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Der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier will den Spitzensteuersatz anheben.  

Berlin - Während Union und FDP nach der Verkündung ihres Sparpakets über höhere Einkommensteuersätze streiten, legt Oppositionschef Frank-Walter Steinmeier erste Vorschläge vor. Doch er sagt auch, was mit der SPD nicht geht.

Herr Steinmeier, wer spart, macht sich zwar nie beliebt - aber können Sie ein gutes Haar am Sparpaket der Bundesregierung lassen?

Nein, und ich habe wirklich danach gesucht, weil die Lage ja ernst ist. Die Regierung versagt im Krisenmanagement und bricht ein ums andere Mal ihre Wahlversprechen.

Weil mehr denn je gespart werden muss . . .

Das ist richtig. Aber erstens ist die entscheidende Frage, wo man spart, und zweitens, ob es tatsächlich belastbare Maßnahmen sind. Diese Koalition versagt vor dieser Aufgabe. Zum Anfang dieser Legislaturperiode hat die Koalition Wahlgeschenke an Hotelbesitzer, Unternehmenserben und andere Klientelgruppen in der Höhe von 5,6 Milliarden Euro verteilt. Das Geld fehlt ihnen im Haushalt. Nun holen Sie sich knapp fünf Milliarden ausgerechnet bei Hartz-IV-Empfängern, Arbeitsuchenden und Familien wieder. Das sagt alles über die Regierung Merkel/Westerwelle. Zusätzlich ist der Haushaltsentwurf voller ungedeckter Schecks. 1,8 Milliarden werden angeblich eingespart, indem die Rentenkasse mit diesem Betrag zusätzlich belastet wird. Das ist unverantwortliche zukunftsfeindliche Politik. 2,3 Milliarden an Einnahmen aus der Brennelementesteuer werden in den Haushalt hineingerechnet, die ein Gegengeschäft sein sollen für die Verlängerung der Laufzeiten für Atommeiler - dabei ist völlig offen, ob die Laufzeitverlängerung überhaupt kommt.

Weil die SPD das in NRW verhindern will?

Es hängt auch von der Regierungsbildung in NRW ab und ist keineswegs etwas, was die Bundesregierung allein beschließen kann. Und dann sollen sich Banken über eine Bankenabgabe in Höhe von zwei Milliarden Euro an der Konsolidierung beteiligen - jetzt stellt sich heraus, dass diese zwei Milliarden in einen Bankenrettungsfonds eingetragen werden: Damit stehen die zwei Milliarden nicht für die Haushaltskonsolidierung zur Verfügung. Das alles ist in einem hohen Maße unseriös und da, wo es konkret wird, unsozial.

Sie meinen, die SPD hat bei den Arbeitsmarktreformen Hartz I bis IV alles ausgereizt?

Wir haben zuletzt in der Großen Koalition die Arbeitsverwaltung auch technologisch auf Vordermann gebracht. Da jetzt noch einmal drei Milliarden Effizienzrendite herauszuwirtschaften, erscheint mir verwegen. Wir wissen auch aus dem Arbeitsministerium selbst, dass Ministerin von der Leyen ratlos ist, wie sie das schaffen soll. Sie muss acht Milliarden Euro einsparen - aber liefern muss die Bundesagentur für Arbeit, indem sie Maßnahmen für Arbeitsuchende kürzen wird. Die Regierung tut so, als wäre das eine Reform, kappt aber nur den Haushalt.

"Ohne Rücksicht auf den Zivildienst"

Für einige Sparpunkte müssen Gesetze geändert werden. Werden Sie der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zustimmen?

Nein. Und wir werden auch nicht zulassen, dass energieintensive Betriebe, die im harten internationalen Wettbewerb stehen, belastet werden. Das vernichtet Arbeitsplätze.

Hätte es sich die SPD in Regierungsverantwortung leichter gemacht, erneut die Mehrwertsteuer angehoben, um dafür weniger im Sozial- und Arbeitsbereich zu streichen?

Im Gegensatz zu dieser Regierung haben wir die Einkommensteuer in unserer Regierungszeit für alle gesenkt. Wenn Spielraum da ist, kann man das machen. Aber spätestens seit 2008 sind diese Zeiten vorbei. Deswegen war es eine gigantische Wahllüge, dass die FDP im Wahlkampf mehr Netto vom Brutto versprochen hat. Wir haben vielleicht die Talsohle der Krise erreicht, aber es wird dauern, bis wir wieder das Einnahmevolumen der Vorjahre erreicht haben. Die Koalition müsste umgehend die Steuervergünstigungen für die Hotelbranche und die Erleichterungen bei der Unternehmensteuer zurücknehmen - das würde uns jährlich Milliarden einbringen. Und in der Tat ist es an der Zeit, über zusätzliche Steuereinnahmen nachzudenken. Eine Beteiligung der Finanzmärkte über die Finanzmarkttransaktionssteuer ist überfällig. Und ich kann mir auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Einkommen über 125.000 Euro bei Alleinstehenden oder 250.000 Euro bei Verheirateten vorstellen.

Auch die Bundeswehr soll zwei Milliarden einsparen - zudem geht es der Wehrpflicht an den Kragen. Trügen Sie die Berufsarmee mit?

Die Regierung lässt offen, ob allein der Verzicht auf Rüstungsprojekte zwei Milliarden einsparen soll oder auch eine Neustrukturierung der Armee. Zum einen bringt die Koalition diese Woche die Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate in den Bundestag ein; gleichzeitig verabschiedet sie ein Sparpaket, welches die Wehrpflicht möglicherweise gänzlich beseitigen will. Da passt doch nichts zusammen. Außerdem finde ich es skandalös, dass solche Strukturfragen der Außen- und Sicherheitspolitik entgegen aller guten Tradition nicht mehr mit der Opposition abgestimmt werden. Stattdessen kündigt der Verteidigungsminister über die Medien einseitig an, je nach Kassenlage auf die Wehrpflicht zu verzichten - auch ohne Rücksicht auf den Zivildienst. Ich weiß nicht, wohin er steuert.

Würde denn die SPD über das Ende der Wehrpflicht mit sich verhandeln lassen?

Der Haushalt des Verteidigungsministeriums ist nicht sakrosankt, und die Struktur der Bundeswehr unterliegt keiner Ewigkeitsgarantie. Selbstverständlich kann und muss über beides diskutiert werden, aber bitte sorgfältiger, als es der Verteidigungsminister tut. Ich halte die sechsmonatige Wehrpflicht für die schlechteste Lösung, weil sie keine wirkliche Wehrpflicht mehr ist und weder der Bundeswehr noch den zivilen Organisationen hilft. Der Verteidigungsminister sollte sich darüber mit Experten und mit der Opposition beraten.

Zurück zu NRW: Würde sich durch eine mögliche Ampelkoalition das Verhältnis der SPD zur FDP auch auf Bundesebene verbessern?

Alle Parteien eines Fünfparteiensystems müssen miteinander verhandeln können. Insofern bin ich zufrieden, dass die NRW-FDP ihre Blockade der Gespräche aufgegeben hat. Damit ist noch nicht sicher, dass eine Ampel entsteht, aber wie ich höre, gab es sehr konstruktive erste Gespräche. Für Rückschlüsse, die die Bundesebene betreffen, ist es aber zu früh.