Aufreger: Welche Bedeutung der 29. Juni 1961 für Anlieger der Neufraer Straße aktuell hat / Erschließungskostenbeitrag

Nun also doch. Erschließungskostenbeitrag wird fällig. Für etwa 20 Eigentümer von Grundstücken im südlichen Teil der Neufraer Straße in Wellendingen. Insgesamt etwa 400 000 Euro. Im Gemeinderat wird diese Entscheidung beschlossen und erklärt.

Wellendingen. Da in diesem "Beitrags"-Fall kein Ermessensspielraum existiert, bleibt dem Gemeinderat nichts anderes übrig, als einstimmig zuzustimmen; zwei Ratsmitglieder sind befangen und rücken von der Runde ab (Ulrike Roth und Anne-Katrin Wagner).

Die mehr als 40 Zuschauer der Sitzung in der Neuwies-Festhalle, darunter nicht wenige Betroffene, erfahren von Bürgermeister Thomas Albrecht die Gründe für das Vorgehen, das vor zwei Monaten eine andere Richtung einzuschlagen schien.

Hauptknackpunkt ist der 29. Juni 1961. Damals kam es zu mehreren Veränderungen im Baurecht; so auch zu dem Passus, der die Neufraer Straße tangiert. Wenn zu diesem Stichtag eine Straße geteert war, ist in so einem Fall wie jener nun kein Erschließungskostenbeitrag fällig.

1911 Quadratmeter 1962

Mit Blick darauf hat Kämmerer Phillippe Liebermann im Archiv Akten, Belege und Ratsprotokolle aus den 50er- bis 70er-Jahren durchsucht. Er hat viel gefunden und gesehen. Wie Belege zu Briefmarkenkäufe. Von den Anliegern Erhofftes jedoch nicht.

Das Ergebnis sieht wie folgt aus: Der nördliche Teil der Neufraer Straße, von der Hauptstraße bis zur Einfahrt Brunnenstraße, 1911 Quadratmeter, wurde 1962 von der Firma Maas geteert. Dieser Teil wurde damals umgangssprachlich als "Untere Gasse" bezeichnet.

Der südliche Teil hieß damals in Unterlagen "Vizinalweg 2". Entsprechende Nachweise über den Vollzug von Belagsarbeiten sind nicht gefunden worden. Dieser dürfte erst 1970/71 passiert sein. Damals habe es, so Albrecht, in einem Ratsprotokoll geheißen: "Jetzt sollen wir den Rest auch noch teeren." Somit war er es am 29. Juni 1961 nicht – und deshalb ist nun mit dem Ausbau der Erschließungsbeitrag fällig. Jener für die Straße, nicht der Obolus für Wasser und jener für den Kanal, wie Thomas Albrecht extra betont. Beide seien bereits beglichen. Dass so eine Entscheidung, wie sie der Gemeinderat fällt, eine sensible ist, wissen die Anwesenden.

Deshalb appelliert der Bürgermeister mehrfach, dies den Gemeinderäten nicht persönlich übel zu nehmen, sie müssten sich an Recht und Gesetz halten und hätten keinen Ermessensspielraum.

Wer dennoch diesen Rechtsbescheid, der demnächst das Rathaus verlasse, anzweifele, könne beim Landratsamt Widerspruch einlegen oder gegebenenfalls vor Gericht ziehen. "Einhundertprozentige Sicherheit gibt es vor Gericht", merkt der Schultes an, als Wilflingens Ortsvorsteher Andreas Muschal darauf hinweist, dass das Erschließungsbeitragsrecht in Baden-Württemberg sehr komplex sei. Muschal empfiehlt zu klagen.

Armin Klaiber verdeutlicht, dass es ihm um das Recht gehe. Er habe nichts davon, ob jemand zahlen müsse oder nicht. Und: Er habe kein Problem damit, wenn jemand die Verwaltung verklage.

Möglicherweise endet dieses Kapital somit noch nicht. Ein Kapitel, dass im November/Dezember 2019 angestoßen wurde. Seitdem waren immer wieder unterschiedliche Wasserstandsmeldungen aus dem Rathaus und seinem Umfeld zu hören.

Nachdem die Gemeinde von einer Anwaltskanzlei ein Rechtsgutachten erhalten hatte – dies geschah vor ziemlich genau zwei Monaten –, konnte gezielter nach Belegen gesucht werden. Nun wurde die erste Einschätzung ("Fifty-fifty") korrigiert. Auch befinde sich die Verwaltung seit längerem in Kontakt mit der Rechtsaufsicht im Landratsamt Rottweil, erfahren die Besucher der Gemeinderatssitzung.

Es gilt die Nutzfläche

Was jeder einzelne bezahlen muss, bemisst sich an der Nutzfläche des Grundstücks, erklärt der Kämmerer auf Nachfrage. Vereinfacht gesagt: Je höher ein Haus, desto stärker wird dieses Grundstücks belastet. Ein dreigeschossiges zahlt mehr als ein zweigeschossiges. Phillippe Liebermann merkt ebenfalls an, dass die Tür offen stehe, wenn jemand Redebedarf habe. Transparenz sei wichtig.