Als Technischer Direktor der Fis hatte Günter Hujara die Sicherheit der Fahrer im Blick. Foto: Eibner

Alpin: Ex-Renndirektor Günter Hujara über Sieger, Champions, die WM in Åre und Stürze mit mehr als 100 Stundenkilometern.

21 Jahre lang war Günter Hujara Alpin-Renndirektor beim internationalen Skiverband (Fis). Er hat den alpinen Skisport in Sachen Sicherheit revolutioniert. 2014 legte er sein Amt nieder, war noch weiter als Experte für die Winterspiele in Pyeongchang zuständig. Danach war Schluss. Zwar mischt der 66-Jährige aus Neuenbürg damit nicht mehr aktiv im Weltcup-Zirkus mit. Er kennt ihn jedoch wie kaum ein anderer.

Herr Hujara, die WM in Åre wird uns aus vielerlei Hinsicht sehr traurig in Erinnerung bleiben...

Bevor die WM begonnen hatte, habe ich meiner Frau erzählt, wie das in Åre ablaufen wird. Die Schweden haben ein Super-Organisationsteam und sind sehr gut strukturiert, aber man kann Åre als geografischen Punkt nicht verändern. Dort zieht der Luftmassenaustausch kurzfristige, drastische Wetteränderungen nach sich. Das haben wir in den beiden Wochen gesehen. Das wusste man jedoch im Vorfeld. Dort eine WM auszutragen und medial zu vermarkten, ist sehr schwer. Denn hinter den Wetterkapriolen sind die anderen Geschichten verschwunden.

So wie die Abschiede von Aksel Lund Svindal und Lindsey Vonn. Ebenfalls traurige Momente.

Das sind schöne Geschichten, an denen man sich erfreuen kann. Beide sind außergewöhnliche Athleten, die einen runden Abschied mit einer Medaille erlebt haben. Das war dem Felix (Neureuther, Anm. d. Red.) leider vergönnt.

Das war nach der verkorksten Saison auch nicht zu erwarten.

Der Felix ist ein unglaublicher Wettkampftyp. Wie er sich auf ein Rennen fokussieren kann, ist wahnsinn. Leider gibt es eine gewisse Parallele zu seinem Vater (Christian Neureuther, Anm. d. Red.). Auch der war immer zum ungünstigsten Zeitpunkt verletzt und hatte dieses große Pech vor den Großereignissen. Vor zwei Jahren in St. Moritz hatte es der Felix noch geschafft, trotz Rückenproblemen eine Medaille zu holen. Das klappt aber nicht jedes Mal.

Damals war es die einzige Medaille für den Deutschen Skiverband. Dieses Mal holte Viktoria Rebensburg die einzige. Warum fährt der DSV hinterher?

Für mich geht es nicht immer nur um Medaillen. Es geht darum, am Tag X die bestmögliche Leistung abzurufen. Das hat beim deutschen Team viel besser geklappt als vor zwei Jahren in Sankt Moritz. Abgesehen von Felix waren damals sehr, sehr wenige ansprechende Leistungen dabei. Dieses Mal sind sowohl die Damen als auch die Herren durchweg gut aufgetreten. Die Athleten haben bei der WM teilweise ihre beste Saisonleistung abgeliefert. Das ist ein Zeichen dafür, dass beim DSV gut gearbeitet wird. Wir haben den Anschluss an die Weltspitze wieder geschafft.

Ganz bitter war der Teamwettbewerb, in dem Deutschland eigentlich Dritter wurde. Linus Straßer hatte jedoch im entscheidenden Rennen eingefädelt...

Da wurde dem Team die verdiente Medaille wieder aus den Händen gerissen. Der Wettbewerb war trotzdem ein Erfolg. Das war ein ganz starker Auftritt. Die Briten und Franzosen muss man erst einmal schlagen. Dass der Linus dann im entscheidenden Rennen einfädelt, passiert ihm ja nicht, weil er blöd ist. Sondern, weil er am Limit fahren muss, um die Medaille zu gewinnen. Und das war nicht der einzige Wettbewerb, in dem uns eine mögliche Medaille durch die Finger glitt.

