Syriens Regime soll mit abhängig machenden Aufputschmitteln dreimal mehr verdienen als sämtliche mexikanische Drogenbosse zusammen.
Fast 120 Millionen Pillen in Saudi-Arabien, über 15 Millionen in Jordanien, zwölf Millionen in der Türkei, vier Millionen in Kuwait: Zoll und Polizei im östlichen Mittelmeer und im Nahen Osten beschlagnahmten im vergangenen Jahr neue Rekordmengen der Droge Captagon. Hinter dem Drogenschmuggel soll das Assad-Regime in Syrien stecken, das nach westlichen Schätzungen mit dem Captagon-Export mehr verdient als mexikanische Drogenkartelle mit Kokain. Die USA und Großbritannien haben deshalb jetzt Sanktionen gegen zwei Cousins von Staatschef Baschar al-Assad und weitere Helfer erlassen.
Captagon wurde in den 1980ern verboten, weil es abhängig macht
Die britische Regierung schätzt, dass das illegale Aufputschmittel Captagon der Führung in Damaskus rund 57 Milliarden Dollar im Jahr einbringt. „Der Handel mit der Droge ist überlebenswichtig für das Assad-Regime“, erklärte das Londoner Außenamt bei Bekanntgabe der neuen Sanktionen. Die syrischen Drogenexporte seien „dreimal so viel wert wie der gesamte Handel der mexikanischen Kartelle“.
Captagon wurde in den 1960er Jahren in Deutschland als Mittel gegen Depression entwickelt und in den 1980ern verboten, weil es abhängig macht. Im syrischen Bürgerkrieg tauchte es zunächst als Aufputschmittel für Kämpfer auf: Die Droge verhindert Ermüdung und unterdrückt Schmerzen. Assads Regierung, die wegen internationaler Sanktionen mit legalen Mitteln kaum an harte Währung kommt, erkannte das Potenzial und begann mit der Massenproduktion. Heute stellt Syrien 80 Prozent des weltweit gehandelten Captagon her.
Hauptabsatzmarkt ist Saudi-Arabien, wo die meist über Jordanien eingeschmuggelte Droge von Arm und Reich genommen wird. Arbeiter schlucken billige Pillen zu einem Dollar das Stück, um tagelang durcharbeiten und mehr Geld verdienen zu können. Reiche Saudis benutzen hochwertiges Captagon für 15 Dollar pro Pille als Partydroge. Auch in Europa tauchte syrisches Captagon auf: Vor drei Jahren beschlagnahmte die italienische Polizei mehr als 84 Millionen Captagon-Pillen, die aus Syrien kamen und über Salerno nach Libyen und Saudi-Arabien verschifft werden sollten.
London und Washington nehmen Drogenbosse aus Assads Familie ins Visier
Der Drogenhandel „macht Assads engere Umgebung, Milizen und Kriegsherren reich“, erklärte das britische Außenamt. Deshalb nehmen London und Washington jetzt Drogenbosse aus Assads Familie ins Visier. Assad selbst, seine Frau und sein Bruder Maher unterliegen bereits seit Jahren westlichen Sanktionen. Nun wird auch das Auslandsvermögen von Wassim Badi al-Assad eingefroren, einem Cousin des syrischen Präsidenten, der laut US-Angaben eine Hauptrolle beim Captagon-Schmuggel ins Ausland spielt. Samer Kamal al-Assad, ein weiterer Vetter Assads, kommt auf die Sanktionsliste, weil er einer der wichtigsten Captagon-Fabrikanten ist. Samer arbeitet eng mit der Vierten Division der syrischen Armee zusammen, einer berüchtigten Elitetruppe, die von Präsidentenbruder Maher al-Assad kommandiert wird. Das meiste syrische Captagon wird in Landesteilen hergestellt, die von der Vierten Division beherrscht werden.
Deshalb wird auch der Geschäftsmann Khalid Qaddour geächtet, der laut US-Regierung die Einnahmen der Vierten Division aus dem Drogengeschäft verwaltet. Zwei libanesische Drogenhändler mit Verbindungen zur Hisbollah-Miliz werden ebenfalls mit Sanktionen belegt. Einer von ihnen, Hassan Daqqou, wurde in der US-Erklärung zu den neuen Sanktionen als „Captagon-König“ bezeichnet. Die Beschuldigten kommen ab sofort nicht mehr an ihre Vermögen in den USA und Großbritannien heran. Internationale Banken und Unternehmen, die mit ihnen Geschäfte machen, riskieren ebenfalls Sanktionen. Ob die Strafmaßnahmen den staatlichen Captagon-Handel in Syrien schwächen können, ist ungewiss. Bisher kommen die Assads jedenfalls auch ohne Zugriff auf Vermögen im Westen gut zurecht.
Effektiver könnte Druck der Nachbarländer auf Syrien sein. Assad bemüht sich um eine Wiederannäherung an andere arabische Staaten – doch die haben wegen des Rauschgifts aus Syrien wachsende Drogenprobleme. Deshalb taucht das Thema inzwischen in politischen Gesprächen auf.