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Kommunalwahl: Bürger aus Herzogenweiler mit den meisten Stimmen müssen in das Gremium – ob sie wollen oder nicht.

Villingen-Schwenningen - In Herzogenweiler tritt bei der anstehenden Kommunalwahl der komplette Ortschaftsrat samt dem Ortsvorsteher nicht mehr an. Wer die meisten Stimmen erhält, muss deshalb in das Gremium – ob gewollt oder nicht.

Ohne Frage: Wer nach Herzogenweiler fährt, der hat das Gefühl, dass hier die Welt noch in Ordnung ist. Im kleinsten Ortsteil der Doppelstadt, der zugleich mit Sicherheit der schneereichste ist, scheint es keine Sorgen zu geben. Die Kinder springen sorglos auf den Straßen umher, die Menschen grüßen, kennen und schätzen sich.

Kompletter Schnitt

Doch trügt die Idylle? Geht nun, nachdem es einen kompletten Schnitt beim Ortschaftsrat gibt, das große Geschacher um die sechs frei gewordenen Plätze im Gremium los? Nein. Im Gegenteil. "Man muss ja fast Angst haben, gewählt zu werden", berichtet ein Mittdreißiger aus Herzogenweiler mit einem Grinsen. Seinen Namen will er in der Zeitung nicht lesen. Vermutlich aus Angst, dass genau er dann viele Stimmen erhält. Und das hätte Folgen.

Denn: Da es in dem 200-Seelen-Dorf (etwa 150 Bürger davon sind wählbar und ebenfalls 150 Bürger sind wahlberechtigt) keine von den Parteien besetzten Listen für die Kommunalwahl gibt, können die Bürger einfach diejenigen auf den Stimmzettel setzen, die sie im Ortschaftsrat sehen möchten. Und der hat (fast) keine andere Wahl, als das Mandat zu übernehmen.

Ordnungsgeld droht

"Die Gewählten sind verpflichtet, als Ortschaftsrat zu fungieren", erklärt Oxana Brunner, Pressesprecherin der Stadt. Es gäbe zwar verschiedene Ablehnungsgründe – unter anderem wäre das Erreichen des 62. Lebensjahres ein solcher – doch einfach nur vorzubringen, man hätte keine Zeit, würde nicht ausreichen. Brunner: "Es handelt sich um eine Bestellung zu ehrenamtlicher Tätigkeit."

Soweit so gut. Doch was passiert, wenn sich jemand partout weigert? "Der Gemeinderat kann einem Bürger, der ohne wichtigen Grund eine ehrenamtliche Tätigkeit ablehnt oder aufgibt, ein Ordnungsgeld von bis zu 1000 Euro auferlegen", unterstreicht die Pressesprecherin, dass man es mit dieser Bestellung tatsächlich ernst meint.

Das weiß auch der Mittdreißiger. In den vergangenen Tagen habe er sich deshalb im Kreise der Familie bereits Gedanken gemacht, wer alles Ambitionen für einen Sitz im Ortschaftsrat hätte. Ein paar Namen seien ihm eingefallen, "aber sechs Leute kriege ich nicht zusammen". Die Gefahr, ungewollt gewählt zu werden, besteht also noch.

Wir wollen ein Stimmungsbild vor Ort einholen, fahren auf über 900 Meter Höhe und halten Ausschau nach Bürgern, die sich der Verantwortung stellen möchten. Zu dieser Zeit ist Manfred Wach gerade am Haus beschäftigt. Hat er Bedenken, dass er plötzlich im Ortschaftsrat sitzt? Wach schaut kurz fragend, winkt dann ab: "Ich bin kein Einheimischer, mich wählt hier niemand."

Nächster Versuch. Der Weg führt zu Familien Lienhard vom Glöcklehof. Mechthilde Lienhard schaut aus dem Fenster. Angst gewählt zu werden? Lienhard lacht laut los, "nein, nein – das sollen die Jungen machen!" Und sie sagt: "Das wird bei uns lässig angegangen."

