Will nach der Coronapandemie durchstarten: WMF-Chef Oliver Kastalio Foto: WMF

WMF-Chef Oliver Kastalio verrät im Gespräch, wie begeistert der französische Mutterkonzern SEB von dem Unternehmen ist, warum er vom Brillenkonzern Rodenstock nach Geislingen an der Steige gewechselt ist und bei welchem Produkt ihm als Hobbykoch das Herz aufgeht.

Geislingen - Der seit rund 15 Monaten amtierende WMF-Chef Oliver Kastalio sieht das Unternehmen gut aufgestellt und plant derzeit keinen weiteren Stellenabbau, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung sagt.

 

Herr Kastalio, Sie haben bei WMF in unruhigen Zeiten Verantwortung übernommen, das Unternehmen steckte mitten in der Umstrukturierung, zweieinhalb Monate später dann noch die Pandemie. Wie war Ihr erstes Jahr?

Anders, als ich erwartet habe. Ich wusste schon, auf was ich mich einlasse, aber durch die Pandemie hat sich sehr viel fast über Nacht verändert. Nicht nur die Markt- und Geschäftslage, auch was das Arbeitsumfeld angeht und wie wir miteinander umgehen.

Nicht gerade ideal, um sich einzuarbeiten?

Ich bin jemand, der das Gespräch und die Nähe zu den Menschen sucht. Das war aber nur noch sehr eingeschränkt möglich angesichts von Abstandhalten, Hygienemaßnahmen und Homeoffice. Wir haben sehr schnell auf die Pandemie reagiert und hatten zum Glück nur sehr wenige Fälle im Unternehmen. Zurzeit haben wir einen gemeldeten Coronafall bei knapp 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Geislingen und rund 7000 Beschäftigten, die weltweit für WMF arbeiten.

Sie sind vom Brillenkonzern Rodenstock zu WMF gewechselt. Was hat Sie an dem Job gereizt?

Ein Fan der Marke WMF bin ich schon länger, und das Unternehmen hat eine große Strahlkraft. Als ich angesprochen wurde, Verantwortung zu übernehmen, bin ich nach Frankreich zu Thierry de La Tour d’Artaise gefahren, dem Vorstandschef des WMF-Mutterkonzerns, der Groupe SEB. Der sagte mir mit leuchtenden Augen, wie begeistert er von WMF sei und dass er das Unternehmen nicht mehr verkaufen wolle. Anders als bei Rodenstock, wo Finanzinvestoren am schnellen und damit kurzfristigen Erfolg des Unternehmens interessiert sind, zählt bei Groupe SEB die langfristige Perspektive. Das hat mich letztendlich zur Unterschrift motiviert. Ich wusste: Hier kann ich ein Unternehmen nachhaltig entwickeln.

WMF hat Jobs abgebaut. Aus Sicht der Arbeitnehmer ging es bei der Umbaustrategie wohl eher um Gewinnmaximierung?

Die Groupe SEB hat viel Geld für WMF gezahlt und will auch eine Rendite für die Aktionäre. Es geht aber nicht darum, sich die Taschen voll zu machen, sondern sinnvoll nachhaltig wirtschaftlich zu planen, Synergien zu schaffen etwa im gemeinsamen Einkauf, bei der IT-Struktur oder im Finanzsystem. Wir können uns auch Produktionsressourcen teilen.

Etwa durch die Verlagerung der Kochgeschirrfertigung von Geislingen nach Italien und Frankreich?

Sie spielen auf die Agenda 21 an. Die Verlagerung war nur ein Mosaikstein und ist abgeschlossen. Ich verstehe, dass das in Geislingen kritisch gesehen wird, betriebswirtschaftlich ist es aber sinnvoll, vorhandene Werke der Groupe SEB zu nutzen. In einem Hochlohnland wie Deutschland müssen wir uns möglichst auf Hochtechnologien konzentrieren. Wir produzieren hier weiter Kaffeemaschinen, bauen das Kompetenzzentrum dafür aus und investieren. Da steckt Digitalisierung dahinter, das ist Hochtechnologie.

Wie wichtig ist made in Germany?

Für uns ist das extrem wichtig, viele Amerikaner und Chinesen fragen auch danach. Wir haben in Deutschland noch eine Reihe von Produktionsstätten, die wir im letzten Jahr optimiert haben. Und ich möchte die nachhaltig erhalten. WMF steht ja auch für Deutschland.

Mit der Agenda 21 wurden 400 Jobs bei WMF abgebaut. Weitere 50 werden im Bereich der professionellen Kaffeemaschinen gestrichen. Ist ein weiterer Abbau geplant?

Derzeit sind keine strukturellen Maßnahmen geplant, die zu einem weiteren Stellenabbau führen. Die Stellen der 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die im März ein Interessenausgleich geschlossen wurde, fallen in der Verwaltung im Bereich der professionellen Kaffeemaschinen weg, wo in Geislingen 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten. Uns geht es um schlankere Strukturen und schnellere Prozesse. Kaffee ist und bleibt ein globaler Trend, ein Wachstumsmarkt, auch wenn er derzeit von der Pandemie paralysiert wird.

