Die Elektromobilität wird die Autoindustrie grundlegend verändern Foto: dpa

Die Katze ist aus dem Sack – Daimler will bei der Elektromobilität den Umfang der Eigenfertigung verringern und beim Verbrenner möglichst schnell Stellen verringern. Wir erläutern, welche Entwicklungen auf die Region zukommen könnten.

Stuttgart - Daimler hat angekündigt, massiv in die Elektromobilität zu investieren und bis 2025 mindestens zehn Modelle unter der neuen Marke EQ auf den Markt zu bringen. Was bedeutet das für die Beschäftigten?
Daimler und auch andere Hersteller sind offenbar zu dem Schluss gekommen, dass die Elektromobilität nun massentauglich wird – insbesondere, weil die Batterien nun wesentlich leistungsfähiger und billiger geworden sind. Würde Daimler diesen Markt nicht erschließen, wäre das schlecht für die Beschäftigung. Andererseits aber machen sich die Vertreter der Arbeitnehmer Sorgen wegen der Frage, ob die E-Mobilität bei den Arbeitsplätzen das ausgleichen kann, was durch die Verbrennungsmotoren über kurz oder lang wegfallen wird.
Um wie viele Jobs geht es?
Für den Bau eines Antriebs fürs E-Auto wird nur ein Bruchteil der Beschäftigten benötigt wie beim Verbrennungsmotor. Die Branche rechnet zurzeit damit, dass im Jahr 2025 zwischen 15 und 25 Prozent der neuen Autos E-Autos sind. Nach Schätzungen von IG-Metall-Chef Jörg Hofmann können dadurch rund 65 000 Stellen beim bisherigen Verbrennungsantrieb wegfallen. Bei Daimler hängen rund 30 000 Arbeitsplätze am Verbrennungsmotor. Allerdings kann man davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung nicht abrupt vollziehen wird. Daimler geht davon aus, dass in den nächsten Jahren trotz des Hochfahrens der Elektrotechnologie auch die Zahl der verkauften Autos mit Verbrennungsmotor noch steigen wird. Strengere Schadstoffwerte werden aber kleinere Dieselfahrzeuge möglicherweise vom Markt drängen, weil die Kosten der Abgasreinigung im Preis nicht mehr unterzubringen sind. Auch die Diskussion um Einfahrverbote für Dieselautos oder gar ein mögliches Zulassungsverbot ab 2030 für Autos mit Verbrennungsmotor, mit dem sich der Bundesrat vor einigen Monaten einmal beschäftigte, könnten die Nachfrage belasten.
Gibt es auch technologische Fortschritte, die das Leben des Verbrenners verlängern könnten?
Ja, die gibt es – auch getrieben durch immer schärfere Abgasvorschriften. Ab September 2019 müssen alle neuen Fahrzeuge strenge Grenzwerte bei den atemwegsschädlichen Stickoxiden auch auf der Straße einhalten und nicht nur auf dem Prüfstand. Zudem wird an sogenannten E-Fuels geforscht – das ist Kraftstoff, der mit Hilfe des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) künstlich hergestellt wird. Dadurch wird bei dessen Verbrennung nicht mehr CO2 in die Atmosphäre abgegeben als ihr vorher entnommen worden war. Anders als Stickoxid und Feinstaub ist CO2 beim Einatmen nicht gesundheitsschädlich. Kommt diese Technologie rechtzeitig, könnte sie dem Verbrenner neue Chancen bringen. Dagegen spricht allerdings, dass Verbrennungsmotoren in der Herstellung sehr aufwendig sind. Die hohen Kosten dieser Technologie dürften selbst bei sprunghaften Fortschritten für die E-Mobilität sprechen.
Wie viele Arbeitsplätze werden für die beiden Technologien jeweils benötigt?