Ein Lachen huscht auch einem 72-Jährigen über das Gesicht, als er zur Gefahr, unfreiwillig in den Ortschaftsrat zu geraten, befragt wird. Nicht, weil er aufgrund seines Alters ohnehin außen vor wäre, sondern weil er Erinnerung an solche Fälle hat. "Das hat es schon gegeben", sagt er und ergänzt grinsend: "So richtig haben sie sich aber nie geäußert, dass sie gar nicht ins Gremium wollten."

Es gibt Interessenten

Nichts ahnend geht an jenem Nachmittag auch ein junger Mann durch die Straßen des Ortes. Ein möglicher Kandidat? Wir fragen nach. "Was? Es hören alle auf? Das wusste ich nicht", erklärt Branko Sostarko überrascht – vielleicht sogar ein wenig erschrocken. Und, Angst gewählt zu werden? Der 35-Jährige überlegt kurz und sagt dann: "Das ist natürlich immer eine Zeitfrage." Er selber habe drei Kinder, seine Kapazitäten, sich ehrenamtlich zu engagieren, seien begrenzt. Man müsse "bereit sein und sich der Aufgabe stellen". Wäre so ein Posten was für ihn? "Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht", gibt er zu. Es ist ja noch ein wenig Zeit.

Doch: Im Hintergrund macht man sich bereits Gedanken um die Zukunft des Ortschaftsrates. Denn der scheidende Ortsvorsteher Martin Wangler und sein Stellvertreter Gerhard Blessing sorgen sich darum, dass keiner Angst haben muss, unfreiwillig gewählt zu werden. Warum auch? "Wir haben hier keine Probleme", unterstreicht Wangler, der als rühriger Ortsvorsteher von den Bürgern geschätzt wird. Doch der Rechtsanwalt tritt aus zeitlichen Gründen nicht mehr an, nachdem er das Amt zehn Jahre inne hatte.

Und er kann ebenso berichten: Es gibt bereits mögliche Aspiranten für den Ortschaftsrat. "Es haben sich mehrere gemeldet, die möglicherweise Interesse haben", so Wangler. Ob die Zahl reicht, um die gesamte Liste zu füllen, ist (bislang) aber nicht klar. Jedoch wollen Wangler und Blessing im März mit einer Informationsveranstaltung über die ehrenamtlichen Tätigkeiten aufklären und für das wichtige Gremium werben.

Damit soll ebenso die Gefahr gebannt werden, dass am Wahlabend jene nervös die Auszählung verfolgen, die möglicherweise unfreiwillig auf den Wahlzetteln stehen. Die Idylle in Herzogenweiler wird deshalb wohl auch nach der Kommunalwahl am 26. Mai Bestand haben. Es wäre auch wirklich schade drum.

Info: Ablehnungsgründe Ortschaftsrat

Beim Ortschaftsrat handelt es sich um eine Bestellung zu ehrenamtlicher Tätigkeit. Die Ablehnungsgründe einer ehrenamtlichen Tätigkeit sind in §16 der Gemeindeordnung geregelt. Hiernach kann der Bürger eine ehrenamtliche Tätigkeit aus wichtigen Gründen ablehnen oder sein Ausscheiden verlangen. Als wichtiger Grund gilt insbesondere, wenn der Bürger

 ein geistliches Amt verwaltet,

ein öffentliches Amt verwaltet und die oberste Dienstbehörde feststellt, dass die ehrenamtliche Tätigkeit mit seinen Dienstpflichten nicht vereinbar ist,

zehn Jahre lang dem Gemeinderat oder Ortschaftsrat angehört oder ein öffentliches Ehrenamt verwaltet hat,

häufig oder lang dauernd von der Gemeinde beruflich abwesend ist,

anhaltend krank ist,

mehr als 62 Jahre alt ist oder

durch die Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit in der Fürsorge für die Familie erheblich behindert wird.

Ob ein wichtiger Grund vorliegt, entscheidet bei Gemeinderäten der Gemeinderat, bei Ortschaftsräten der Ortschaftsrat.