Mohammed (von links) und seine beiden Geschwister Joud und Reem führen in Winterlingen ein glückliches Leben. Foto: Göttling Foto: Schwarzwälder Bote

Schicksal: Der zwölfjährige Mohammed flüchtete vor vier Jahren aus Aleppo und hat in Winterlingen eine neue Heimat gefunden

Vor vier Jahren ist der heute zwölfjährige Mohammed von Syrien nach Deutschland geflüchtet. Der Krieg in seiner Heimat traumatisierte ihn. Heute führt er in Winterlingen ein glückliches Leben.

Winterlingen. Seit vier Jahren lebt Mohammed mit seiner Familie in Winterlingen. In seiner neuen süddeutschen Heimat gefällt es dem Zwölfjährigen so gut, dass er als einer der eher seltenen Fälle sogar in den Ferien die Schule vermisst. Als 2015 viele Syrer vor dem Krieg in Europa Zuflucht suchten, flüchtete auch Mohammed mit seinen Eltern und Geschwistern mit dem Flugzeug in die Türkei. Von dort aus ging es mit einem völlig überladenen Schlauchboot weiter nach Griechenland. Mohammeds Vater Mahmoud und sein kleinster Bruder sind unterwegs ins Meer gefallen. Ein Glück für die Familie, dass das Boot anhielt und die beiden auf hoher See gerettet wurden.

Von Griechenland aus ging die Familie mit der hochschwangern Mutter zu Fuß in Richtung Deutschland, ehe sie der Aufnahmestelle in Mannheim zugeteilt wurden. Mohammed war erleichtert darüber, endlich Frieden zu finden. Von Mannheim ging es dann direkt nach Winterlingen – die Familie empfand das als großen Glücksfall. Mohammeds neunjährige Schwester Reem erzählt: "Ich war sehr glücklich, in Deutschland zu sein und keine Angst mehr haben zu müssen. Für mich hat ein neues Leben angefangen."

Der Krieg in der syrischen Hauptstadt Aleppo war für den kleinen Mohammed ein schlimmes Horrorerlebnis. Um die schrecklichen Kriegserlebnisse zu verarbeiten, war er in Deutschland zwei Jahre lang in ärztlicher Behandlung. Seine Schwester Reem hatte das "Glück", 2014, als die Bomben fielen, noch so jung zu sein, dass sie den Ernst der Lage nicht begreifen konnte.

Während die Bombenangriffe auf benachbarte Häuser und die Umgebung bei Mohammed schwere Traumata auslösten, nahm Reem die Angriffe eher wie ein Feuerwerkspektakel an Silvester wahr und ahnte nicht, was gerade wirklich passierte, als sie die vielen Flieger am Himmel sah und den Lärm hörte.

Als sich die Lage in Aleppo 2014 zuspitzte, hatte die Familie nicht viel Zeit zum Überlegen – innerhalb einer Stunde packten sie ihre Koffer und ergriffen die Flucht, um ihr Leben zu retten. Selbst wenn ihr Haus von einer Bombe verschont geblieben wäre, wäre die Familie entzweit worden. Denn obwohl Mahmoud für Frau und Kinder sorgen musste, wäre er dazu gezwungen worden, für Machthaber Baschar al-Assads Truppen in den Wehrdienst zu gehen und seine Familie zurückzulassen. Die Flucht war auch deswegen wichtig, weil der jüngste der vier Geschwister dringend medizinische Versorgung braucht: Der dreijährige Amr ist an Leukämie erkrankt. Eine Sorge, die der Familie auch nach der Flucht noch bleibt. Derzeit sind Verwandte aus Dortmund die Ferien über zu Besuch in Winterlingen, um sie zu unterstützen.

Die Geschwister Reem und Mohammed verbringen die Ferien gemeinsam mit dem vierjährigen Joud und dem Vater in Winterlingen. Die Mutter muss mit dem Jüngsten voraussichtlich noch einige Tage in der Klinik in Tübingen bleiben. Ab und zu können sie mit dem Zug zu Besuch kommen – auf Dauer sei das aber recht teuer.

Freunde und Schule lassen Ängste vergessen

Heute, vier Jahre nach der Flucht, geht es Mohammed deutlich besser als bei seiner Ankunft in Deutschland. Aus dem Jungen, der damals wie versteinert und apathisch gewirkt hatte, ist ein aufgeweckter Junge geworden. Dazu beigetragen haben die vielen guten Erlebnisse in ihrem neuen Zuhause in Winterlingen. Auch die Schule mit seinen engagierten Lehrern und die Freundschaft zu seinen Mitschülern haben ihren Teil dazu beigetragen, dass es Mohammed immer besser geht. Das Spielen mit seinen Geschwistern und Nachbarskindern lässt ihn die Ängste und den Schrecken des Krieges vergessen.

Stolz zeigt er beim Interview sein Grundschulzeugnis; seine Noten sind gut. Auf die Frage, ob ihnen die Stadt oder das Landleben besser gefallen, haben die Geschwister eine eindeutige Antwort: "Hier in Winterlingen sind nicht so viele Leute, hier hat man seine Ruhe und kann schön spielen. Es ist nicht so gefährlich und man findet eher eine Wohnung", weiß das neunjährige Mädchen Reem schon sehr energisch und überzeugt auszudrücken.

Die Hobbys von Mohammed und Reem sind ganz klischeehaft: Sie mag Reiten, er spielt gerne Fußball. Und auch mit Nudeln – im Speziellen Spätzle – als Lieblingsessen sind die beiden schon gut im Schwabenland angekommen.

Nun hofft und bangt die Familie um die Gesundheit des kleinsten Geschwisterkindes und darum, dass Vater Mahmoud nach dem baldigen Ende der mehrjährigen Sprachkurse eine Arbeitsstelle findet. In Syrien war er Fliesenleger und Maler. Doch sämtliche Zeugnisse hat er in der alten Heimat Aleppo zurückgelassen; in der Eile der Flucht konnte er sie nicht mitnehmen. In Deutschland haben sie schnell gemerkt, welch hohen Stellenwert Papiere und Bürokratie einnehmen. Für die Flüchtlingsfamilie war das anfangs unbekannt, da in Syrien sämtliche Angelegenheiten auf der Behörde persönlich von Angesicht zu Angesicht besprochen werden. "Alle zwei Tage kommen hier Briefe von Behörden. Ich habe schon sämtliche Regale voll", berichtet der vierfache Familienvater. Wie wolle man die oft selbst für Einheimische verklausuliert geschriebenen Schreiben verstehen, wenn man neu im Land ist und kaum Deutschkenntnisse besitzt? Umso wertvoller und wichtiger war und ist es für die Flüchtlingsfamilie, dass ihnen mehrere Ehrenamtliche helfen und für Fragen da sind. Auch die Erfahrungen mit Nachbarn sind gut. "Ich liebe Deutschland", sagt Mahmoud vor der Haustüre bei der Verabschiedung. Sein Sohn Mohammed steht neben ihm und strahlt.