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Vor 50 Jahren wurde ein Meilenstein gesetzt: Anerkennung der Alkoholsucht im Sozialgesetzbuch / 392 Betroffene kommen 2017 zur Fachstelle Sucht

Für viele sind sie einfach nur "Säufer" oder "Alkis". In Wahrheit aber sind sie krank. Heute seit genau 50 Jahren ist die Alkoholsucht als Krankheit im Sozialgesetzbuch verankert. "Ein Meilenstein" in den Augen von Andreas Menge-Altenburger von der Fachstelle Sucht im Schwarzwald-Baar-Kreis.

Schwarzwald-Baar-Kreis. Mit der Anerkennung als Krankheit im Sozialgesetzbuch wurde ein Teufelskreis durchbrochen, weiß Menge-Altenburger. Die Alkoholsucht ist häufig nur ein Glied in einer Kette, die oftmals auch den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich zieht, von der sich der Patient wiederum mit dem Griff zur Flasche tröstet. Eine Abwärtsspirale. Seit aber die Alkoholsucht als Krankheit gilt, sind mit diesem Status auch "gewisse Privilegien" verbunden: Ein Kranker genießt Kündigungsschutz und ist während der Heilbehandlung krankgeschrieben. Er kann gesunden, ohne sich Sorgen um seine Existenz machen zu müssen oder nach erfolgreichem Therapieverlauf in sein Leben zurückzukehren, das er plötzlich wieder neu aufbauen muss. "Das ist etwas ganz Existenzielles", weiß der Fachstellenleiter aus der Arbeit mit Betroffenen.

Andreas Moritz hingegen weiß es aus eigener Erfahrung. Lächelnd, aber auch sehr nachdenklich ist er im Pressegespräch bei der Fachstelle Sucht in Villingen zu erleben. Hier wirkt er heute als Ehrenamtlicher, ist selbst Kontaktperson und Ansprechpartner in einer Selbsthilfegruppe für Betroffene. Seit acht Jahren ist er trocken. Doch an die Zeit, als er noch "nass" war, wie das Team der Fachstelle Sucht die Suchtphase tatsächlich benennt, erinnert er sich noch gut.

Alkohol, das war damals in seiner Familie weder Teufelszeug noch Genussmittel. Bier und Most als Getränk waren "ganz normal". Schon als Fünfjähriger habe er probieren dürfen, erzählt er. Als Jugendlicher in Ausbildung dann sei einem Chemielehrer der regelmäßige und hohe Alkoholkonsum aufgefallen. "Hoppsala, Du konsumierst wirklich täglich Alkohol" – die Erkenntnis traf den jungen Mann wie ein Schlag. Trotzdem war das noch nicht der Anfang vom Ende der Trunksucht. "Die Leute kommen in der Regel erst zu uns, wenn sie einen Druck verspüren", erklärt Andreas Menge-Altenburger. Und auch dem heute ehrenamtlichen Berater ging das so. Abstürze, Zittern bei der Arbeit, unschöne Szenen, in welchen er sich den Alkohol regelrecht habe reinzwingen müssen, weil er wusste, dass die Übelkeit nach ein, zwei Bier verschwindet... 20 bis 30 Anläufe seien es sicherlich gewesen bis zu dem einen, der vor acht Jahren zum Erfolg geführt hat. Der erste Weg zum Arzt war weit. Es folgte die stationäre Entgiftung in einer Klinik, der körperliche Entzug und dann fing die richtige Arbeit erst an: die ambulante Therapie. Das Leben wird auf den Kopf gestellt, alles reflektiert, Gewohnheiten durchbrochen. Regelmäßige Treffen in der Selbsthilfegruppe, wo man sich ganz ungeschminkt mit allen Gedanken zeigen darf, helfen, den Therapieerfolg zu sichern und trocken zu bleiben. Einmal probieren geht schon? Der 51-Jährige schüttelt kräftig den Kopf. Er weiß mittlerweile, dass das schiefgehen würde. "Sobald ich leichte Umdrehungen merke oder mir wohlig wird oder warm, legt es einen Schalter um, und ich will mehr."

Wichtig: raus aus dem Stigma

Ehrenamtliche wie Moritz sind für die Fachstelle Sucht unglaublich wertvoll. Sie sprechen aus Erfahrung, kennen all das selbst, begegnen Süchtigen "auf Augenhöhe", schildert der Fachstellenleiter. In der Gesellschaft hingegen seien Alkoholsüchtige häufig mit einem Stigma belegt: "Der ist doch selbst schuld. Er soll halt aufhören zu trinken. Das ist ein Säufer", solche Sätze kommen vielen Menschen leicht über die Lippen. Viel seltener hingegen bringe man es auf den Punkt: "Der ist krank." "Und für eine Krankheit kann man ja erstmal nichts", sagt der Fachstellenleiter. Alkoholkranke Menschen, weiß Menge-Altenburger, haben in der Gesellschaft wenig Lobby.

Umso wichtiger die Anerkennung als Krankheit, um sich der künftigen Gesundheit zuwenden zu können. Häufig sei die Karriere schon zehn bis 15 Jahre alt, ehe Alkoholiker an dem Punkt angekommen sind, an dem sie sich mit ihrer Sucht auseinandersetzen. Doch die Hemmschwelle sich das einzugestehen, Hilfe zu suchen und zur Fachstelle Sucht zu kommen, ist groß. "Es ist keine Schande, an so einer Krankheit zu leiden und hier Hilfe zu suchen", macht Menge-Altenburger Mut.

Allein im Jahr 2017 wurden 1215 Beratungen für Menschen mit Suchtproblemen oder deren Angehörige in der Fachstelle durchgeführt. 392 Menschen kamen wegen Alkohols, manche nicht zum ersten Mal. Für viele war das der Schritt in ein trockenes Leben. Und Andreas Moritz, hat er Angst vor einem Rückfall? Entspannt lehnt er sich in seinem Stuhl zurück, lächelt und sagt selbstsicher: "Nein, ich habe keine Angst."

Weitere Informationen: Fachstelle Sucht für den Schwarzwald-Baar-Kreis, Großherzog-Karl-Straße 6 in Villingen, Telefon 07721/8 78 64 60. Für Menschen mit Suchtproblemen und deren Angehörige gibt es zehn Selbsthilfegruppen mit regelmäßigen Treffen.