Zum Thema Organspende kursieren viele Horrorgeschichten. Wir haben mit einem Experten gesprochen. Foto: dpa

Was steckt hinter Berichten über Ausschlachtungskommandos, Schmerzen und dem Vorwurf der Geldmacherei?

Villingen-Schwenningen - Rund ums Organspenden kursieren gruselige Geschichten: Etwa von Menschen, die lebendigen Leibes ausgeschlachtet wurden und fürchterliche Schmerzen erlitten. schwarzwaelder-bote.de hat mit Oberarzt Mathias Reyher gesprochen. Er ist Transplantationsbeauftragter des Schwarzwald-Baar-Klinikums. Reyher hat sich die Gruselberichte, die User auf der Facebook-Seite des Schwarzwälder Boten geteilt haben, angehört. Er räumt mit den Horrorszenarien auf:

User: "Es gibt laufend Berichte, wo der Patient aus seinem komatösen Zustand erwachte, dann nach regulärer Behandlung wieder in sein normales Leben zurückfand."

Mathias Reyher: In Deutschland werden Organe nach dem Hirntod gespendet - nach Vorschriften der Bundesärztekammer. Es gibt in Deutschland keine falschpositive Diagnose. Der Hirntod wird von zwei Fachärzten unabhängig voneinander diagnostiziert. Ein Hirntoter wird auch nie wieder ins Leben zurückkommen.

User: "Wird ein Spenderausweis gefunden, so werden häufig lebensrettende Maßnahmen unterlassen. Man hält dann bloß noch den Kreislauf in Funktion und ruft das Ausschlachtkommando."

Das ist falsch. Zunächst einmal steht der Patient im Vordergrund. Er wird voll versorgt. Es wird niemand schlechter behandelt. Ist keine Heilung mehr möglich und zeigt der Patient Zeichen eines beginnenden Hirntodes, dann wird eine Hirntoddiagnostik veranlasst. 

User: "Warum benötigen die Spender eine Narkose? Warum wurde schon beobachtet, dass Tränen flossen? Wie kann das sein bei einem Toten?" 

Ein Organspender bekommt keine Narkose. Ein Narkosearzt ist obligatorisch mit dabei, zur Kreislauftherapie und Beatmung. Zur Entnahme von Organen wird dem Patienten eventuell Muskelrelaxans verabreicht. Damit werden spinale Reflexe (also vom Rückenmark ausgehend) unterdrückt. Diese Reflexe zeigen auch Hirntote. Gelegentlich wird auch ein Opiat gegeben, ebenfalls für die Unterdrückung der Reflexe. 

User: "Warum werden die Spender auf dem OP-Tisch fixiert?"

Jeder Patient wird fixiert (unter anderem wegen der Reflexe). Zudem könnte sonst etwa ein Arm runterfallen. Da geht es einfach um Sicherheitsgründe. 

User:"Organspender werden lebendigen Leibes ausgeschlachtet. Sie empfinden furchtbare Schmerzen, können aber weder wegrennen, noch den Schmerz rausschreien.

Ein Hirntoter ist verstorben und verspürt keine Schmerzen. Er kommt auch nicht ins Leben zurück. Ein Hirntoter ist ein funktionell Enthaupteter. Der Restkörper wird durch intensivmedizinische Versorgung (etwa durch Beatmung) aufrechterhalten.

User: "Das Gehirn hat ja riesige Überkapazitäten, die für den Fall da sind, falls Teile des Gehirns ausfallen."

Beim Hirntod fallen Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm unwiederbringlich aus. Der Mensch kommt nie wieder zurück ins Leben. (Im Gegensatz zu Wachkoma- oder Locked-in-Syndrom-Patienten). 

User: "Die Organentnahme ist eine Einnahmequelle für die Krankenhäuser und Co. Ein Milliardengeschäft."

Nein, wir machen Minusgeschäft. Erst mit einer Änderung des Transplantationsgesetzes, die am 1. April 2019 in Kraft getreten ist, wird angestrebt, dass die Kosten überhaupt gedeckt werden. 

User: "Das Herz schlägt noch, die Seele ist noch da. Und man hat erbärmliche Schmerzen."

Der Hirntod ist naturwissenschaftlich definitiv. Wann die Seele den Körper verlässt, das kann jeder für sich entscheiden. Aber wer das Hirntod-Konzept für sich nicht akzeptiert, kann ja einen Organspendeausweis entsprechend ausfüllen. Ein Organspendeausweis bedeutet schließlich nicht automatisch, dass man Organspender ist. In Deutschland haben nur etwa 30 bis 35 Prozent einen Organspendeausweis. Deshalb ist es eine extreme Seltenheit, dass überhaupt ein Patient mit Ausweis bei uns eingewiesen wird. Die Entscheidungen zur Organspende werden deshalb in der Regel auf Grundlage des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen, der durch die Angehörigen eingeschätzt wird, entschieden. Sie sind in einer Trauersituation und müssen dann eine solche Entscheidung treffen. Deshalb ist es - auch mit Blick auf die Hinterbliebenen - jedem zu empfehlen, einen Organspendeausweis zu besitzen.