"Man hat den Menschen ihre Würde geklaut": Wilfried Rademacher vor dem Urnengrab seiner Mutter. Wie bei vielen anderen wurde auch hier im Sommer 2015 die auf einer Metallstange festgeschraubte Namenstafel von Dieben entwendet. Foto: Wagener Foto: Schwarzwälder-Bote

Friedhof: Urnengräber immer noch ohne Namensschilder / Verwaltung will neue Tafeln im Frühjahr anbringen

Von Fabian Wagener

Vor fast einem halben Jahr klauten Diebe mehr als 50 bronzene Namenstafeln von den Urnengräbern auf dem Alten Friedhof. Bislang wurden diese nicht ersetzt. Auch deshalb wächst bei einigen Hinterbliebenen der Unmut über die Stadt. Die aber kündigt jetzt Positives an.

VS-Schwenningen. Wilfried Rademacher stapft über den von Schneematsch bedeckten Rasen des Alten Friedhofs. Dann stoppt er und zeigt auf eine der zahlreichen Metallstangen, die etwas verloren aus dem Boden ragen. Hier, erzählt er, befindet sich das Urnen-Grab seiner Mutter. Hier wurde sie im Frühjahr 2013 beigesetzt, um ihre letzte Ruhe zu finden.

Es ist durchaus notwendig, dass Rademacher das Grab aus nächster Nähe zeigt, ansonsten würde man es nämlich nicht finden. Denn: Seit bis heute unbekannte Täter Anfang August 2015 über 50 bronzene Hinweistafeln mit mehr als 300 Namensschildern von den Metallstangen abmontierten und entwendeten, stehen die Baum-Urnengräber namenlos da. Keine Schilder, keine Plaketten, keine Tafeln – nichts weist auf die Menschen hin, die hier bestattet worden sind. "Es ist beelendend, wenn man vor den Gräbern steht", sagt Rademacher. "Man hat den Menschen ihre Namen und damit ihre Würde geklaut."

Der 67-Jährige ist immer noch fassungslos über die Dreistigkeit und Pietätlosigkeit der Diebe. Aber auch etwas anderes nimmt ihn mit: das Verhalten der Verwaltung, die für die Anbringung neuer Schilder zuständig ist. "Es ist seit Monaten nichts passiert", sagt Rademacher. "Und wenn man bei der Friedhofsverwaltung anruft und nachfragt, kriegt man nur ausweichende Antworten. Die Informationspolitik den Angehörigen gegenüber ist eine Katastrophe. Das belastet mich."

So habe die Verwaltung unmittelbar nach dem Diebstahl angekündigt, die Angehörigen zu kontaktieren. Rademacher aber hat bis heute keinen Brief bekommen, sagt er. Auch seine Schwester habe keine Post von offizieller Seite erhalten. "So etwas ärgert mich", so Rademacher, der mit seinem Unmut nicht alleine ist. Auch Kurt Borisch, dessen Mutter 2007 auf dem Alten Friedhof beigesetzt wurde, kann einen gewissen Groll nicht verbergen. Er habe zwar kurz nach dem Diebstahl einen Brief erhalten, seither aber nichts mehr gehört. "Der Umgang mit der Situation ist unprofessionell", findet Borisch. "Man kümmert sich nicht genug um die Bürger."

Nun aber scheint sich die Situation aus Sicht der Hinterbliebenen zum Positiven zu wenden. Wie Nicolas Lutterbach, Pressesprecher der Stadt, im Gespräch mit unserer Zeitung sagt, sollen die neuen Namenstafeln im Frühjahr, in frostfreier Zeit, angebracht werden.

Vor Weihnachten seien bei der Stadt die ersten Schilder von der Gießerei eingetroffen. Der Rest käme nun "tröpfchenweise" nach. Beim Anbringen der Schilder liege der Fokus "auch auf einer besseren Sicherung", verspricht er.

Dem Vorwurf, die Stadt sei in den vergangenen Monaten tatenlos gewesen, tritt der Pressesprecher jedoch entschieden entgegen. "Die Stadt war nicht untätig. Die Nachbestellung der Schilder wurde mit Hochdruck eingeleitet", sagt er. Um zu verstehen, warum das alles seine Zeit brauche, müsse man wissen, wie die Schilder hergestellt werden. "Das sind Spezialanfertigungen", erläutert Lutterbach. "Man muss sich da auch nach den beteiligten Firmen richten." Die neuen Schilder hätten die gleiche Qualität wie die gestohlenen, fügt er überdies an.

Wer aber muss für die Kosten der neuen Namenstafeln aufkommen? Die Hinterbliebenen? Die Stadt? Eine Versicherung? Die entwendeten Schilder, so Lutterbach, seien nicht versichert gewesen. Dies sei nicht üblich und entspreche nicht der "Pietät" der hiesigen Bestattungskultur. Zudem gebe es "kunstvoll gestaltete metallene Gegenstände" nicht nur auf Friedhöfen, sondern auch andernorts im öffentlichen Raum, etwa an Brunnen, Geländern oder Skulpturen. All diese gegen den Schaden zu versichern, der durch die "organisierte Kriminalität der Metalldiebe" entstehe, sei leider nicht möglich. Die Kosten für die neuen Namenstafeln trage deshalb die Stadt. Auf die Hinterbliebenen, so stellt Lutterbach klar, kommen keine Kosten zu.

Für Wilfried Rademacher dürften das sehr erfreuliche Nachrichten sein. Nach all dem Unmut entwickeln sich die Dinge nun wohl doch noch zum Guten. Dass ihm das viel bedeutet, merkt man, wenn man mit ihm am Grab seiner Mutter steht. "Sie wollte kein anonymes Grab", sagt er. "Ich wünsche mir, dass die Toten hier wieder einen würdevollen Platz mit ihren Namen haben." Dieser Wunsch könnte nun also in diesem Frühjahr in Erfüllung gehen.