Pepi Ferstl war nach seinem Sieg im Super-G von Kitzbühel auch ein heißer Kandidat. Am Ende wurde er "nur" Sechster.

Bei Pepi war die Medaille leider so weit weg, wie sie weg war. Das war für ihn nicht der richtige Berg. Dann waren die Bedingungen auch noch sehr schlecht. Er kommt als Kitz-Sieger daher, wird auf einmal rumgereicht wie ein Tanzbär. Dann hatte er auch noch Probleme bei der Anreise und war erkältet. Das hat ihn alles stark mitgenommen.

Auch Marcel Hirscher war erkältet. Trotzdem holte er Silber im Riesenslalom und Gold im Slalom.

Das ist halt der Unterschied zwischen einem Sieger und einem Champion wie Marcel Hirscher. Der kann mit diesem Stress, diesem Druck ganz anders umgehen. Der braucht das sogar. In Deutschland hatten wir schon oft Einzelsieger. Markus Wasmaier, Christian Neureuther, Josef Ferstl oder aktuell Thomas Dreßen und Pepi Ferstl. Einen Überflieger wie Marcel Hirscher hatten wir abgesehen von Felix Neureuther noch nie. Außer natürlich bei den Damen. Doch da haben wir diese extrem breite und starke Spitze leider verloren. Seit Maria Höfl-Riesch haben wir keine Top-Läuferin mehr. Auch deshalb bin ich unter dem Strich sehr zufrieden mit dem Abschneiden des DSV.

Zumal man bedenken muss, dass mit Thomas Dreßen und Stefan Luitz zwei aussichtsreiche Kandidaten gefehlt haben, beziehungsweise verletzt an den Start gegangen sind.

Dass wir in allen Disziplinen in der Lage sind, Weltcup-Siege einzufahren, zeigt, dass wir wieder nah dran sind an der Weltspitze. Im Speed-Bereich ist dem DSV ein riesiger Umbruch gelungen. Wir haben in den letzten beiden Hahnenkammrennen einen Sieger in der Abfahrt und im Super-G gestellt.

In den technischen Disziplinen hat sich Stefan Luitz in Position gebracht. Auch er hatte in dieser Saison seinen ersten Weltcup-Sieg im Riesenslalom geholt, der hinterher aberkannt wurde. Jetzt ging er bei der WM mit einer Schulterverletzung an den Start, stürzte und zog sich einen Riss am Innenband zu. Beschissener kann eine Saison nun wirklich nicht laufen?

Was die Verletzung angeht, mache ich niemandem einen Vorwurf, weder Stefan noch dem Team. Als Läufer versucht man natürlich, bei einer WM an den Start zu gehen, wenn es denn irgendwie geht. Dass jetzt das Knie kaputt ist, ist wirklich ein sehr unglücklicher Umstand, weil es nicht in Zusammenhang mit der verletzten Schulter steht.

Die Sache mit dem Dopingvorwurf bei seinem Sieg war dagegen Teamversagen auf ganzer Linie...

Da muss man ganz klar festhalten, dass es sich dabei zwar um einen Regelverstoß handelt, aber nicht um Doping! Im Reglement der Fis gibt es diesen Passus, dass Sauerstoffflaschen auf dem Wettkampfgelände untersagt sind. Der DSV hat dagegen verstoßen und muss die Konsequenzen dafür ziehen. Dass der Sieg aberkannt wurde, ist vollkommen richtig. Sonst könnte die Fis das Reglement auch in den Ofen schmeißen. Für mich gehört dieser Passus jedoch in die Wettkampfordnung und nicht in das Doping-Regelement. Das Einatmen von Sauerstoff ist nämlich kein Doping.

