Michael Brinktrine (links) und Martin Strohm hadern mit der geringen Abschreckung von Bußgeldern. Foto: Buckenmaier

Unterwegs mit Autobahnpolizisten: Eidgenossen ziehen deutschen Tarif vor und sprechen von "Aldi-Angebot".

Stuttgart - "Sie haben wohl nichts Besseres zu tun". Der Satz gehört zu den Klassikern, die Michael Brinktrine und Martin Strohm regelmäßig zu hören bekommen. An diesem trüben Novembertag wiederholt ihn ein südländischer Autohändler, der partout nicht einsehen will, dass er es mit den Kennzeichenvorschiften nicht allzu genau nimmt. "Reine Schikane", poltert sein Kollege gleichen Namens, der Zeuge des Vorfalls wird: "Ihre Gesetze interessieren mich nicht." Als Brinktrine und Strohm das Zimmer verlassen, klatscht ein Dritter höhnisch Beifall. Alltag zweier Autobahnpolizisten.

Ja, der Ton sei erheblich rauer geworden, sagt Hauptkommissar Brinktrine. Er ist seit 39 Jahren bei der Polizei und bekommt die Auswüchse der Gesellschaft tagtäglich zu spüren. Vorwürfe von kontrollierten Autofahrern wie "Der Staat braucht wohl mal wieder Geld" gehören eher zur harmlosen Sorte. Meistens hat er es in seinem Geschäft mit anständigen Leuten zu tun: "Aber es gibt auch die Rotzfrechen." Eine Körperkamera für die Polizei? Brinktrine wäre der Erste, der sie tragen würde: "Dann würde man die Gespräche zwischen Bürger und Polizei endlich live hören."

Aber eigentlich, meint der Hauptkommissar, habe er einen schönen Job. Während seine Kollegen draußen auf den Revieren nur reagieren können, nachdem etwas passiert ist, kann er agieren, vorbeugen: "Wie ein Jäger." Sein wichtigstes Instrument: ein Sechszylinder-BMW mit einer 30-000 Euro teuren Videoausrüstung, mit der Raser, Drängler und Rechtsüberholer überführt werden können.

"Wieso sollen wir päpstlicher sein als der Papst?"

Das ist die Theorie. In der Praxis ist die Jagd nach schwerwiegenden Verkehrsverstößen weitaus komplizierter. Der weiße Skoda, der vor dem Zivilfahrzeug der beiden Polizisten, mit 85 statt mit den vorgeschriebenen 60 Stundenkilometern auf regennasser Fahrbahn durch die Engstelle auf der A 81 in Richtung Heilbronn brettert, zieht eine graue Gischtwolke hinter sich her, die eine Videoaufnahme so gut wie unmöglich macht. Und die Toleranzen werden im Computersystem ohnedies zugunsten der Betroffenen ausgelegt. Von den 25 Kilometern, die der Skoda-Fahrer zu schnell vor ihnen fährt, ohne dass er weiß, dass die Polizei hinter ihm her ist, bliebe vor Gericht nicht mehr viel übrig. Also lässt man ihn laufen. "Wieso sollen wir päpstlicher sein als der Papst?", fragt Brinktrines Kollege Strohm auf dem Beifahrersitz. Er wird den Satz an diesem Tag nicht zum letzten Mal sagen.

Schon wenige Minuten vorher haben die Beamten beide Augen zugedrückt. Ein silberner Mercedes hatte es auf der Einfädelspur beim Stuttgarter Kreuz Richtung Leonberg eilig und überholte rechts. Das gibt mindestens einen Punkt in Flensburg. Brinktrine tritt aufs Gaspedal, fährt vor den Daimler und aus der Heckablage hebt sich ein schwarzer Kasten: "Polizei – bitte folgen." Am Steuer des Daimlers sitzt ein Serbe, mit deutschen Verkehrsregeln offensichtlich wenig vertraut. Und er fahre auch nur, weil der Besitzerin des Wagens, die im Fonds sitzt, schlecht geworden sei. Die Polizisten haben Verständnis. "Gnade vor Recht", sagt Strohm.

Derweil schiebt sich die lange Schlange von Lkws vornehmlich mit osteuropäischen Kennzeichen an ihnen vorbei. Das ist die neue Klientel, die den Autobahnpolizisten Kopfzerbrechen bereitet. Die wenigsten Fahrer sprechen oder verstehen Deutsch. Wenn sie dann bei einem Verkehrsverstoß erwischt werden, verständigt man sich mit Händen und Füßen. Wenn eine Geldbuße fällig wird, kassieren sie die Beamten sofort ein, bar oder mit mobilem Cash-Gerät. Sollte der Fahrer völlig blank sein, konfiszieren sie Wertsachen wie Handys oder Navigationsgeräte. In Bulgarien oder Rumänien, wo viele Lkw-Fahrer herkommen, wäre es ansonsten schwierig, das Geld einzutreiben.

