Griechenland bestreikt, Spanien abgewertet, Europa gestresst: EU-Gipfel zum Handeln verdammt.

Brüssel/Berlin/Frankfurt - Griechenland bestreikt, Spanien abgewertet, Europa gestresst: Das Schulden-Debakel setzt Regierungen unter Druck – der EU-Gipfel ist zum Handeln verdammt. Wir beantworten die elf wichtigsten Fragen.

1. Welche Hilfen bekommt Griechenland?
Aktuell steht eine Entscheidung über die Auszahlung der sechsten Tranche von acht Milliarden Euro aus dem ersten Hilfs-Paket von insgesamt 110 Milliarden Euro aus. Die Regierung in Athen benötigt das Geld im November zur Auszahlung von Löhnen und Gehältern. Die Entscheidung werden die Euro-Finanzminister wohl am Freitag treffen. Bisher wurden fünf Tranchen mit einem Gesamtvolumen von 65 Milliarden Euro ausgezahlt - aus Deutschland kamen bisher Kredite von 13,5 Milliarden Euro.

Ein zweitägiger Generalstreik hat das öffentliche Leben in Griechenland bereits zum Auftakt am Mittwoch zum Erliegen gebracht. Flüge wurden abgesagt, der öffentliche Verkehr war unterbrochen, Schulen, Geschäfte und Praxen blieben geschlossen. In Athen versammelten sich mindestens 70.000 Demonstranten, um vor einer für diesen Donnerstag im Parlament geplanten Abstimmung über neue Sparmaßnahmen gegen die Regierung zu protestieren.

Wie sieht der Zeitplan für den EU-Gipfel aus?

2. Wie sieht der Zeitplan für den EU-Gipfel aus?
Am Freitag kommen die Finanzminister der 17 Euro-Länder zusammen - und verhandeln mindestens bis nach Börsenschluss in New York.

Am Samstag folgen die Kassenhüter aller 27 EU-Staaten, dann sind die Außen- oder Europaminister an der Reihe.

Am Sonntag treffen sich dann Staats- und Regierungschefs - erst im großen Kreis unter 27, dann in der kleineren Runde der 17 Euro-Länder. Bei dem ungewöhnlichen Konferenz-Marathon soll ein umfassendes "Lösungspaket" geschnürt werden, das möglichst noch vor dem Start der Börsen in Asien am nächsten Montag fertig sein soll. Es geht um die Rettung Griechenlands vor der Pleite, die Stabilisierung europäischer Großbanken, einen gestärkten Euro-Rettungsschirm EFSF und eine engere Abstimmung unter den Euro-Ländern.

Können die Banken mit Hilfen rechnen?

3. Können die Banken mit Hilfen rechnen?
Wegen der sich zunehmend verschlimmernden Schuldenkrise sollen Banken mit zusätzlichem Kapital ausgestattet werden. Große und international vernetzte Finanzinstitute müssen ohnehin schrittweise mehr eigenes Geld vorhalten. Abgewartet wird zunächst auch ein neuer Blitz-Stresstest der europäischen Bankenaufseher. Deutschland favorisiert, dass Institute zunächst bei Aktionären und anderen Finanzinvestoren frisches Geld einsammeln und dass erst in einem nächsten Schritt der Staat notfalls einspringt. Der französische Staatschef Nicolas Sarkozy will angeblich den ausgeweiteten Euro-Rettungsschirm EFSF direkt anzapfen. Das Pariser Finanzministerium verneint das aber offiziell.

Welche Rolle spielen die Ratingagenturen?

4. Welche Rolle spielen die Ratingagenturen?
Spekulationen auf Staatsanleihen werden eingeschränkt. Es geht um den Handel mit ungedeckten Kreditausfallversicherungen (CDS) auf Anleihen. Ab November 2012 sind diese nur noch in Ausnahmefällen möglich, wie EU-Kommission, Europaparlament und die EU-Staaten in Brüssel vereinbarten. Deutschland hatte bereits 2010 sogenannte ungedeckte Leerverkäufe verboten. Dabei wetten Spekulanten auf den Verfall einer Währung, Aktie oder Anleihe und verkaufen das Produkt, ohne es zu besitzen - in der Hoffnung, es später zu einem niedrigeren Kurs zurückkaufen zu können und so Gewinne einzustreichen.

