Abstieg hin, Wiederaufstieg her: Die Fans bleiben dem VfB treu Foto: Baumann

Europas stärkster Wirtschaftsraum braucht einen erstklassigen VfB Stuttgart. Darin sind sich alle Beobachter einig. Noch sind die Folgen des Abstiegs kaum spürbar, aber das wird sich ändern – falls die Rückkehr in die Bundesliga misslingt.

Stuttgart - Null zu drei in Würzburg. Es war einer dieser Tage, an denen der Fan des VfB Stuttgart fürchtet, dass sein Club wohl eher Unesco-Weltkulturerbe wird als Wiederaufsteiger in die Bundesliga. Der Schlussakt der ersten Hälfte dieser Zweitliga-Spielzeit trug jedenfalls Züge einer Tragikomödie, die den Betrachter zweifelnden Blickes zurückließ und ihn in der Gewissheit bestärkte, dass aus Bayern noch selten etwas gekommen ist, was dem VfB eine Hilfe war.

Während der Winterpause kam trotz allem die offensive Rasenfachkraft Julian Green (21), zwar nicht aus Würzburg, aber aus München. Doch selbst der Transfer aus der Exquisit-Abteilung der Bundesliga vermag das gedimmte Licht der Hoffnung über dem Cannstatter Wasen nicht entscheidend zu erhellen. Wer immer vor dem Rückrundenstart beim FC St. Pauli (Sonntag, 13.30 Uhr) darüber sinniert, ob Württembergs Fußballstolz die umgehende Rückkehr in die Bundesliga gelingt, wirkt wie vom Virus gelinder Skepsis befallen. Weil der VfB-Motor während der Hinrunde eben nur selten schnurrte wie ein Kätzchen. Da schwäbische Fußballseelen selten zu übertriebenem Optimismus neigen, verinnerlichen Stuttgart und die Region die bewährte Taktik einer Trainer-Ikone: Otto Rehhagels kontrollierte Offensive. Noch aber siegt die Zuversicht.

„Vielleicht“, schwant Joachim Schmid, „wird das mit dem Wiederaufstieg doch ein bisschen schwieriger als gedacht.“ Dem Vorsitzenden der rot-weißen Schwaben Berkheim hängt die Niederlage am vorletzten Spieltag der Hinrunde gegen Hannover 96 (1:2) noch in den Kleidern. Und erst recht das finale Desaster bei den Würzburger Kickers. „Ich war schon ein bisschen geschockt.“ Was auch deshalb verständlich ist, weil die Euphorie gleich zu Saisonbeginn eine Art von surrealem Klima schuf, das den Abstieg irgendwie zur Fußnote machte.

Schmid begrüßte 120 neue Glaubensschwestern und -brüder im größten VfB-Fanclub (1100 Mitglieder). „Das sind deutlich mehr, als ausgetreten sind.“ Die Heimpartys der Helden in Weiß und Rot feierten in der Mercedes-Benz-Arena durchschnittlich 48 320 Zuschauer. Schmid sagt: „Und um die Tickets für die Auswärtsspiele gibt es regelmäßig ein Gerangel.“ Es könnte also schlimmer stehen um die Zuneigung zum Traditionsclub, mit dessen Sturz in die Zweitklassigkeit auch Stadt und Land den Abstieg fürchten mussten.

Der Run auf den VfB

Hertha Hohl, Inhaberin des Stadthotels am Wasen, freut sich jedenfalls über unverändert gute Geschäfte. „Jetzt kommen die Fans eben nicht mehr aus Bremen, sondern aus Braunschweig.“ Auch das Hilton Garden Inn im Carl-Benz-Center meldet: „Alles wie gehabt.“ Ähnlich klingt die Bilanz im VfB-Fanshop. Im Handel mit Fanartikeln sei der Umsatz nahezu identisch, versichert Marketingvorstand Jochen Röttgermann, räumt aber ein: „Dieser Trend lässt sich ohne Aufstieg nicht über Jahre konservieren.“

Die Folgen des Abstiegs

Stuttgarts Touristikchef Armin Dellnitz ortet schon erste Auswirkungen der Zweitklassigkeit. In einer Hinsicht allerdings weniger als befürchtet: bei der Wertschöpfung in Stadt und Region. „Das Überraschende und Erfreuliche ist, dass die Fangemeinde ja nach wie vor unheimlich groß ist und zu den Heimspielen kommt. Das schwächt manchen negativen Effekt ab“, sagt Dellnitz. Allerdings sei schon zu spüren, dass das Stadion nicht mehr ganz so voll sei wie zuvor und die Besucher nicht mehr von ganz so weit her kämen. Das wirke sich auf lange Sicht hin vermutlich dann doch auf Hotellerie und Gastronomie aus. Direkt zu spüren ist der Abstiegseffekt schon jetzt im i-Punkt am Hauptbahnhof, der VfB-Fanartikel verkauft. „Da sind die Umsätze zurückgegangen – aber nicht so stark wie ursprünglich angenommen“, sagt Dellnitz.

