Elemente der Verbindung wie auch Abgrenzung: Während die japanische Tänzerin Emi Miyoshi mit einem Seil hantiert, bringt Jürgen Oschwald im Hintergrund einen Zuschauer symbolisch hinter Gitter. Foto: Trenkle Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Zuschauer werden Teil der künstlerischen Performance / Spektakulärer Saison-Start der Kernmacherei

Die neunte Saison der Kernmacherei ging am Freitagabend an den Start. Erstmals fand eine Veranstaltung nicht im Hinterbühnenraum des Villinger Theaters am Ring statt, sondern acht Kilometer weiter in der Städtischen Galerie in Schwenningen.

VS-Schwenningen. Die Idee der räumlichen Verknüpfung Villingens und Schwenningens im vom Amt für Kultur unterstützten Kunstprojekt tat dem Gezeigten außerordentlich gut: Die beiden veranstaltenden Künstler Jürgen Palmtag und Emmerich Györy hatten die japanische Tänzerin und Choreografin Emi Miyoshi und den Freiburger Performance-Künstler Jürgen Oschwald eingeladen, Ausschnitte ("Cutouts") aus deren preisgekrönter tänzerischer und bildhauerischer Performance "In My Room" zu zeigen.

Schon der Name lässt vermuten, dass das Dreidimensionale darin eine besonders wichtige Größe darstellt. Die Vermutung bewahrheitete sich. Das Duo in Zusammenarbeit mit dem Musiker Ephraim Wegner vereinnahmte das zwischen zwei Ausstellungen derzeit leere und verwinkelte Erdgeschoss der Galerie und zog das zahlreich erschienene Kernmacherei-Publikum mit vielen neuen Gesichtern in seinen Bann. Anders als auf einer Bühne mit davon distanziertem Zuschauerbereich standen die Gäste mitten innerhalb der Aufführung.

Immer wieder bezogen Jürgen Oschwald und Emi Miyoshi sie mit in die künstlerische Performance ein. Hauptinstrument ihrer Kunst stellen deren eigene Körper dar: Mal getrennt, mal über angedeutete Bindungen latent in Beziehung wie auch bisweilen eng miteinander und ineinander chaotisch verknotet, nutzen sie großzügig den Raum und stellen sich selbst als dynamische, sich entwickelnde und wieder zerfallende Skulpturen dar. Das Ganze geschieht fast in Zeitlupe, welche zusätzlich große motorische und koordinatorische Leistungen abfordert. Weitere Instrumente finden sich in Utensilien wie Seilen, Klebebändern, Papier, Holzleisten, Brettern oder einem Metallkorb. Meist scheinen auch sie Symbole der Bindung wie auch der Trennung darzustellen.

So befestigt Emi Miyoshi beispielsweise in einer Szene ein dünnes Seil an einem Heizkörper und scheint daran mit aller Gewalt zu ziehen. Einen Raum weiter drangsaliert im gleichen Zug-Rhythmus offenbar ein dickes Seemannsseil Jürgen Oschwald, reißt an ihm, zerrt an ihm, würgt ihn sogar. Durch Klebebänder auf dem Fußboden erstellte Linien führen die beiden zu sich oder trennen sie. Ebenso wie die Zuschauer. Diese sind verunsichert über zufällig vor ihren Schuhen durch Oschwald aufgezogene Klebebandlinien – radikal erstellt ähnlich wie es Schiedsrichter beim Freistoß mit weißem Spray auf den Rasen für die Spieler handhaben. "Darf ich diese übertreten, die anderen sehen mich dabei?"

Gerade durch die vermeintliche Abgrenzung werden die Gäste jedoch zu Teilnehmern der zwangsläufig nicht komplett determinierbaren Gesamtperformance. Von Szene zu Szene wechseln Emi Miyoshi und Jürgen Oschwald die Säle und mit ihnen die Gäste. Dort, wo die Zuschauer im einen Raum wenig sahen, stehen sie plötzlich in der ersten Reihe, werden womöglich auch selbst ins künstlerische Spiel eingebunden. Ohne verbale Aufforderung leisten sie statische Hilfe beim Aufbau einer fragilen Körperskulptur oder lassen sich fast gewalttätig in eine vergängliche Installation verwandeln: So beispielsweise bei einer sehr eindrücklichen Szene, in welcher Bildhauer Oschwald mittels zerbeultem Metallkorb einer Gefriertruhe zumindest den Kopf eines Zuschauers hinter Gittern bringt. Surreales, Verängstigendes, Bedrohliches, Lächerliches, Skurriles, Witziges, Tiefgründiges oder auch bisweilen Sinnentleertes begegnet dem Publikum, lässt es sich auf die Performance ein.

Nicht unerwähnt bleiben darf im Projekt der dritte Protagonist, welcher nur vermeintlich im Hintergrund agiert. Ephraim Wegner, Professor für Audiovisuelle Informatik und Game Design an einer Freiburger Hochschule, einst auch mit Lehrauftrag an der HFU Furtwangen tätig, unterlegt das Geschehen mit eindrücklichen Sounds. Hierbei reagiert er allerdings nicht nur auf die beiden räumlich wirkenden Darsteller, sondern diese auch auf ihn: Es entstehen nachhaltige Resonanzprozesse – im thematisierten Beziehungsgeflecht eine weitere Dimension.

Sehr große Resonanz fand die Performance beim zahlreich erschienenen Publikum. Langanhaltender Applaus belohnte die Protagonisten. Den am Ende dankend wie lobenden Worten von Jürgen Palmtag konnte sich Galerieleiterin Vanessa Charlotte Heitland nur anschließen.