Die komplizierten Produkte gelten auch als Hauptauslöser für die weltweite Finanzkrise. Die Ratingagentur Moody's stufte jetzt Spaniens Kreditwürdigkeit herab. Für Länder wie Banken gilt: Je schlechter die Bonität eingeschätzt wird, desto höher ist die Risikoprämie, die Geldgeber verlangen: Spanien muss nun vermutlich mehr Zinsen für seine Kredite bezahlen.

Wird es eine Euro-Regierung geben?

5. Wird es eine Euro-Regierung geben?
Die wirtschafts- und finanzpolitische Steuerung der Euro-Gruppe mit 17 Ländern soll rasch verbessert werden. Dazu gehört auch ihre Führung, die bisher in den Händen des luxemburgischen Premier- und Schatzministers Jean-Claude Juncker liegt. Deutschland und andere Länder schließen nicht aus, dass für eine "Wirtschaftsregierung" der Euro-Länder mit Eingriffsrechten in die nationale Haushaltsrechte die EU-Verträge erneut geändert werden müssen. Vertragsänderungen sind außerordentlich aufwendig und müssen von allen 27 Staaten ratifiziert werden.

Wie funktioniert der Hebel?

6. Wie funktioniert der Hebel?
Die Schlagkraft des Euro-Rettungsschirms EFSF soll erhöht werden - durch eine auf den ersten Blick wundersame Geldvermehrung. Denn das Kreditvolumen von 440 Milliarden Euro und das Garantievolumen von 780 Milliarden Euro sollen nicht aufgestockt werden. Trotzdem soll der Finanzspielraum des Rettungsschirms in Billionenhöhe gesteigert werden. Wie kann das funktionieren? Diskutiert wird eine Art Versicherungslösung.

Der EFSF würde bei neuen Staatsanleihen kriselnder Euro-Länder für etwa 20 bis 30 Prozent der Risiken für Investoren garantieren. Ein Beispiel: Ein Land braucht 100 Euro. Es bringt eine Anleihe im Wert von 100 Euro auf den Markt, statt einen Kredit über 100 Euro beim EFSF aufzunehmen. Der Rettungsschirm garantiert für 20 Prozent der Anleihe, also für 20 Euro. Kann der Staat die Anleihe nicht zurückzahlen, muss der EFSF dem Investor 20 Euro zahlen. E

in Kredit an das Land hätte den Rettungsfonds dagegen 100 Euro gekostet. Rein rechnerisch würde sich die Schlagkraft des EFSF bei einer Versicherungslösung um das Fünffache erhöhen. Wie groß die "Hebelwirkung" tatsächlich ausfällt, dürfte von der genauen Ausgestaltung und dem Umfang der Versicherung abhängen. Für den EFSF stehen die deutschen Steuerzahler mit maximal 211 Milliarden Euro gerade - ebenfalls in Form von Garantien an den EFSF. Gelingt die Operation, entstehen keine Verluste. Macht der EFSF Verluste, reicht er sie an die Steuerzahler weiter.

Warum kehren die Griechen nicht zur Drachme zurück?

7. Warum kehren die Griechen nicht zur Drachme zurück?
Damit wäre den Griechen nicht gedient. Schlecht für Griechenland wäre die Ausgabe einer neuen, deutlich niedriger bewerteten Währung allemal: Die Griechen würden in der Folge die Banken stürmen, Bankkonten plündern und versuchen, ihre ersparten Euro im Ausland möglichst in Sicherheit zu bringen. Ein griechischer Banken-Crash wäre die Folge, womöglich würden sich etliche französische und dann auch deutsche Banken anstecken.

Auch die griechische Wirtschaft hätte Probleme: Der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt wäre blockiert, es gäbe auf einen Schlag keine frischen Kredite für Investitionen mehr. Griechische Unternehmen könnten ihre mangelnde Wettbewerbsfähigkeit nicht über Investitionen erhöhen. Die Gefahr von sozialen Unruhen würde noch größer: Griechenland könnte sich viele Importe nicht mehr leisten. Treibstoffe und Nahrungsmittel würden deutlich teurer.