Zu Ihren Kunden zählen weltweit Hotels, Restaurants und Branchen, die seit Monaten ums Überleben kämpfen.

Ja, die stellen im Moment Investitionen hinten an. Eine Kaffeemaschine kostet im professionellen Bereich bis zu 10 000 Euro und mehr. Wir mussten 2020 einen Rückgang des Kaffeegeschäfts um etwa ein Drittel hinnehmen. Das ist natürlich heftig. Aber das ist ein temporärer Effekt. Wir nutzen die Zeit, um uns so aufzustellen, dass wir nach der Pandemie wieder schnell aus den Startlöchern kommen. Ein Unternehmen hat ja auch eine Verantwortung.

Nicht nur gegenüber Investoren und Aktionären?

Genau, auch gegenüber den Städten, in denen sie agieren, und gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Deshalb müssen wir den Personalabbau auf ein Minimum reduzieren und ihn so sozial verträglich wie möglich gestalten. Wir haben ein attraktives Freiwilligenprogramm, Rentenbrücken und können eine Beschäftigungsgesellschaft anbieten. Wir wollen betriebsbedingte Kündigungen vermeiden und die Innovationskraft im Unternehmen halten. In der festen Überzeugung, dass das Geschäft wieder anzieht, bin ich auch froh, dass es in Deutschland – in der Schweiz übrigens auch – die Möglichkeit der Kurzarbeit gibt, sonst wären wir gezwungen, mehr Arbeitsplätze abzubauen.

Wie viele Mitarbeiter sind derzeit in Kurzarbeit?

Im Moment sind es etwa 20 Prozent, aber das ist ganz unterschiedlich je nach Bereich. In unseren WMF-Filialen waren es während des Lockdowns 100 Prozent.

Was erwarten Sie für 2021?

Wir haben drei Bereiche – Kaffee, Hotelbereich und Konsumgeschäft. Letztes Jahr war die Geschäftsentwicklung im Kaffee- und Hotelbereich rückläufig, in diesem Jahr planen wir wieder ein zweistelliges Wachstum. Unser Konsumgeschäft, zu dem auch Elektrokleingeräte gehören, hat davon profitiert, dass die Leute viel zu Hause waren und sich neue Produkte gegönnt haben.

WMF setzt verstärkt aufs Online-Geschäft. Verprellen Sie damit nicht die klassischen Händler?

Wir haben frühzeitig übers Internet verkauft, durch die Pandemie hat sich das Online-Geschäft vervielfacht. Wir haben 170 Geschäfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sind die Visitenkarte der Marke. Da kann man die Marke erleben, davon profitieren alle unsere Handelspartner. Was mir wichtig ist: WMF ist eine Premiummarke, und wir müssen uns auch so benehmen. Dazu gehört, dass es nicht ständig irgendwo rabattierte Sonderangebote gibt. Das ist in der Vergangenheit zu oft passiert, auch in unseren eigenen Läden.

Stichwort Digitalisierung. Wie viel davon steckt in den Kaffeemaschinen?

Es gibt mittlerweile kontaktlosen Verkauf und unbemannte Kaffeestationen, wo Sie keiner mehr bedient. Über das Smartphone können Sie Ihren Kaffee in unterschiedlichsten Variationen bestellen und bezahlen. Vor allem in Asien ist das ein Trend. Das ist eine Entwicklung, die in den letzten zwölf Monaten eine extreme Dynamik aufgenommen hat. Wir beliefern nicht nur Hotels und Restaurants, sondern auch Ketten, die Tausende von Kaffeemaschinen bewirtschaften, die alle miteinander vernetzt sind und zentral gesteuert werden können. Bald werden sich auch unsere Servicetechnikerinnen und Servicetechniker auf die Maschinen schalten können, ohne vor Ort zu sein.

Trinken Sie Kaffee?

Ja, jetzt bewusster. Früher habe ich Kaffee als Getränk wahrgenommen, um morgens in die Gänge zu kommen. Bei WMF habe ich gelernt, was gute Kaffeezubereitung ausmacht. Da steckt richtige Hochtechnologie dahinter.

Und benutzen Sie auch Küchenutensilien?

Ich bin Hobbykoch und begeistere mich für unsere Produkte. Mir geht das Herz auf, wenn ich ein handgeschmiedetes WMF-Messer aus Damaststahl in der Hand halte. Kürzlich habe ich eine Pfanne aus der Entwicklung zum Testen mit nach Hause genommen. Bei der Bratpfanne ist es immer eine Herausforderung, dass man ein Spiegelei auch ohne Butter machen kann und es trotzdem nicht festklebt.

Sie wohnen in München. Pendeln Sie, oder sind Sie im Homeoffice?

Ich war während der ganzen Pandemie im Büro in Geislingen. Ich halte es für wichtig, präsent zu sein und der Belegschaft zu zeigen, da ist einer, der das Ruder in der Hand hat. Das werde ich auch weiter so handhaben. Ich mag die Gegend hier und schaue vom Fenster auf eine schöne Landschaft. In den Bereichen, die keine Präsenz verlangen, nutzen rund die Hälfte unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Möglichkeit des Homeoffice.