Marcel Klinge strahlt – seit 100 Tagen ist der Villinger nun bald Bundestagsabgeordneter für die FDP. Foto: privat Foto: Schwarzwälder Bote

Bilanz: Am 2. Januar wird der Villinger seit 100 Tagen FDP-Bundestagsabgeordneter in Berlin sein / Für Jamaica fehlt tragende Idee

Plötzlich gelandet in einer möglichen Jamaica-Koalition, dann noch plötzlicher vermutlich Teil einer Opposition. 100 Tage im Amt und noch kein bisschen ist es Routine. So lässt sich die Amtszeit des FDP-Bundestagsabgeordneten Marcel Klinge zusammenfassen. Über die wohl ungewöhnlichsten 100 Tage im Amt, die ein neuer Abgeordneter haben kann, sprach der Villinger mit dem Schwarzwälder Boten.

Am 2. Januar ist es soweit. Wie fällt dann Ihre persönliche Bilanz der ersten 100 Tage als Bundestagsabgeordneter aus?

Das war eine sehr spannende Zeit in Berlin, vor allem dieser ganze Regierungsbildungsprozess, woran wir ja nicht unbeteiligt waren. Man bekommt direkt vor Ort natürlich viel mehr mit. Ansonsten bin ich froh, dass zwischenzeitlich mein Büro arbeitsfähig ist – ich habe endlich ein Übergangsbüro mit drei Zimmern bekommen. Und ich freue mich, dass wir im Januar die Ausschüsse einsetzen, das sind ja die eigentlichen Arbeitsgruppen im Bundestag. Was im Plenum vorgetragen wird, ist vorher in den Ausschüssen schon lange diskutiert worden. Dann können wir mit der Arbeit loslegen. Ich glaube, die Bürger erwarten, dass wir uns jetzt langsam mal inhaltlich stärker einbringen.

Gutes Stichwort. Welche Schwerpunkte möchten Sie bei Ihrer Arbeit in Berlin im Parlament setzen?

Wir haben noch keine abschließende Einigung bei der Besetzung der Ausschüsse. Ich werde entweder in den Tourismus-Ausschuss komme – was ich für Südbaden und den Schwarzwald-Baar-Kreis eine ganz spannende Geschichte finde, durch die Uhrenstraße, den ganzen Schwarzwald-Tourismus oder die HOtelfachschule ergeben sich beispielsweise Anknüpfungspunkte. Die Alternative ist der Wirtschaftsausschuss, das wäre mit Blick auf unsere mittelständische Struktur auch ganz spannend. Das wird in der zweiten Januarhälfte entschieden sein.

Und bezogen auf den Wahlkreis?

Für den Wahlkreis an sich ergeben sich sehr viele Verkehrsthemen – die Gäubahn nach Stuttgart etwa, dazu habe ich den Verkehrsminister angeschrieben, aber auch die Bundesstraßen – sei es die Ortsumgehung in Richtung Behla oder die B523. Auch wegen dieser Themen habe ich an den Verkehrsminister geschrieben. Und mein persönliches Projekt ist eine Bahnverbindung von Freiburg über Villingen-Schwenningen nach Stuttgart. Die Höllentalbahn ist ja bald elektrifiziert, aber es fehlt noch das Stück zwischen Villingen-Schwenningen und Rottweil. Da sollten wir im nächsten Jahr auch mit dem Kreistag nochmals aktiver werden.

Nach Berlin geht es aber meistens mit dem Flieger, nehme ich an?

Genau!

Wie häufig sind Sie denn in Berlin, und wie groß kann die Präsenz im Wahlkreis dann noch sein?

Momentan würde ich sagen, ich bin 80 Prozent meiner Zeit im Wahlkreis, weil wir noch nicht regelmäßig Sitzungswochen in Berlin haben. Das wird sich aber im Januar ändern. Da gibt es dann den ganz regulären Parlamentsbetrieb mit Ausschüssen und so. Im Wahlkreis habe ich auch mittlerweile fast alle 20 Bürgermeister und Oberbürgermeister besucht. Und da ich auch andere Wahlkreise betreue, war ich auch dort unterwegs.

Was hat Sie an der Parlamentsarbeit – positiv wie negativ – überrascht?

Positiv finde ich, dass man zwar nur an kleinen Stellschrauben drehen kann im Parlament, aber trotzdem für viele Menschen etwas Großes bewirken kann. Und negativ aufgefallen sind mir ein paar Debatten in den letzten Wochen, insbesondere das Verhalten der AfD. Mein Eindruck ist, dass deren Vertreter aus dem Parlament einen Zirkus machen wollen und da sehr populistisch auftreten. Ich bin ja dafür, dass wir uns inhaltlich auch hart auseinandersetzen – mit der Linkspartei beispielsweise haben wir ja relativ wenig gemein. Aber das blieb alles noch im Rahmen. Die AfD sprengte zuletzt oft den Rahmen, das finde ich für die Parlamentskultur nicht so gut.

Für die Idee der Jamaica-Koalition gab es einen Fehlstart – wäre es rückblickend schlauer gewesen, es hätten sich alle nochmal zusammengerauft?

Aus meiner Sicht hat es von Anfang an gestockt. Die Kanzlerin hat drei Wochen gebraucht, um die Grünen und uns überhaupt erstmal einzuladen. Dann hat man sich fünf Wochen lang eingeschlossen, man hat wenig geschlafen und trotzdem ist man irgendwie nicht vorwärts gekommen. Ich glaube, einer der Hauptgründe ist, dass dieser Koalition eine tragende Idee gefehlt hat. Ein großes Projekt, das zusammenschweißt. Ich hätte mir vorstellen können, dass es das Thema Bildung und Bildungsfinanzierung ist. Da wären auch alle zueinander gekommen – aber trotzdem kam es nicht zu diesem übergeordneten Projekt. Ich hätte mir im Nachhinein gewünscht, dass die Kanzlerein etwas aktiver wird und mehr Führungsstärke zeigt.

Stärke zeigen – worauf muss sich die FDP konzentrieren, um das in Berlin zu tun?

Wir müssen nun eine gute Oppositionsarbeit machen. Für mich steht fest, dass wir konstruktiv sein wollen, wir wollen mit eigenen Ideen und Vorschlägen ins Parlament gehen. Und wir sind auch bereit, in vielen Themenbereichen, wo wir inhaltliche Schnittmengen mit der CDU/CSU haben, auszuhelfen, falls es zu einer Minderheitenregierung kommt.

Und das Privatleben des Bundestagsabgeordneten Marcel Klinge?

Ich muss gestehen, momentan bleibt nicht so viel Zeit fürs Privatleben. Ich freue mich, jetzt erst einmal über zwei Wochen Auszeit und Zeit für die Familie. Ich werde den Urlaub für nächstes Jahr planen, mal schauen, wo es hingeht. Ich denke, es geht vielen Menschen in der Weihnachtszeit so, dass sie das nutzen, um abzuschalten und auch einmal durchzuatmen.