City-Manager Pfeifer geht in Stuttgart von einer drastischen Umverteilung innerhalb der Stadt aus: „Dies wird zwar nicht die Königstraße, sehr wohl aber die Geschäfte in den Randlagen betreffen.“ Foto: Peter-Michael Petsch

Schon jetzt liegt Stuttgart in der deutschen Verkaufsflächen-Rangliste ganz weit vorn. Bis zum Jahr 2016 sollen weitere 90.000 m² dazukommen. Gleichzeitig dürfte die Kaufkraft nicht wachsen. City-Manager Pfeifer fürchtet einen harten Verdrängungswettbewerb.

Stuttgart - Fast jeder dritte Einzelhändler klagte zuletzt über zu große Lagerbestände. „Das Weihnachtsgeschäft war enttäuschend“, resümiert die L-Bank in ihrem Marktbericht. „Die meisten Einzelhändler geben an, dass der Umsatz im Dezember niedriger ausgefallen ist als im Vorjahr.“ Als Gründe werden die Folgen der Finanzkrise sowie der wachsende Internethandel genannt. „Durch den Online-Handel, der derzeit 15 Prozent des Umsatzes ausmacht und bis 2020 auf 20 Prozent steigt, wird der Markt noch enger“, sagt Jürgen Track von der Immobilienfirma Colliers, „der reale Einzelhandelsumsatz – inflationsbereinigt – ist in Deutschland seit mehr als zehn Jahren tendenziell rückläufig.“ Ebenso wie die Passantenströme. Colliers beziffert den durchschnittlichen Rückgang in der Stadt mit zehn Prozent im Jahr 2012. Allein auf der Königstraße wurden vergangenes Jahr pro Stunde 12.400 Passanten gezählt.

So weit die Bestandsaufnahme. Doch der Blick in die Zukunft löst bei manchen Einzelhändlern noch größere Sorgen aus als die Gegenwart. Denn seit dem Jahr 2000 wächst die Fläche des Einzelhandels pro Einwohner in der Stadt kontinuierlich an. Derzeit liegt die Kenngröße nach Angaben der City-Initiative Stuttgart (Cis) bei 1,5 m² pro Einwohner. Andere Rechnungen kommen gar auf 1,8 m². Aber ganz gleich welche Zahl man auch nimmt. „Stuttgart liegt im Bundesvergleich ganz weit oben“, bestätigt Citymanager Hans H. Pfeifer.

Und wenn das Gerber-Center (2015), das Milaneo (2014) und das Dorotheenquartier (2016) bei Breuninger fertiggestellt sind, wächst die Fläche um weitere 80.000 m². Die Experten von Colliers gehen sogar davon aus, dass weitere 10.000 m² durch kleinere Projekte zusätzlich dazukommen. Damit hätte Stuttgart im Jahr 2016 eine Gesamtverkaufsfläche von 1.001.000 m².

„Es wird eine harte Verdrängung im Handel in Stuttgart und darüber hinaus stattfinden“

Kritiker meinen, damit ist die Stadt völlig überversorgt. Selbst wenn man bei dieser Rechnung die Kaufkraft der 5,3 Millionen Menschen in der Metropolregion Stuttgart berücksichtigt. Auch wenn man die starke Kaufkraft (durchschnittlich 5867 Euro pro Einwohner) der Stuttgarter ins Feld führe, für manche Einzelhändler – insbesondere in den Nebenlagen – werde es kritisch. Wenn nicht sogar existenzgefährdend.

„Es wird eine harte Verdrängung im Handel in Stuttgart und darüber hinaus stattfinden“, sagt Hans H. Pfeifer. Den Prognosen, dass das Milaneo 70 Prozent Kaufkraft von außen, also dem Umland, anziehen werde, kann der Citymanager nicht folgen. Er geht von einer drastischen Umverteilung innerhalb der Stadt aus: „Dies wird zwar nicht die Königstraße, sehr wohl aber die Geschäfte in den Randlagen betreffen.“

Wirtschaftsförderin Ines Aufrecht geht sogar noch weiter. „Es ist auch ein gewisser Abzug an Kaufkraft aus den Stadtbezirken zu erwarten, auch da könnte es die Existenz einzelner Händler betreffen. Aber genau dagegen kämpfen wir als Wirtschaftsförderer im Rahmen unseres Stadtteilmanagements.“

Handel ist Wandel

Das ist die eine Sicht der Dinge. Die andere spekuliert dagegen mit dem Scheitern der beiden Einkaufscenter Gerber (Ecke Marien-, Sophienstraße/Paulinenbrücke) und Milaneo (Ecke Wolfram und Heilbronner Straße hinterm Stuttgarter Hauptbahnhof). Einer dieser Skeptiker ist Gerhard Sauter, lange Jahre Topmanager bei Hertie und Karstadt in Stuttgart. „Wo nehmen die Leute die Zuversicht her, dass das Gerber und das Milaneo erfolgreich sein werden?“, fragt er. „Wo soll der Umsatz für diese massive Flächenerweiterung denn herkommen?“ Sauter glaubt, dass sich die Händler in der kompakten I-a-Lage gegen die beiden Einkaufscenter durchsetzen werden.

Selbst Filialisten, die sich im Milaneo einmieten, sind nicht frei von Zweifel. Helmut Baur, der Chef von Binder-Optik, sagt: „Man ist als tüchtiger Geschäftsmann verpflichtet, dort mitzumachen, auch wenn man nicht zu hundert Prozent vom Erfolg des Centers überzeugt ist. Noch schlimmer wäre es, wenn das Center boomen würde und man nicht dabei ist.“ Denn alle wissen: Hinter dem Milaneo steckt die Marktmacht des Konzerns ECE, der in Europa 185 Einkaufscenter betreibt. Gegen die Dominanz müsse sich der klassische Stuttgarter Handel wappnen, rät Pfeifer schon seit langer Zeit: „ECE wird dann das Milaneo, den Königsbau und die beiden Breuningerländer verwalten. Diese gigantische Marketingmacht, die bei jährlich 1,5 Millionen Euro für Werbemittel liegen dürfte, wird in Stuttgart viel bewirken.“ Ebenjene gravierenden Veränderungen im Stuttgarter Einzelhandel. Nie wird dann der alte Kaufmannspruch wohl so sehr den Kern treffen wie ab dem Jahr 2015: Handel ist Wandel.