwölf Monate lang dauerte die Sanierung, bei dem der Garten um 90 Zentimeter sozusagen aufgebockt wurde und der Wohnbereich tiefergelegt wurde, sodass 3,5 Meter ausgeglichen werden konnten.
Also wurde erst einmal alles aufgeklöppelt, Stahlträger blieben erhalten, Beton herausgebrochen, – das Haus war einige Zeit lang auf der Rückseite bis auf die Grundmauern komplett offen. Vom Küchenbereich führt nun eine Treppe 75 Zentimeter weiter hinunter in den Ess- und Wohnbereich.
Garten für die Familie und zwei Kaninchen
Die ehemals nur mit einem Fenster und Balkon versehene Rückseite des Hauses wurde geöffnet: eine sechs Meter breite Schiebetüranlage bietet einen Blick nach draußen und bringt Licht ins Haus. Von da geht es direkt auf die großzügige Terrasse mit Holzbelag und einer Sitznische mit seitlichen Windfang, ein geschützter Platz für heiße sowohl wie für windig-nasse Tage.
Stufen, die zum Teil auch als Pflanzbeete und als Sitzgelegenheit fungieren, führen dann 1,35 Meter weiter hinunter in den Garten. Da wurde Erde aufgeschüttet, um den Steilhang etwas zu ebnen und damit auf der Rasenfläche heute gespielt werden kann; an der Seite haben auch die zwei Kaninchen Flake und Snoopy ein Häuschen mit Garten – und Gartenzaun – bekommen. Am Ende des Gartens geht es noch einmal einen knappen Meter bergab zu den Bäumen, die das Grundstück abschließen.
Der Hauseingang war ziemlich unpraktisch seitlich am Haus, man musste erst Stufen hinunter, dann wieder hinaufsteigen, um ins Erdgeschoss zu gelangen. Jetzt ist die Holzeingangstüre vorne, von einem kleinen Windfang aus geht es rechts die Treppe hinauf, geradeaus schaut man direkt durchs ganze Haus bis auf den Garten. Einbaumöbel im Erdgeschoss bieten zugleich Stauraum und Platz für eine Garderobe. Die kleinen Zimmer im Erdgeschoss sind einem großen Küchen-Essbereich gewichen.
Wichtig war den Bauherren auch, dass sie vom Küchenbereich aus in den Garten schauen können. Dass im Erdgeschossbereich Treppen hinunterführen, empfinden sie als eher praktisch: „Man ist geschützt und kann ungestört auf dem Sofa lesen“, sagt die Bauherrin, „auch wenn am Wochenende für die Kinder Besuch ins Haus kommt oder sich jemand in der Küche aufhält.“
Rückzugsraum unterm Dach
In den oberen Stockwerken wurde so viel erhalten wie möglich, die alte Holztreppe auch, die nun einen mutig schwefelgelben Anstrich erhalten hat. Und – so detailverliebt sind Bauherren und Architekt – die Farbe findet sich wieder im Gäste-WC an der Armatur.
Schwefelgelb passt auch gut zu dunkelblauen Wänden und Eichenholzböden im Elternbereich unterm Dach. Thilo Holzer: „Es erweist sich immer wieder als praktisch, wenn die Kinder im ersten Stock untergebracht sind. Und wenn sie Freundinnen mitbringen oder, wenn sie älter sind und abends später heimkommen, werden die Eltern nicht gestört und haben wirklich noch einmal einen echten Rückzugsraum“.
Satteldach sei Dank ist der offene Schlafbereich mehrere Meter hoch, so dass auch hier das Raumgefühl großzügig ist. Der dadurch wegfallende Stauraum auf dem Dachboden wird durch Einbauten ausgeglichen. „In die Schrägen sind Einbaumöbel eingepasst, die besonders tief sind, so finden da zum Beispiel Pullover in zwei Reihen Platz“, sagt Thilo Holzer.
Das Badezimmer mit grauen Fliesen, petrolblauer Wand, Holzbalken, Badewanne und bodengleicher Dusche wirkt heimelig. „Wir hatten dem Badezimmer früher gar nicht so viel Beachtung geschenkt“, sagt die Bauherrin, „in der alten Wohnung hatten wir nur eines und das war drei Quadratmeter groß, aber nun schätzen wir den Raum hier sehr.“
Ausblicke und Einblicke
Im ersten Stock ist ein Büro, die Mädchenzimmer mit herrlichem Gartenblick und ein Bad für den Nachwuchs. Der Büroraum geht nach vorne und der Architekt bestand hier auf einem „neugierigen Fenster“. Gemeint ist ein schmales Fenster an der Seite, das auf einen kleinen Platz nahe des Hauses zeigt.
Nicht nur die Menschen bleiben zuweilen neugierig vor dem Haus stehen, sondern auch die Bewohner schauen ganz gern, was draußen passiert. Ebenso im Erdgeschoss in der zur Straße zeigenden Küche, wo die Hausherrin an dem Tag stand und schon den dunklen Kleinbus ankommen sah, in dem die Jury für den Architekturpreis saß.
„Meine Tochter und ich waren gerade beim Kuchenbacken“, sagt die Bauherrin, „als wir erfuhren, dass gleich die Jury kommt.“ Und so konnten die Experten sehen, wie das Haus architektonisch zu zeitgemäß neuem Leben erweckt wurde und im „belebtem“ Zustand seinen Charme entfaltet.
Info
Ausstellung
Das Umbauprojekt von Thilo Holzer und der Bauherrschaft ist einer von 24 Gewinnern des Preises der Architektenkammer Baden-Württemberg „Beispielhaftes Bauen 2019-2023“ in Stuttgart, ausgewählt von einer sechsköpfigen Jury. Der Preis steht unter Schirmherrschaft des Stuttgarter Oberbürgermeisters Frank Nopper. Alle Siegerprojekte werden aktuell noch bis zum 21. Dezember 2023 im Stuttgarter Rathaus-Foyer im 3. OG gezeigt. Die Ausstellung ist während der Rathaus-Öffnungszeiten zu besichtigen.