Interview: Waldachtaler Theologin spricht über notwendige Reformen in der katholischen Kirche / Synodaler Weg weist Zukunft

Waldachtal. Das Thema "Frau in der Kirche" hat Diplomtheologin Beate Dettling in Salzstetten schon immer beschäftigt. Die 52-Jährige hat sich in ihrer Diplomarbeit während des Theologiestudiums in Tübingen mit dem Thema "Diakonat der Frau" auseinandergesetzt. Seit mehr als 20 Jahren ist die Oberstudienrätin im schulischen Religionsunterricht tätig. Und seit fünf Jahren ist sie als Dozentin für die religionspädagogische Ausbildung der Pastoralassistentinnen und -assistenten, der Diakone und Vikare der Diözese Rottenburg-Stuttgart verantwortlich und leitet das religionspädagogische Institut in Rottenburg. Mit ihrem Mann, Ortsvorsteher Friedrich Hassel, lebt die gebürtige Salzstetterin seit 2015 wieder in ihrem Heimatort.

Frau Dettling, wir haben 2020 und die katholische Kirche ist immer noch eine von Männern bestimmte Glaubensgemeinschaft. Ist das noch zeitgemäß?

Ich möchte hier unterscheiden: Die Organisation der katholischen Kirche ist von Männern bestimmt. Hier sind die Machtverhältnisse klar patriarchalisch. Die Glaubensgemeinschaft jedoch ist der Kreis von Menschen, die sich zum Gottesdienst versammeln und aus ihrem Glauben heraus Kirche gestalten. Ohne Frauen würde da vieles nicht funktionieren. Dass die Leitungskompetenzen der Frauen innerhalb der katholischen Kirche zu wenig im Blick sind, halte ich für nicht mehr zeitgemäß!

Was sagt die Bibel über die Stellung von Frauen?

Für mich ist die zentrale Stelle, die sich durch die gesamte heilige Schrift zieht, der Vers 27 aus dem 1. Kapitel des Buches Genesis: "Und Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie." Männer wie Frauen sind Abbild Gottes, ausgestattet mit der gleichen Würde, mit allen Rechten und Pflichten. Das Neue Testament (NT) erzählt von Maria Magdalena als erster Auferstehungszeugin. Sie ist "Apostelin der Apostel", wie es Papst Franziskus festgelegt hat. Er hat ihren Festtag denen der Apostel gleichgestellt (am 22. Juli). Im Alten Testament (AT) wie im NT werden mehrere Frauen erwähnt, die mutig waren und Gottes Botschaft gelebt haben. Trotz patriarchaler Strukturen waren sie nicht zu verleugnen.

Wie handelte und was sagte Jesus?

In der Nachfolge Jesu waren Frauen und Männer. Die Bibel erzählt von vielen wertschätzenden Begegnungen Jesu mit Frauen: Die Frau, die Jesus mit Tränen und Salböl würdigt; die blutflüssige Frau, die aufgrund ihres starken Glaubens von Jesus geheilt wird; die Witwe, deren (kleine) Opfergabe von Jesus hervorgehoben wird; die Ehebrecherin, die von Jesus zurück ins Leben gebracht wird und nicht zuletzt sind es Frauen, die den Kreuzweg Jesu mitgehen und von Jesus angesprochen werden.

Welche konkreten Rollen spielen Frauen in der katholischen Kirche?

Eine Kirche ohne Frauen kann nicht christlich sein! Jesus sah sie als zentrale Botschafterinnen in ihrem Dienst. Jesus ging es um die von Gott gegebenen Gnadengaben, nicht um das Gesetz.

Diakonat der Frau? Frauen als Priesterinnen?

Die Reformen sind überfällig. Die Kirche kann nur überleben, wenn Frauen gleichberechtigt eingebunden werden und mitwirken können, das heißt auch an allen Ämtern teilhaben können.

Welche Formen von verantwortlichen Frauen-Engagements sind wünschenswert?

Wünschenswerte Formen sehe ich in allen Grunddiensten der Kirche: In der Diakonia (dem tätigen Dienst am Nächsten), in der Martyria (im Dienst der Verkündigung) und in der Liturgia (im gottesdienstlichen Feiern).

Gibt es überhaupt Hoffnung auf eine Realisierung?

Dazu möchte ich mit einem Zitat Friedrich Schillers aus dem Werk "Wallenstein" antworten: "Wer nichts waget, der darf nichts hoffen."

Wie bange ist Ihnen um die Zukunftsfähigkeit der katholischen Kirche?

Eine große Rolle für die Zukunftsfähigkeit der katholischen Kirche sehe ich im synodalen Weg, der Ende 2019 begonnen hat. Sollte dieser Reformdialog, der sich unter anderem auch mit der Rolle der Frau in der katholischen Kirche auseinandersetzt, in eine Sackgasse geraten, denke ich, dass sich viele Christen und Christinnen enttäuscht und resigniert von der katholischen Kirche abwenden werden.

Wie ist Ihre Meinung zum generellen Verbot von Gottesdiensten in der Corona-Krisenzeit?

Die Corona-Zeit ist für alle Menschen eine sehr herausfordernde Zeit, die uns ganz deutlich vor Augen führt, dass unsere Welt und unsere Zivilisation krank sind. Das macht auch vor der Kirche nicht halt. So ist es folgerichtig, dass auch die Kirchen geschlossen sind beziehungsweise waren. Die geschlossenen, leeren und schweigenden Kirchen sehe ich als Aufruf zum Innehalten und Nachdenken; zum Nachdenken und wieder Neuentdecken, wie sich und wo sich Kirche tagtäglich ereignet, auch außerhalb von Gottesdiensten.

Wie gottlos ist unsere Zeit?

Ich denke nicht, dass unsere Zeit gottlos ist. Unsere Welt ist aus den Fugen geraten. Und viele Menschen suchen nach Orientierung und fragen dabei nach Gott.

Wie wichtig ist das Seelenheil für den Menschen?

Entscheidend! Wie wir sehen, können die Angst und die Einsamkeit der Seele den Körper und seinen Lebenswillen beugen, genauso wie ein Virus.

  Die Fragen stellte Walter Maier.