Auf Tuchfühlung mit der Natur gehen Waldorfschüler in der Tat, aber das ist längst nicht alles. Foto: Halfpoint – stock.adobe.com

Schwenninger Haus entkräftet Vorurteile. Absolventen machen Karriere.

Villingen-Schwenningen - Ein Stück heile Welt ist es schon. Im Schulgarten ranken Kräuter und Blumen in die Höhe. Im Bienenstock summen die Tiere der Bienen-AG. Hinter dem Haus grasen die Waldorfschul-Schafe. Auf den Caféteria-Tischen stehen Vasen – jede mit einer frischen Blume darin. Und im Schulgebäude herrscht vor allem eines: Ruhe. Die Waldorfschule in Schwenningen ist eine Oase in der Schullandschaft. 420 Schüler besuchen sie. Und sie ist im digitalen Zeitalter gefragter denn je.

Klar, die Frage nach den Namenstänzern kommt immer, erzählt die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Kerstin Remsperger, und lacht. Aber längst habe sich herumgesprochen, "dass man hier ganz normale Abschlüsse machen kann". Kein Wunder also, dass viele Absolventen der Schwenninger Rudolf-Steiner-Schule schon eine richtige Karriere hingelegt haben: Der eine ist Ingenieur bei Audi, die andere studierte erfolgreich International Business, Elisa Merz beispielsweise hat es als international angesehene Meeresbiologin und Forschungstaucherin sogar in die Antarktis verschlagen.

2,4 ist 2018 der Abiturs-Schnitt der Schwenninger Waldorfschule. In manchen Jahren liege sie sogar merklich über dem Landesdurchschnitt – gelöst werden dieselben Abitursaufgaben am gleichen Tag. Allerdings legen die Waldorfschüler ihr Abitur in Tagesform ab, eine Vorbenotung gibt es hier nicht.

Auch wenn hier keiner sitzen bleibt, "durchtragen können wir niemanden", betont der Geschäftsführer Klaus Ketterer in seinem Büro, das die warme, gemütliche Atmosphäre aufgreift, die hier typisch ist: Wenig Beton, viel Holz und Farben. Wer in einem Bereich schwächelt, werde zeitweise herausgenommen und ganz gezielt gefördert, erklärt Ketterer. Klassenziele und den Lehrplan gebe es natürlich auch an der Waldorfschule. Statt des normalen Stundenplans gibt es Epochenunterricht – auf drei Wochen Mathe folgen etwa drei Wochen Deutsch. Die Erfahrung gebe Recht: In der Zwischenzeit könne der Groschen für die anfangs unlösbar erscheinende Mathe-Aufgabe längst gefallen sein. Englisch und Französisch lernen die Schüler Klasse eins. Ihren Klassenlehrer behalten sie acht Jahre lang. Und viel Wert wird auf einen festen Tagesablauf gelegt. Routine gibt es auch im Schuljahr: Landwirtschaftspraktikum in Klasse neun, Betriebspraktika für die Zehner, in der elften Klasse das Sozialpraktikum und darüber hinaus Klassenspiel, Projektarbeit, Kunstprojekt und Eurythmieabschluss in Klasse zwölf – und bei letztgenanntem können die Schüler viel mehr, als nur ihre Namen zu tanzen: Koordination und Konzentration, Rhythmik und Musik, Buchstaben und Emotionen beispielsweise.

"Wir sind eine normale Schule, wir haben nur einen anderen Weg zu den Abschlüssen", beschreibt es Kerstin Remsperger. Was aber macht die Waldorfschule so anders, so besonders? "Vielleicht, dass wir den Schülern Zeit geben", sagt Ketterer. Leistungsdruck wie an staatlichen Schulen werde gezielt vermieden, stattdessen Soziales und die Persönlichkeitsentwicklung stark gefördert. Und auch der Solidaritätsgedanke. Das fängt im Grunde schon beim Anmelde-Gespräch mit den Eltern an: die einen, die gerade nicht dazu in der Lage sind, bezahlen gar nichts, die anderen bis zu 500 Euro monatlich für den Unterricht ihres Kindes. Verblüffenderweise funktioniert das. Und abliefern muss auch ein Waldorfschüler, auch hier gibt es Zeugnisse. "Wir bewerten die Schüler genauso, aber halt nicht so platt mit einer zwei, drei oder vier, sondern mit einem Textzeugnis, in dem wir ihnen sagen, was sie gut gemacht haben und was nicht." Und auch ein Waldorfschüler muss Strafarbeiten einstecken – in Form einer sinnvollen Hausmeistertätigkeit am Nachmittag beispielsweise. "Wir sind da keine Insel, wir haben genauso unsere Pappenheimer", sagt Ketterer und lacht wieder dieses Lachen, das hier irgendwie zum Schulkonzept gehört.