Warum ist ein Schuldenschnitt problematisch?

8. Warum ist ein Schuldenschnitt problematisch?
Ein Schuldenschnitt würde die Banken in Bedrängnis bringen, die Gläubiger des griechischen Staates sind. Sie haben bereits zugestimmt, auf 21 Prozent ihrer Forderungen gegen Athen zu verzichten. Wenn sie jetzt auf 50 oder gar 60 Prozent ihrer Forderungen verzichten würden, müssten einige Banken gigantische Summen abschreiben. Diese Institute würden nur dann überleben, wenn sie von den Staaten mit Milliarden-Finanzspritzen gestützt werden. Vor allem französische Banken wären betroffen. Der französische Staat als zweiter großer Kreditgeber im EFSF nach Deutschland würde dadurch selbst in Bedrängnis geraten. Seine gute Bonität wäre in Gefahr. Vor allem Paris ist daher gegen einen kräftigen Schuldenschnitt.

Kommen auf Deutschland noch mehr Lasten zu?

9. Kommen auf Deutschland noch mehr Lasten zu?
Nein. Eine Aufstockung des EFSF steht zumindest an diesem Gipfel-Wochenende nicht zur Debatte. Es soll dabei bleiben, dass die Obergrenze des Rettungsschirmes bei einem Kreditvolumen von 440 Milliarden Euro liegt, insgesamt können Garantien über maximal 780 Milliarden Euro ausgereicht werden. Das Bundesfinanzministerium beteuert: Deutschland trägt höchstens 211 Milliarden zum Kreditvolumen von 440 Milliarden bei. Ein Sprecher: "Über die 440 Milliarden Euro hinaus gibt es keine Diskussion. Basta." Hintergrund sind die anhaltende Unsicherheit in der Bevölkerung und Demonstrationen - etwa in Berlin vor dem Finanzministerium mit einem Schild mit der Aufschrift "Wir sind alle Griechen".

Die Nervosität in Berlin wächst: Am Mittwoch kursierten Spekulationen, wonach die Schlagkraft des EFSF auf eine Billion Euro erhöht werden soll. In Berlin hieß es zudem, wenn der EFSF alle Euro-Staaten abdecken solle, also auch Frankreich und Deutschland, müsse er eine Schlagkraft von 2,5 Billionen Euro haben.

Was machen andere Pleitestaaten?

10. Was machen andere Pleitestaaten?
Wenn der Euro-Gipfel den Griechen einen Großteil der Schulden am Wochenende erlässt, würde davon auch eine Signalwirkung auf die anderen kriselnden Euro-Länder ausgehen. Irland und Portugal, beide Länder befinden sich ebenfalls unter dem Rettungsschirm, würden kalkulieren: Womöglich müssen wir uns gar nicht so sehr anstrengen, die Auflagen zu erfüllen. Wenn Griechenland die Schulden am Ende erlassen werden, könnten wir dies unter Umständen auch erreichen? Die Disziplinierung der anderen europäischen Krisenstaaten würde also deutlich schwieriger.

Hat der Bundestag das letzte Wort?

11. Hat der Bundestag das letzte Wort?
Der EU-Gipfel soll die Schlagkraft des EFSF-Rettungsschirms erhöhen. Am Ende dürfte ein Finanz-Konstrukt stehen, das in der nacht zum Donnerstag von den Unterhändlern der EU-Mitgliedsländer ausgehandelt wird. Der Fahrplan sieht so aus: Bis Mitternacht erhält der Bundestag die Leitlinien für den EFSF mit erhöhter Schlagkraft. Dabei handelt es sich um ein Dokument in Englisch von etwa 70 DIN-A4-Seiten. Es soll bis Donnerstag auf Deutsch vorliegen und dann am selben Tag in den Fraktionen diskutiert werden.

Das neue Gesetz über die Parlamentsbeteiligung bei der Euro-Rettung sieht vor, dass die Leitlinien nicht vom gesamten Bundestag, sondern nur vom Haushaltsausschuss beschlossen werden. Allerdings heißt es in Fraktionskreisen: Die Haushaltsexperten stimmen nur zu, wenn es in den Fraktionen von Union und FDP eine breite Mehrheit gibt.