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Eine junge Brigachtalerin spricht über den schweren Abschied von ihrem Vater im Palliativzentrum in VS und bricht eine Lanze für Pflegekräfte

Diagnose Krebs. Endstation Palliativzentrum. Alina Bartler, geborene Marazzita, hat ihren Vater auf diesem Weg begleitet. Er ist ihn zu Ende gegangen. Und sie möchte allen, die ihn noch vor sich haben, eines ans Herz legen: Mit wie viel Kraft, Herz und Trost das Team des Palliativzentrums in VS Angehörige und Patienten dem Pflegekräftemangel zum Trotz begleitet.

Villingen-Schwenningen. In der Brigachtalerin Alina Bartler wächst gerade neues Leben heran. Sie wird Mutter. Einen anderen musste sie schweren Herzens gehen lassen: ihren Vater Francesco Marazzita. Unter tiefe Trauer mischt sich auch große Dankbarkeit. Auf dem letzten Weg ihres Vaters, erzählt die heute 28-jährige Frau, habe die Familie riesigen Rückhalt und enorme Unterstützung im Palliativzentrum in Villingen-Schwenningen erhalten. Für die Mitarbeiter dort möchte Alina Bartler nun eine Lanze brechen, denn dass immer wieder Gerüchte kursieren, wonach Patienten und ihre Angehörigen für das Klinikpersonal in VS nur noch Nummern seien, die abgefertigt werden, kann sie nicht verstehen. "Ich bin immer sehr entsetzt wie die Leute über die schlechte Arbeit im Klinikum reden", sagt sie. Durch Fehler einzelner werde schnell das ganze Personal schlecht geredet. "Ich hab durch meinen Papa ganz andere Erfahrungen im Palliativzentrum gemacht", erklärt sie nachdenklich.

Im Juni 2017 war es, als Familie Marazzita der Boden unter den Füßen weggerissen worden war: Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Und plötzlich war da die Angst, "dass man nur noch wenig Zeit zusammen hat". Trotzdem: "Zu dem Zeitpunkt waren wir noch voller Hoffnung." Die Familie kämpfte vom ersten Tag an mit aller Kraft. Ein dreiviertel Jahr lang mit Erfolg: Dem Patienten ging es "den Umständen entsprechend ›gut‹", die Chemo schwächte ihn zwar, aber er hatte jeden Tag die Kraft, aufzustehen, rauszugehen, das Leben zu leben. Auch die Hochzeit von Tochter Alina Ende März 2018 feierte ihr Vater mit. Voller Dankbarkeit denkt Alina zurück: "Hier hatten wir das Glück, dass er mit dabei sein konnte. Das war damals das größte Geschenk."

Doch nach der Hochzeit ging es bergab. Ihr Vater habe nichts mehr bei sich behalten können, von der Notaufnahme ging es stationär für einen Monat ins Klinikum und von dort ins Palliativzentrum.

Der Ort, welcher für viele nur mit Schmerz und Abschied verbunden ist, wurde für Alina Bartler ein besonderer: "Ich habe im Palliativzentrum so viel Liebe und Fürsorge erlebt, dass ich heute noch weinen muss, wenn ich darüber nachdenke." Und zwar von der ersten Minute an. Eine Schwester habe den Neuankömmling und seine Familie herzlich empfangen, Francesco Marazzita in sein Zimmer gebracht und seiner Tochter das Haus gezeigt. "Sie zeigte mir den Empfang, an dem ich rund um die Uhr anrufen dürfte, wenn ich ein komisches Gefühl oder Fragen hätte. Sie zeigte mir die Küche, in der wir uns jederzeit bedienen dürften, auch als Angehörige." "Fühlen Sie sich hier wie Zuhause", habe sie gesagt. Sogar Haustiere dürfe man mitbringen oder beim Patienten übernachten. Dass das Palliativzentrum tatsächlich für eine lange Zeit das Zuhause der Marazzitas sein würde, ahnte die damals 27-Jährige da noch nicht.

Francesco Marazzita hatte ein Ziel, erzählte er dem behandelnden Arzt im ersten Gespräch: Er wolle seine Tochter bei der freien Trauung am 2. Juni zum Altar führen. "Von diesem Tag an, war ich im Palliativzentrum bei allen ›die Braut‹ und das größte Ziel war, dass Papa die Hochzeit miterleben kann", schildert Alina Bartler.

Trotz riesiger Vorfreude auf die Hochzeit war die Stimmung doch immer wieder getrübt. "Ich erinnere mich an einen Tag, an dem mein Papa sehr schlecht gelaunt war. Er schimpfte und war wirklich kaum zu ertragen. Ich ging nach draußen und fragte die Schwester, ob er den ganzen Tag schon so schlecht drauf war und sie sagte ganz einfühlsam zu mir: ›Wissen Sie, wenn man so krank ist wie ihr Papa, dann darf man mal so eine Laune haben – das ist schon okay!‹ Ich hätte sie umarmen können."

Mit unendlicher Geduld seien die Mitarbeiter im Palliativzentrum mit einem nicht immer einfachen Patienten umgegangen. Die Tage im Palliativzentrum gingen dahin – "immer mit unserem Ziel vor Augen". Der Zustand ihres Vaters verschlechterte sich. Aus einem "Ich laufe mit dir zum Altar" wurde ein, "vielleicht kann Mama mich im Rollstuhl neben dir schieben!" Es wurde immer ein bisschen weniger von Francesco Marazzita, der Anzug wurde im Palliativzentrum abgesteckt und so umgenäht, dass alle Schläuche versteckt waren. Aber scheinbar sollte es nicht sein: "Einen Tag vor der Hochzeit konnte ich es einfach nicht ertragen, wie er da hing und versuchte alle Kraft für mich aufzubringen" – Alina Bartler beschloss gemeinsam mit ihrem Papa unter Tränen, dass sie einen Anhänger von Papas Kette in ihrem Brautkleid tragen würde. "Siamo sempre insieme – non importa dove" stand darauf, zu Deutsch: "Wir sind immer zusammen, es spielt keine Rolle wo wir sind." Das Palliativzentrum litt mit den Marazzitas, alle waren traurig, "dass Papa es nicht geschafft hat". Die Hochzeitsgesellschaft filmte die freie Trauung für ihn, gemeinsam wurde der Film im Palliativzentrum in Villingen-Schwenningen abgespielt. Einen Tag später wurde Francesco Marazzita ins Hospiz verlegt. "Das ganze Team stand in seinem Zimmer, als er abgeholt wurde und weinte. Jeder verabschiedete sich einzeln von ihm." Eine Woche nach der Hochzeit, am 9. Juni 2018 schloss Francesco Marazzita die Augen für immer. Die Dankbarkeit an das Palliativzentrum über seine letzten Wochen dort fasst Alina Bartler an Juliane Tritschler und ihr Team im Palliativzentrum in eindrucksvolle Worte: "Ihr erlebt jeden Tag so viel Leid und bringt so viel Liebe und Geduld dabei mit, dass ich es kaum ertragen kann, weil mir das so viel Wärme geschenkt hat. Ihr habt jeden Tag für uns erträglich gemacht." Warum sie ihre so private Geschichte im Gespräch mit einer Zeitungsredakteurin teilt? "Ich wollte, dass ihr wisst, was für eine wunderbare Arbeit dort geleistet wird!"