Vorbildlich: Bei diesem ausgezeichneten kommunalen Wohnungsbauprojekt in Villingen-Schwenningen betrugen die Baukosten 1700 Euro pro Quadratmeter. Foto: Jens Hagen Foto: Schwarzwälder Bote

Immobilien: Kosten für neu errichteten Wohnraum steigen seit dem Jahr 2000 um 40 Prozent

Die Kosten für den Bau von Häusern und Wohnungen steigen seit einigen Jahren massiv. Sind hohe Energiesparvorgaben und Anforderungen an Radstellplätze die wahren Preistreiber?

Stuttgart. "Bei der Politik ist die wahre Dramatik des Wohnungsmangels noch nicht angekommen", sagt Carmen Mundorff, Geschäftsführerin der Architektenkammer Baden-Württemberg. Anders kann sie es sich nicht erklären, warum Grüne und CDU monatelang darüber streiten, ob man bei der Novelle der Landesbauordnung die Vorschriften streicht, Fassaden zu begrünen und Fahrradstellplätze zu bauen. Diese Woche hat man sich geeinigt – die begrünten Fassaden bleiben, bei den Radstellplätzen gab es Abstriche. Das seien Details, sagt Mundorff: Die wahren Ursachen lägen ganz woanders.

Die Kosten schießen derart in die Höhe, dass vor allem bezahlbarer Wohnraum nur noch schwer gebaut werden kann. Eine bis heute unübertroffene Studie von 2015 zum Thema "Kostentreiber für den Wohnungsbau" – im Auftrag von Immobilienunternehmen, Baustofffachhandel und Mieterbund – kam zu dem Ergebnis, dass sich die Bauwerkskosten zwischen 2000 und 2014 um 40 Prozent erhöht haben. Ein Quadratmeter Wohnfläche war 2000 für knapp 1000 Euro zu bauen, 2014 waren es 1432 Euro.

Zwei Faktoren haben dazu geführt: Zum einen die überproportional steigenden Preise für Material und Arbeitslohn am Bau – sie machen laut Studie die Hälfte der höheren Kosten aus. Im Mai 2018 verzeichnete das Statistische Bundesamt einen Anstieg der Baupreise um 4,1 Prozent gegenüber Mai 2017. Das sei der höchste Anstieg seit 2007. Die gute Konjunktur und volle Auftragsbücher machen es den Handwerkern leicht, höhere Preise durchzusetzen.

Kritik an energetischen Anforderungen

Der zweite Faktor sind die strengeren Vorgaben von Bund, Ländern und Kommunen; sie machen 15 Prozentpunkte der höheren Kosten aus. Es geht um Auflagen für Brandschutz und Erdbebensicherheit, Gebühren und Steuern. Die Landesregierung hat kräftig mit an der Preisspirale gedreht: Schon 2011 hat sie die Grunderwerbssteuer von 3,5 auf 5 Prozent erhöht.

Der am hitzigsten diskutierte Punkt sind die energetischen Anforderungen – Dämmung und Heizung. Die Energieeinsparverordnung ist 2016 erneut verschärft worden. Diese Vorgaben hätten den Bau einer Wohnung um acht Prozent verteuert, heißt es in mehreren Studien. Das Forschungsinstitut für Wärmeschutz in München hat dagegen dargelegt, dass sich die höheren Kosten fast immer im Laufe von acht bis 17 Jahren aufgrund geringerer Heizkosten amortisierten. Der ökologische Gewinn durch weniger CO2-Ausstoß sei dabei noch nicht berücksichtigt. Ein Aufreger ist in Baden-Württemberg die mögliche Verschärfung der Erdbebennorm – sollten tatsächlich Gebiete in eine höhere Gefahrenklasse eingestuft werden, bedeutet das höhere Auflagen und Kosten.

Nicht ganz so stark ins Gewicht fällt bei der Studie von 2015 der Anstieg der Grundstückspreise. Die Situation hat sich aber in den vergangenen Jahren zugespitzt, vor allem in den Ballungsräumen. In Baden-Württemberg ist baureifes Land in den vergangenen 20 Jahren im Schnitt um 70 Prozent teurer geworden; laut Statistischem Landesamt kostete 2016 ein Quadratmeter gut 167 Euro. In der Region Stuttgart sind 500 Euro pro Quadratmeter nicht selten – da kostet etwa ein 400-Quadratmeter-Grundstück 200 000 Euro. Für Mundorff ein Ansatzpunkt: Die Kommunen müssten dafür sorgen, dass Bürger und Genossenschaften günstiger an Bauland kämen. Ulm etwa könne die Preise bestimmen, weil ein Baugebiet erst eröffnet wird, wenn die Stadt alle Flächen besitzt.

Auch wenn die Auto- und Fahrradstellplätze bei der Preisdynamik nicht allzu sehr ins Gewicht fallen, haben manche Kommunen ihre Satzungen entschärft. So bedarf es in Freiburg seit 2016 pro Wohnung nur noch eines halben statt laut Landesbauordnung eines ganzen KfZ-Stellplatzes, wenn es Studierenden- oder Seniorenwohnungen sind, eine ausreichende Unterbringung für Fahrräder vorhanden und eine Bushaltestelle in der Nähe ist.

Trotz hoher Kosten gelingt es manchen Bauherren, neue Wohnungen günstig zu errichten und zu vermieten. So ist das Projekt Neckarfair der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft wbg in Villingen-Schwenningen mit dem Bauherrenpreis 2018 ausgezeichnet worden. Vier holzverschalte Häuser mit 47 Wohnungen seien mit "reduzierter Architektur, aber sehr hoher Qualität" gebaut worden, sagt Geschäftsleiter Rainer Müldner. Man habe die Planungs- und auch die Folgekosten gering gehalten. Das Ergebnis: 1700 Euro Baukosten pro Quadratmeter. Die Mieten liegen bei rund sechs Euro pro Quadratmeter.

Es braucht mehr solcher Projekte. Eine Prognos-Studie zeigt, dass sich eine Familie mit zwei Kindern in Großstädten keine angemessene Wohnung mit 110 Quadratmetern mehr leisten kann, selbst wenn beide Elternteile arbeiten – es sei denn, sie gehören zu den Topverdienern.