Thomas Dreßen und Stefan Luitz sind nur zwei Namen auf einer langen Liste. Dass ein alpiner Skifahrer ohne schwere Verletzung durch die Karriere kommt, gibt es das überhaupt?

Es gibt sehr, sehr wenige Athleten, die keinen Reisverschluss im Knie haben. Alpiner Skisport ist Rennsport im Hochrisikobereich. Die Chance, einen Sturz mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde verletzungsfrei zu überstehen, ist nunmal sehr gering. Bei einer so langen Verletztenliste, wie wir sie im Moment haben, ist es sinnvoll darüber nachzudenken, den Rennkalender zu entzerren.

Ist das die einzige Möglichkeit, die noch nicht ausgeschöpft wird, um die Sicherheit zu erhöhen?

Dass ein Fahrer stürzt und sich dabei schwer verletzt, kann auch passieren, wenn es nur ein Rennen pro Winter gibt. Es geht bei der Entzerrung darum, dass die Athleten eine längere Regenerationsphase bekommen, um kleine Verletzungen auszuheilen. Die führen häufig zu einer chronischen Sache. Wie viele Athleten nehmen sich im nordischen Bereich gerade im Vorfeld der Weltmeisterschaften heraus, um die Belastung zu steuern. Das ist auch der Grund, weshalb Marcel Hirscher nur die technischen Disziplinen fährt.

Statt entzerrt wird der Kalender jedoch immer mehr erweitert...

Das Problem ist, dass zwar jeder weniger Rennen haben, jedoch nicht auf seine Disziplin verzichten möchte. Die Abfahrer sagen: Streicht doch ein paar Slalom raus. Die Techniker sagen: Schmeißt den Super-G raus. Es gibt sehr viele Interessengruppen, die bei so einem Rennkalender aufeinandertreffen. Es ist ein wahnsinniger Wettkampf um Aufmerksamkeit nicht nur zwischen den alpinen Disziplinen, sondern zwischen allen Sportarten. Da steckt keiner freiwillig zurück. Denn dabei geht es um Sendeminuten im Fernsehen und damit um Sponsorengelder. Die entscheiden nämlich sekundengenau, ob es sich lohnt, Geld in eine Sportart zu stecken.

Eine anderes Streitthema ist der Airbag. Sie waren stets ein großer Befürworter dieser Technik. Weshalb ist der Airbag immer noch nicht verpflichtend?

Das hat rechtliche Gründe. Die Läufer sind bei der Fis nicht angestellt wie zum Beispiel die Motorradfahrer bei den Rennställen. Deshalb geht das nicht. Eigentlich müsste man damit rechnen, dass nachdem einige Airbag-Fahrer Rennen gewonnen haben, die anderen sagen: Das ist eine tolle Sache. Der Airbag bietet mir die bestmögliche Sicherheit. Das ist aber nicht so. Wenn ich höre, dass ein Fahrer sagt, der zwickt oder mir passiert sowieso nichts, da stelle ich mir die Frage nach dessen Mündigkeit.

Davon abgesehen, lässt sich in Sachen Sicherheit nicht mehr viel optimieren?

Es gibt nur noch sehr wenig Spielraum. Was Sicherheit rund um die Pisten angeht, sind wir auf einem noch nie erreichten Stand. Die Pisten Präparierung ist auf einem noch nie erreichten Stand. Das Material ist am Optimum angekommen. Die Sportler waren noch nie so gut austrainiert und sich der Gefahren bewusst wie jetzt.

Wie schwer war es, diesen Punkt zu erreichen?

Am Anfang haben mich manche für verrückt erklärt. Früher waren die Pisten mit Strohballen gesichert, die zum Teil wie zu Stein gefroren waren. Um die Bäume waren alte Matratzen gewickelt. Das war es. Heute sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Lindsey Vonn bei der WM im Super G stürzt, aufsteht und zwei Tage später wieder ein Rennen fährt.