Joachim Krüger als Götz (links) und Thorsten Müller als Architekt Arnold Foto: Büchler

Freude und Hochstimmung befeuerten die letzten Proben des Ensembles "Vorhang auf!" im neuen Jahr, nachdem man die geplanten Aufführungen durch Corona bedingt zweimal hatte verschieben müssen. In der Alten Seminarturnhalle feierte das begeisterte Publikum nun die Premiere des tiefgründigen Dreiakters "Die Niere" von Stefan Vögel.

Nagold - Dem leichtfüßig wirkenden, von Andreas Lemke minimalistisch ausgestatteten Kammerspiel liegt ein durchaus heikles Thema zugrunde, doch sowohl dem Autor wie auch der Inszenierung von Sandra Müller (Co-Regie Rafael Hummel) gelingt der Spagat zwischen Ernsthaftigkeit, Ironie und Komödie.

Der Auftakt ist triumphal, denn der selbstverliebte Architekt Arnold (Thorsten Müller) führt mit Blick auf das Modell seines "Diamond Tower" einen Freudentanz auf: Endlich hat er den ersehnten Auftrag bekommen und will dies natürlich mit seiner Frau Kathrin (Elisabeth Galonska) und einem befreundeten Paar feiern. Da wird er jäh von einer Hiobsbotschaft überrascht: Eine Routineuntersuchung ergab, dass Kathrin eine Spenderniere braucht, und das anfängliche Mitgefühl Arnolds weicht bald dem Schrecken über die Gretchenfrage, ob er womöglich bereit sei, ihr eine Niere zu spenden.

Schwindende Empathie

Er ereifert sich, zaudert, eiert, bis Kathrin, genervt von der schwindenden Empathie des Gatten, das Gespräch abbricht – was wiederum Arnold eingeschnappt zurücklässt.

Auch den eintreffenden Freunden Diana (Simone Essig) und Götz (Joachim Krüger) bleibt das Thema nicht lange verborgen. Während die taffe Pharmazeutin Diana eine ganze Reihe von Risiken aufzuzählen bemüht ist, erklärt sich der gutmütige Götz sofort bereit, eine Niere zu spenden.

Schnell entwickelt sich nicht nur ein Hahnenkampf zwischen den beiden Männern, die in Arnolds makabrer Idee gipfelt, eine Niere aus dem Internet zu bestellen, sondern auch zwischen Götz und Diana, deren Haussegen ohnehin schon spürbar schief hängt.

Turbulente Achterbahnfahrt

Wie das Stück da Fahrt aufnimmt, wie die Vier in einer turbulenten Achterbahnfahrt wechselnder Ping-Pong-Dialoge und moralischer Spielchen auch noch über die phallische Symbolik des Turmes philosophieren, machte dem Publikum hörbar Freude.

Witziges Element: Sogar die Desserttorte, von dem zu besten Feinden gewordenen Quartett verzehrt, hat die Form des "Diamond Tower".

Das Thema Organspende oder Organhandel (dies auch im doppelten Sinne eines "Deals") wird zum symbolischen Aufhänger für die Auslotung zwischenmenschlicher Beziehungen und Abgründe, denn manche sprichwörtlichen Leichen lagern im Keller und führen die Handlung in immer wieder erstaunliche Kurven.

Da wird gestichelt, getrickst, getarnt, und vermeintliche Versöhnungstöne sind nur von kurzer Dauer.

Reichlich Applaus

Die vier Mimen stehen sich im Facettenreichtum ihrer Rollengestaltung in nichts nach und ernteten verdient reichen Applaus.

Warum Barcelona "eine Stadt voller Überraschungen" ist, welche Rolle die immer wieder erwähnte ukrainische Künstlerin im Ganzen hat und warum Kathrin mit einem süffisanten Grinsen sowohl den Gatten als auch den Nieren- Braten in der Röhre zurücklässt, gehört zu den verblüffenden Wendungen der höchst gelungenen Inszenierung.

Mehr sei hier nicht verraten. Das hingerissene Publikum – coronabedingt kleiner als bei vergangenen Premieren von "Vorhang auf!" – zollte dem ganzen Ensemble anhaltend, herzlichen Beifall.