In der Logistikbranche in Deutschland fehlen zwischen 45.000 und 60.000 Lastkraftwagenfahrer. Foto: Zakhar Marunov – stock.adobe.com

"Sobald Du aufstehst, stehst Du unter Strom." Branche ächzt unter Personalnot.

Villingen-Schwenningen - "Du machst Dich noch kaputt." Die Sätze seiner Frau hallen nach. Michael T. schafft den Absprung von einem frustrierenden Fernfahrerleben in eine geordnete Arbeitswelt. Der Mittvierziger versteht gut, dass die Branche unter Fahrermangel ächzt. "Du wirst wie der letzte Dreck behandelt."

Ein für allemal vorbei sind die Feiertage, an denen er nicht abschalten konnte. Die Jahreswechsel, bei denen er sich nicht wirklich auf ein neues Jahr freuen konnte: Vorbei sind die Zeiten, an denen er manches Mal zwei Wochen am Stück seine Familie nicht sehen konnte. Passé die Wochenenden, an denen er einfach seine Ruhe haben wollte und das Familienleben nur noch eine untergeordnete Rolle spielte, "so platt, wie ich immer war". Ein paar Jahre vor seinem nächsten runden Geburtstag will er raus aus dieser Schierendlos-Schleife aus Stress, Respektlosigkeiten und Schikane und damit raus aus einem Führerhaus, das für ihn nicht mal ein Minimum an Lebensqualität bedeutet: "Denn sobald Du aufstehst, stehst Du unter Strom."

Umsatz das Credo

An die 20 Jahre ist Michael T. (Name von der Redaktion geändert) für verschiedene Speditionen in der Region unterwegs. Sein Arbeitstag beginnt um 6.30 Uhr: Zwei Fuhren muss er bewältigen, "meistens ohne Pause, sonst schaffe ich die Touren nicht". Vor 19 Uhr ist er selten zuhause. Und "das Woche für Woche". Ist er im Ausland unterwegs, dann sitzt er auch an Wochenenden im Führerhaus, statt im Wohnzimmer abschalten zu können. Tag für Tag ein Abrackern ohne Pausen? "Das ist dem Chef egal", berichtet er mit Bitterkeit in der Stimme, "Du musst Umsatz bringen". Und die vorgeebenen Lenkzeiten? Er lacht sarkastisch. "Da gibt es Mittel und Wege.."

Doch nicht nur der Zwölfstundentag schiebt den ehemaligen LKW-Fahrer an die Grenzen seiner Belastbarkeit. "Es ist auch die Respektlosigkeit, mit der man behandelt wird", meint er und erzählt von einer Alltagsszene: Aufgrund von einem Stau auf der A 81 kommt er erst zehn Minuten vor 12 Uhr zu einem seiner Kunden, um eine Fuhre abzuladen. Abgefertigt wird er nicht, "nur fertig gemacht". Die zuständigen Firmenmitarbeiter lassen ihn stehen. Michael T. hat nur zwei Möglichkeiten: Er fährt den nächsten Kunden auf seiner Liste an, was jedoch nicht immer wegen der Distanzen möglich sei. Oder, was viel häufiger vorkomme: "Du wartest, bis die Mittagpause vorbei ist." Michael T. ist auch schon einen ganzen Tage herumgestanden, weil er wegen einer Reifenpanne eine Viertelstunde zu spät zu einem Kunden, einem großen deutschen Unternehmen kam: "Ihr Zeitfenster ist abgelaufen", hieß es. "Buchen Sie ein neues."

Täglicher Teufelskreis

Und damit ist er bereits im Teufelskreis gefangen, der nächste Kunde wartet ja schon". Staus, Unfälle oder Pannen, "das ist den Kunden egal". Generell herrsche ein "sehr rauer Ton". Oft werden die Fahrer sofort angeschrien, wenn sie nach dem Ablade-Ort fragen: "Wir sind das letzte Glied in der Kette und das lässt man uns spüren". Gleichgültigkeit erlebt er auch an anderer, persönlicher Stelle: Michael T. senkt den Blick, als er eine weitere Geschichte erzählt, ebenso die Folge des immensen (Zeit-)drucks: "Die meisten haben nicht einmal mehr die Zeit, auf die Toilette zu gehen. Die nehmen dann eine leere Flasche und werfen sie aus dem Fenster", zeigt er entwürdigende Zwänge auf. Als ob das nicht genug wäre, lasse auch die Solidarität unter den Kollegen sehr zu wünschen übrig. Was Michael T. auf der Straße so erlebt hat, hat nichts mehr mit der früher so oft beschworenen Fernfahrer-Romantik zu tun. "Einer hat mir Schläge angedroht, weil ich angeblich auf seinem Parkplatz stand." Miteinander reden, sich über Sorgen oder unschöne Erlebnisse austauschen? Kaum möglich, so Michal T., Konkurrenzdenken statt Solidarität herrsche vor: "Jeder will besser als der andere sein." Dazu kommen noch osteuropäische Banden, berichtet er, die die nächtlichen Parkplätze unsicher machen. Aufgeschlitzte Planen, Geräusche aus dem Laderaum und das hilflose Gefühl, "lieber nicht nach draußen zu gehen", auch das hat er bei seinen Touren erlebt.

Kein Wunder sei in der Branche ein Kommen und Gehen, suchen Speditionen händeringend Fahrer. In aktuellen Zahlen, die Klaus Helm, Pressesprecher der Agentur für Arbeit, vorlegt, spiegelt sich die desolate Situation wider: Im gesamten Zuständigkeitsgebiet der Agentur schrieben Unternehmen und Betriebe für die Sparte Berufskraft-Fahrer 30 Ausbildungsplätze aus und bekamen magere fünf Bewerbungen. Zur Verdeutlichung der dramatischen Entwicklung; Im Vorjahr sind rund 30.000 Lkw-Fahrer aus Altersgründen ausgeschieden. Die Folgen: In der Logistikbranche in Deutschland fehlen zwischen 45.000 und 60.000 Lastkraftwagenfahrer. Das schätzen der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) und der Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Die Branche will den Beruf nun attraktiver machen

Vieles liegt im Argen

Wie sehen Spediteure aus VS die Entwicklung? Auch für Marius Neininger (Vorsitzender der Geschäftsführung Bächle Logistics) liegen die Gründe auf der Hand. Die sozialen Rahmenbedingungen stimmen nicht. Geringe Wertschätzung schlage sich nieder in geringer Bezahlung und unattraktiven Arbeitszeiten. Wo ansetzen, um den Job des LKW-Fahrers wieder attraktiv zu machen? "Da liegt so vieles im Argen", weiß Michael T. nicht, wo anfangen: Von der Bezahlung über mangelnde Parkmöglichkeiten bis hin zu dem immensem Druck durch Lieferzeiten. "Vom Umgangston ganz zu schweigen."