Der größte Unterschied besteht in der Herstellung des sogenannten Antriebsstrangs, der aus Motor, Getriebe und Achsen besteht. Ein typischer Antriebsstrang eines Autos mit Verbrennungsmotor besteht aus 1400 Teilen. Der Antriebsstrang für ein E-Auto besteht aus rund 200 Teilen. Experten gilt diese Relation ungefähr auch für den Bedarf an Arbeitskräften, der somit beim E-Auto nur ein Siebenteil so groß ist wie beim Auto mit Verbrennungsmotor. Ein E-Auto benötigt keine Abgasanlage und kein aufwendiges Getriebe, da es im gleichen Gang alle Geschwindigkeiten und sogar rückwärts fahren kann. Auch ist der Motor eines E-Autos technologisch weit weniger anspruchsvoll als ein Verbrennungsmotor. Der Wandel betrifft vor allem sogenannte Komponentenwerke, in denen zum Beispiel Motoren hergestellt werden, und weniger die sogenannten Aufbauwerke, in denen aus solchen Komponenten fertige Autos werden.
Was bedeutet das bei Daimler?
In Untertürkheim sind rund 19 000 Mitarbeiter beschäftigt, allerdings nur ein Teil von ihnen in der Motorenproduktion. Der dortige Betriebsrat macht sich besonders große Sorgen, nachdem Daimler-Chef Dieter Zetsche vor Analysten erklärt hatte, man werde nicht auf den Wunsch des Betriebsrats eingehen, beim E-Auto die Fertigungstiefe zu erhöhen, sondern stattdessen das Gegenteil tun. Dadurch könnten bei Daimler noch weniger Arbeitsplätze im Bereich der E-Mobilität entstehen. Auch den Forderungen von Betriebsräten der Autobranche, solche Zellen in Deutschland zu fertigen, steht der Konzern offenbar reserviert gegenüber. Entwicklungschef Ola Källenius hatte erst vor Kurzem gegenüber unserer Zeitung erklärt, man werde den E-Motor auch weiter nicht selbst bauen, sondern in einem Gemeinschaftsunternehmen mit Bosch in Hildesheim. Konzernchef Zetsche erklärt, die Entwicklung vollziehe sich über einen längeren Zeitraum; zudem entstünden durch neue Geschäftsmodelle wie das Carsharing (die gemeinsame Nutzung von Autos, die über Anbieter organisiert wird) auch neue Arbeitsplätze.
Warum will Daimler die Beschäftigungs-einbußen nicht ausgleichen, indem man möglichst viele Teile selbst fertigt?
Offizielle Aussagen dazu gibt es nicht. Denkbar ist allerdings, dass der Konzern Chancen sieht, durch die verstärkte Auftragsvergabe an Zulieferer Kosten zu sparen – vor allem, wenn diese Zulieferer im Ausland sitzen bzw. nicht tarifgebunden sind.
Was bedeutet die Elektromobilität für die Gewerkschaften?
Die Strategie, mit einer geringen Wertschöpfungstiefe zu arbeiten, kann für die Gewerkschaft IG Metall zu einem erheblichen Bedeutungsverlust führen, denn durch die langfristig sinkende Beschäftigung beim E-Motor sinkt die Zahl der Mitarbeiter, die sie vertreten, ohnehin; werden die vergleichsweise wenigen neuen Jobs dann außerhalb der Konzernstrukturen geschaffen, könnten auch diese aus der Tarifbindung herausfallen. Allerdings ist mit Gegenreaktion der Gewerkschaft zu rechnen.
Was bedeutet die E-Mobilität für die Zulieferer?
Noch mehr als für die Hersteller selbst. Sie stehen nicht nur unter hohem Kostendruck, weil sie auf Aufträge angewiesen sind, sondern haben sich teilweise auf Produkte und Technologien für den Verbrennungsmotor spezialisiert. Sie müssen entweder versuchen, sich Standbeine mit Produkten zu verschaffen, die auch beim E-Auto benötigt werden, oder ihre Produkte in anderen Branchen anbieten. Der Ludwigsburger Filterhersteller Mann+Hummel etwa, der unter andrem Kraftstofffilter herstellt, geht jetzt verstärkt in die Filtration von Wasser, um dieses wieder aufzubereiten.