Eine zweite Folge des sportlichen Niedergangs bereitet ihm größere Sorgen: „Zum Wirtschaftsfaktor vor Ort kommt der Verein als Werbeträger für Stadt und Region. Das lässt sich schlecht bemessen, aber die Marketingtauglichkeit ist nicht mehr dieselbe wie zuvor.“ Es wäre deshalb „ein Schaden“, wenn der Wiederaufstieg nicht schnellstmöglich gelingen sollte. Solche Äußerungen gibt es inzwischen hinter vorgehaltener Hand auch vom einen oder anderen Sponsor des Vereins. Die stehen zwar zum VfB, aber auch bei ihnen bemerkt mancher mittlerweile, dass der Werbewert nachgelassen hat. Und nicht nur der.

50 Millionen Euro weniger

Der Gesamtumsatz des VfB Stuttgart sinkt nach dem Abstieg von 120 auf circa 70 Millionen Euro. Der Etat für die Lizenzspielerabteilung musste reduziert werden – von 45 auf 25 Millionen Euro. Die Betriebskosten, ursprünglich 33 Millionen, liegen jetzt nur bei 22 Millionen. „Das ist eine riesige Leistung“, freut sich VfB-Finanzvorstand Stefan Heim, „wir haben alle unsere Geschäftspartner abgeklappert. Sie waren sehr kooperativ. Sie bekommen ja für die gleiche Leistung 30 Prozent weniger Geld.“ Das Personal auf der Geschäftsstelle muss mit Gehaltseinbußen von rund 20 Prozent leben, was Einsparungen von vier Millionen Euro ergibt. Ein Plus von 15 Millionen Euro aus dem Transfergeschäft stopft vollends das Abstiegsloch in der Vereinskasse.

Positive und wichtige Signale in Sicht

Und zu guter Letzt streckte der VfB seine Verbindlichkeiten aus dem Stadionumbau. Die Stadion KG, eine Tochtergesellschaft von Stadt und Verein, hat die Fixpacht für die Mercedes-Benz-Arena halbiert. Statt jährlich 5,2 Millionen zahlt der VfB derzeit nur 2,6 Millionen Euro. Die umsatzbezogene Pacht dürfte allerdings ein wenig geringer ausfallen als zu Bundesliga-Zeiten. „Bis jetzt hat der Abstieg keine Folgen für den Steuerzahler“, sagt Stefan Heim. Das könnte sich ändern, falls der Status quo zum Dauerzustand werden sollte.

Was Helmut Roleder allerdings für ausgeschlossen hält. Die VfB-Torhüterlegende ist sich sicher: „Alles wird gut.“ Die Fans aus Stadt und Region stünden sensationell hinter dem Club. Trainer Hannes Wolf mache einen guten Eindruck, die Atmosphäre in der Mannschaft und im Umfeld scheine zu stimmen. „Das reicht, um aufzusteigen“, ist Roleder überzeugt.

Uli Derad, Hauptgeschäftsführer des Landessportverbands Baden-Württemberg, erinnert an RB Leipzig in der vergangenen Saison: „Die sind auch nicht einfach so durch die zweite Liga marschiert.“ Der ehemalige Handball-Nationalspieler ortet positive Signale beim VfB: „Zum Beispiel wird die Nachwuchsarbeit wieder forciert.“ Stuttgart brauche einen Fußball-Erstligisten: „Der VfB ist auch nach dem Abstieg noch überall ein Thema. Fußball ist ein Katalysator – auch für andere Sportarten.“

Wichtiges Signal: Positiver Rückrundenstart

Dem würde Matthias Kleinert nicht widersprechen, skeptisch ist er trotzdem. „Erstklassiger Fußball bleibt in der stärksten europäischen Wirtschaftsregion ein weicher und wichtiger Standortfaktor“, sagt der ehemalige Daimler-Sprecher, „aber die Vorrunde vom VfB war nicht das Gelbe vom Ei.“ Vieles werde vom Saisonstart beim FC St. Pauli abhängen. „Wenn wir dort gleich verlieren, wird es problematisch. Stuttgart darf nicht zur Fußballprovinz werden.“

Ein Aspekt, der auch Andreas Richter beschäftigt. „Die mediale Berichterstattung über Stuttgart und den Verein hat natürlich nachgelassen“, notiert der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart. Das könne auf die Dauer am Image der Landeshauptstadt kratzen und die Magnetwirkung der Region bei Touristen und dringend benötigten Fachkräften nachlassen. Richter drückt dem VfB die Daumen: „Ein Wiederaufstieg würde nicht nur den Fans guttun, sondern dem ganzen Ballungsraum.“

Der Fernsehturm-Effekt

Immerhin hat Marketingprofi Armin Dellnitz auch eine gute Botschaft für den Verein: und zwar dann, wenn es doch am Ende der Saison wieder eine Etage nach oben geht. „Dann könnte durch die Aufstiegseuphorie ein Effekt eintreten, der die derzeitige Schwächephase wieder ausgleicht“, glaubt der Geschäftsführer von Stuttgart-Marketing. Aus Sicht der Werber wäre das „eine sehr spannende Situation“, sagt Dellnitz und vergleicht sie mit der Wiedereröffnung des Stuttgarter Fernsehturms: „Da hatten wir eine bittere Schließzeit, aber danach hat ein richtiger Ansturm eingesetzt.“

VfB Stuttgart - 2. Bundesliga

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