In der Schweiz ist es dagegen ein Kinderspiel. Wenn eidgenössische Raser auf deutschen Autobahnen erwischt werden, gibt es ein Abkommen, wonach die Geldstrafe übers Heimatland eingezogen werden kann. "Schweizer sind dankbare Kunden", sagt Brinktrine, "die zahlen gleich." Wenn sie nämlich von der heimatlichen Behörde zur Kasse gebeten werden, zahlen sie nach dem Schweizer Bußgeldkatalog. Und darin fallen die Strafen bei Verkehrsverstößen weit drastischer aus. Da zahlen sie doch lieber den deutschen Bußgeldtarif – ein "Aldi-Angebot", wie es Brinktrine sarkastisch nennt: "Bei uns ist es im Vergleich zum Ausland, wo Verstöße ein Vielfaches kosten, immer noch viel zu billig."

Wie zum Beispiel Telefonieren mit dem Handy. 88,50 Euro Buße inklusive Gebühren und ein Punkt in der Verkehrssünderdatei schrecken die wenigsten von dem "Volkssport" (Strohm) ab. Auch die blonde Frau nicht, die mit ihrem Handy am Ohr just in diesem Moment, als die Zivilstreife vorbeifährt, auf die Autobahn einfädelt. Strohm schüttelt nur den Kopf: "Mit der linken Hand telefonieren, mit der rechten das Lenkrad loslassen, um links den Blinker zu bestätigen – das geht gar nicht." Auch sie wird von dem dunklen BMW zu einer sicheren Stelle geleitet. Die Stadtwerke hätten angerufen, versucht sie sich rauszureden. An dem Bußgeld und dem Punkt in Flensburg ändert das freilich nichts.

Mitunter machen die Beamten richtig Kasse

Mitunter machen die Beamten auch richtig Kasse. Wie jüngst bei einem russischen Model, das sie 30 Kilometer lang über die Autobahn verfolgten und daher eine ganze Latte von Verkehrsverstößen nachwiesen. Die Russin dachte, auf Deutschlands Autobahnen darf man so schnell fahren, lächelte sie die Beamten an und zückte für die fälligen 770 Euro Bußgelder, ohne mit der Wimper zu zucken, ihre Master-Card, nachdem sie sich zuvor bei ihrem Liebsten versichert hatte, dass auch genug Geld auf dem Konto sei.

Dieser regnerische Novembertag ist da weniger ergiebig: "Das Wetter lädt nicht zum Rasen ein – Gott sei Dank", sagt Hauptkommissar Brinktrine. Auf eine Verfolgungsjagd über die nassen Autobahnen kann er gerne verzichten. Jeden Tag gesund nach Hause kommen nach bis zu 300 Kilometer langen Fahrten am Tag ist oberstes Gebot.

In diesem Moment fällt der Blick der Beamten auf ein rotes Überführungskennzeichen, das Autohändler ausschließlich zu Überführungs- und Probefahrten nutzen dürfen. Kurz zuvor hatte man unter dem Verdacht eines Kennzeichenmissbrauchs eine silberne Limousine angehalten. Der Händler wollte mit der roten Nummer zu einer Beerdigung fahren. Die Polizisten beorderten ihn zurück.

Mehr Glück hatten drei Russen, die eine Stunde später gestoppt wurden. Sie wollten mit einer roten Nummer zur Zulassungsstelle fahren. Was sie nicht wussten: Nur der Händler oder ein Angestellter darf sich in so einem Fall hinters Steuer setzen. Das Trio durfte weiterfahren, dafür nahmen sich die Polizisten den Händler zur Brust, der sich strafbar macht, wenn er ein firmeneigenes rotes Kennzeichen an Dritte verleiht.

Was folgte, war die eingangs beschriebe verbale Eskalation. "Das wird doch eh eingestellt", lachte der Kollege des beschuldigten Händlers über den Besuch der Polizei. Und wahrscheinlich wird er damit recht behalten. Obgleich der Name des Händlers in Polizeiakten aufgrund ähnlicher Vorfälle schon mehrfach aufgetaucht war, blieb alles ohne Folgen. Das Landratsamt, das eingeschaltet wurde, um die rote Nummer zu entziehen, reagierte nicht. "Die verdienen doch daran", sagt Hauptmeister Strohm. Und die Staatsanwaltschaft sei hoffnungslos überlastet. Also alles für die Katz? Dass die Polizei mitunter für den Papierkorb arbeitet, meint Brinktrine nachdenklich, frustriere mehr als der aggressive Ton: "Ein dickes Fell muss man sich zwangsläufig zulegen, sonst wird man nicht alt in dem Geschäft."

Aber Brinktrine, Strohm und die anderen Kollegen der Verkehrsüberwachung Ludwigsburg glauben an ihre Aufgabe. "Steter Tropfen höhlt den Stein", sagt Strohm. Auch wenn sie in ihrem riesigen Autobahnrevier, das von Wendlingen bis Heimsheim und Rottenburg bis Mundelsheim reicht, nicht mehr als Nadelstiche setzen können.