Ein Rechtsextremist auf einer Demonstration in Mannheim Anfang des Monats Foto: dpa

Gefahren für die Demokratie lauern laut Verfassungsschutz in vielen Bereichen des Lebens.

Stuttgart - Stuttgart - Rechtsextremisten und Islamisten fordern Reinhold Gall besonders heraus. Der Innenminister sieht „im politischen Extremismus eine latente Gefahr“ für Baden-Württemberg. Deshalb legt der Sozialdemokrat in diesem Jahr den Schwerpunkt der Arbeit des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) auf diesen Bereich. Gemeinsam mit LfV-Präsidentin Beate Bube hat Gall den Bericht seiner Behörde für das vergangene Jahr am Freitag in Stuttgart vorgestellt. Auf 269 Seiten beschäftigen sich die Verfassungsschützer des Landes mit Rechts- und Linksextremismus, Islamismus, den Scientologen sowie Wirtschaftsspionage.

Für CDU-Innenexperte Bernd Hitzler macht der neue Bericht deutlich, „dass von islamistischen Bestrebungen große Gefahren für unseren Staat und seine Bürger ausgehen“. Er fordert daher mehr Befugnisse für die Verfassungsschützer gerade dort, wo Auskünfte bei nichtöffentlichen Stellen eingeholt werden müssen.

Rechtsextremismus

„Aufgerüttelt“ haben den Innenminister die Morde der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Die Sicherheitsbehörden gingen hier von „einer erhöhten Gefährdungslage durch gewaltbereite Rechtsextremisten“ aus. Zwar sei ihre Zahl im vergangenen Jahr um 200 auf etwa 2000 (bundesweit etwa 25 000) gesunken. Allerdings verzeichnete LfV-Chefin Bube einen Anstieg bei rechtsextremistisch motivierten Straftaten um 71 auf 988 Fälle.

Auch die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer ist um 20 Personen leicht auf 690 (bundesweit etwa 9500) angestiegen. „Gewalt gehört zu den wesentlichen Merkmalen des Rechtsextremismus“, heißt es in dem Bericht.

Besonders besorgniserregend seien zwei Entwicklungen. So nutze eine sich Die Unsterblichen nennende Gruppe Faschings- und Festumzüge, um sich diesen kurzfristig anzuschließen. Die bei dieser Gelegenheit mit weißen Masken und Handschuhen sowie schwarzer Kleidung maskierten Rechten gliederten sich kurzfristig in diesem Jahr in Konstanz und Donaueschingen in Umzüge ein, um ihre Transparente zu zeigen. Nach wenigen Minuten „lösen die sich ebenso schnell wieder auf und verschwinden“, sagte Bube.

Islamismus

Etwa 500 Salafisten (bundesweit etwa 4000) hat der Verfassungsschutz im Land festgestellt. Ein Potenzial, in dem Gall „eine erhebliche Gefährdung“ sieht. Die Gruppe gewinnt rasant neue Anhänger. So geht der Islamismusforscher Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik inzwischen von 10 000 Salafisten in Deutschland aus. Baden-Württemberg ist nach seiner Bewertung auch mit den veränderten Zahlen „einer der Brennpunkte“ der Szene.

Problematisch ist für die Ermittler, dass Salafisten kaum in Gruppen oder Moscheevereinen organisiert sind. Das macht ihre Beobachtung so schwierig. So war die Polizei in Bonn am vergangenen Wochenende offenbar vollkommen überrascht, dass binnen weniger Stunden 600 zum Teil gewaltbereiter Salafisten in die Bundesstadt reisten, um gegen einen Aufmarsch von 29 Rechtsextremisten zu protestieren.

Gall wies nachdrücklich auf die islamistische Radikalisierung junger Menschen mit Hilfe des Internets hin. Der Prozess laufe oft unbemerkt von der Umwelt ab. So wird in einer jüngst erschienenen Ausgabe eines dschihadistischen Internetmagazins gezeigt, wie Fernzünder für Bomben mit einfachen Mitteln zu bauen sind. Gall warnte: „Den Salafisten messen wir ein besonderes Maß an Problematiken bei.“

Scientology

In Baden-Württemberg haben die Verfassungsschützer „einen ihrer Schwerpunkte und das dichteste Netzwerk“ für Scientologen festgestellt. Die Zahl der Mitglieder stagniert zwischen 900 und 1000 (bundesweit 4000 und 5000). Vor allem in Stuttgart, Ulm, Karlsruhe, Göppingen und Kirchheim unter Teck haben die Ermittler Filialen der Organisation ausgemacht. Besonders problematisch sei eine Nachhilfeschule der Organisation in Bad Cannstatt. In dem „Professionellen Lerncenter“ sehen die Verfassungsschützer ein „Einfallstor in den Bildungsbereich“. Mit ihm solle bei Kindern und Eltern Interesse für weitere Scientology-Angebote geweckt werden.

Auch mit dem Drogenentzugsprogramm „Narconon“ der Organisation haben die Verfassungsschützer ein Problem. In ihm sehen sie ein „Täuschungsmanöver“. Die von Scientology vorgegebene Erfolgsquote von 80 Prozent würden sowohl von deutschen als auch von internationalen Forschern als unseriös zurückgewiesen. In Stuttgart hat sich nach Beobachtung des LfV die Ortsgruppe „Sag nein zu Drogen – sag ja zum Leben“ im vergangenen Jahr reaktiviert.

Wirtschaftsspionage

Baden-Württemberg sei mit seiner „höchst innovativen Industrie und seiner vielfältigen Forschungs- und Hochschullandschaft“ ein Mittelpunkt für Spionage. Besonders China und Russland wirft der LfV vor, „Know-how-Erlangung zum Nulltarif“ zu betreiben. Die Fernöstler setzten dabei auf chinesischstämmige Praktikanten, die über „interessante Zugangsmöglichkeiten in hiesige Unternehmen oder Hochschulen“ verfügen.

Besonders warnen die Verfassungsschützer vor den Gefahren aus dem Internet. Deutsche Regierungsnetzwerke wurden im vergangenen Jahr täglich vier- bis fünfmal angegriffen, bei manchen Unternehmen sind es deutlich mehr Versuche, sich in die Firmennetzwerke einzuwählen. Im neuen Verfassungsschutzbericht werden vor allem China und Russland für die Internetattacken verantwortlich gemacht. Für ihre Offensiven nutzen die Hacker dabei unverfänglich erscheinende E-Mails, denen sogenannte Trojaner beigefügt sind. Über diese Spionagesoftware verschaffen sich die Agenten den unbefugten Zugriff auf Firmennetzwerke. Sie würden dann entweder ausspioniert oder aber gestört.

Beratung

Für Betriebe bietet das LfV eine besondere Beratung an. Einzelheiten können Unternehmen auch auf der Website www.sicherheitsforum-bw.de nachlesen.