Auch der Karneval in Köln bewirbt sich für die Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco. Foto: dpa

Seit 2003 schützt die Unesco nicht nur Baudenkmäler und Parkanlagen, sondern auch Bräuche und Traditionen als Kulturerbe der Menschheit. In Deutschland dürfen in diesem Jahr erstmals Vorschläge gemacht werden. Darunter ist auch viel Skurriles.

Seit 2003 schützt die Unesco nicht nur Baudenkmäler und Parkanlagen, sondern auch Bräuche und Traditionen als Kulturerbe der Menschheit. In Deutschland dürfen in diesem Jahr erstmals Vorschläge gemacht werden. Darunter ist auch viel Skurriles.

Berlin - Ist das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Bier ein Kulturerbe wie der Kölner Dom? Oder sollte eher der rheinische Karneval, die deutsche Brotvielfalt oder gar die natürliche Geburt unter Schutz gestellt werden? Nach langem Zaudern ist Deutschland im Juli dem Unesco-Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe beigetreten. Verbände, Vereine und Privatleute konnten bis Ende November Vorschläge einreichen. Die Bundesländer treffen eine Vorauswahl für das deutsche Verzeichnis. International zählen bereits der argentinische Tango, die türkische Kaffeekultur oder die chinesische Akupunktur zu den geschützten Kulturgütern.

Bräuche betreffen Menschen direkt

„Die nationale Liste kann sehr erfolgreich werden, weil die schützenswerten Bräuche die Menschen persönlich betreffen“, sagt Prof. Eva-Maria Seng, Inhaberin des Lehrstuhls für Materielles und Immaterielles Kulturerbe an der Universität Paderborn. In Kürze will die Deutsche Unesco-Kommission einen Überblick über die Bewerbungen geben. Viele Anwärter sind bereits bekannt: Die niedersächsische Stadt Hameln etwa schickt ihre Rattenfänger-Sage ins Rennen. Das Deutsche Weihnachtsmuseum im bayerischen Rothenburg ob der Tauber hält Christkind, Weihnachtsmann und den Nikolaus für schützenswert.

Die Sorben, die nationale Minderheit in der Lausitz, wollen ihre Bräuche als Kulturerbe sehen. Auch die im 19. Jahrhundert in Deutschland entstandene und inzwischen weltumspannende Genossenschaftsidee, die deutsche Theaterlandschaft oder das Chorwesen zählen zu den Bewerbern.

Kultusminister der Länder haben das letzte Wort

„Es ist nicht in erster Linie ein Wettbewerb. Das Wichtigste ist, dass wir durch die Diskussionen ein Bewusstsein für unsere kulturelle Identität bekommen“, sagt der Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission, Christoph Wulf. Der Anthropologie-Professor der FU Berlin ist Vorsitzender der Expertenkommission, die das deutsche Verzeichnis erstellt und die deutschen Vorschläge für die internationale Liste auswählt. Letztes Wort hierbei haben die Kultusminister der Länder.

Indem die Bewerber auf sich aufmerksam machen, sind sie alle Gewinner, ist Wulf überzeugt. „Wer wusste schon vor der Bewerbung des Deutschen Bühnenvereins, dass wir über 6000 Theater in Deutschland haben? Auch unsere Tradition des Orgelbaus ist weltweit einzigartig.“ Voraussetzung für die Aufnahme in die Unesco-Liste ist, dass ein Brauch von Generation zu Generation weitergegeben und gelebt wird. Kommerzielle Interessen dürfen nicht im Vordergrund stehen.

Faschingsbräuche aus verschiedenen Regionen konkurrieren um die Auszeichnung. In Nordrhein-Westfalen treten die Jecken aus Köln, Bonn, Düsseldorf und Aachen gemeinsam an: „Der Karneval im Rheinland verbindet Millionen Menschen friedlich und fröhlich miteinander, und wir sind zuversichtlich, was unsere gemeinsame Bewerbung angeht“, betont Markus Ritterbach, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval.

Der Freistaat Bayern hat bereits angekündigt, das immaterielle Kulturerbe künftig in einem eigenen Landesverzeichnis zu sammeln. Damit werde die Anerkennung und Wertschätzung für den wichtigen Einsatz für den Erhalt der lebenswerten bayerischen Heimat sichtbar gemacht, erklärte Kunstminister Ludwig Spaenle im November. Dass Deutschland erst spät dem Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe beigetreten ist, hat auch historische Gründe. Der Nationalsozialismus instrumentalisierte Bräuche wie die Sonnenwendfeiern. Auch aufgrund der DDR-Geschichte hat der Begriff Volkskultur einen schalen Beigeschmack. Heute noch hätten manche Deutsche Probleme mit Traditionen, sagt der Wissenschaftler Wulf: „Die Brüche in der deutschen Kulturgeschichte müssen in die Diskussion einbezogen werden.“