Wirtschaft- und Finanzminister Nils Schmid (SPD, links) stellte sich auf dem Marktplatz Bürgerfragen. Foto: Piechowski

Die sechste Stuttgarter "Volksversammlung" mit Nils Schmid geriet zur bislang turbulentesten.

Stuttgart - Die sechste "Volksversammlung", die am Mittwochabend auf dem Marktplatz stattfand, geriet zur bislang turbulentesten. "Etwas gereizt die Stimmung", befand der Stuttgarter SÖS-Stadtrat Gangolf Stocker, Gründer der Reihe, die unter dem Motto "Wir reden mit" eine neue Form der Bürgerbeteiligung etablieren will.

Rund 1000 Menschen waren gekommen, um dem baden-württembergischen Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid die Meinung zu sagen. Nicht etwa zu den 380 Millionen Euro, die er im Haushalt einsparen will, damit das Land ohne neue Schulden auskommt. Mit gellenden Pfiffen und wiederholten "Lügenpack"-Rufen quittierten sie, dass der SPD-Landesvorsitzende bekennender Befürworter des 4,5 Milliarden Euro teuren Bahnprojekts Stuttgart 21 ist.

Viele enttäuschte Sozialdemokraten am Mikrofon

"Ein Mensch, der wöchentlich eine Million Euro verdient, müsste mehr als 86 Jahre arbeiten, um dieses Projekt bezahlen zu können", sagte Moderator Jo Frühwirth. "Die Welt besteht aus mehr als nur Bahnhöfen", versuchte Schmid zu parieren - und zog sich damit den Zorn des Publikums zu. Beobachter wähnten sich fast auf einem SPD-Parteitag, so oft offenbarten sich Frager an den Mikrofonen als enttäuschte Sozialdemokraten.

"Die SPD ist jetzt über 140 Jahre alt und wird an dieser Sachfrage nicht zerreißen", entgegnete der 38-jährige Landesparteivorsitzende besorgten Genossen, die mit dem Festhalten der Parteispitze an S 21 den Untergang der Sozialdemokratie im Land befürchten. Für Schmid sind unterschiedliche Positionen in einer Volkspartei nichts Beunruhigendes. "Seiner Meinung kann jeder bei der Volksabstimmung über die Finanzierungsbeteiligung des Landes Ausdruck verleihen", warb Schmid mehrfach für den Urnengang am 27. November.

Gereizte Stimmung bei vielen Zuhörern

Wegen des hohen Quorums von einem Drittel aller Wahlberechtigten machte er damit ebenfalls keinen Stich. "Würde das Quorum bei der Landtagswahl gelten, hätte die grün-rote Regierung zu wenig Stimmen bekommen", bemerkte Frühwirth. Protestrufe erzeugte der Politaufsteiger des Jahres, als er auf Nachfrage die bisher von den S-21-Befürwortern kommunizierten Ausstiegskosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro unerwartet aufstockte. "Die Kosten für die Rückabwicklung der Kaufverträge der Bahnflächen sind da noch nicht drin", so Schmid. Bei einem Aus für S 21 kämen so noch rund 420 Millionen Euro drauf, die die Bahn der Stadt Stuttgart erstatten müsse. Projektgegner rechnen dagegen nur mit 200 bis 300 Millionen Euro, die für den Tiefbahnhof bisher verplant und verbaut sind.

"Jetzt haben Sie etwas zu spüren bekommen, welche Stimmung in Stuttgart herrscht", verabschiedete Frühwirt den SPD-Landesvorsitzenden nach anderthalb aufgeheizten Stunden.