„Die Grundidee hatten wir bei einem Bier“, erinnert sich Professor Folkard Asch vom Fachgebiet Wasserstress-Management bei Kulturpflanzen in den Tropen und Subtropen. Foto: Leif Piechowski

Ernte unterm Himmel. Beim Skyfarming könnte schon bald in hundertstöckigen Häusern Reis wachsen.

Stuttgart - Der höchste Fernsehturm der Welt, der Sky Tree in Tokio, misst 634 Meter. Wenn die Visionen von Professoren der Universität Hohenheim Realität werden, könnte der Turm in Zukunft von vielen 500-Meter-Hochhäusern umringt sein. In ihnen soll niemand wohnen, sondern auf etwa hundert Etagen Reis wachsen.

Wenn auf der Erde das Ackerland knapp wird, dann könnte man doch Anbauflächen in Hochhäusern mit einhundert Stockwerken gewinnen. Was wie eine Schnapsidee klingt, entstand an einem Wirtshaustisch. „Die Grundidee hatten wir bei einem Bier“, erinnert sich Professor Folkard Asch vom Fachgebiet Wasserstress-Management bei Kulturpflanzen in den Tropen und Subtropen an einen gemütlichen Abend mit seinem Kollegen Professor Joachim Sauerborn, der an der Universität Hohenheim das Fachgebiet Agrarökologie der Tropen und Subtropen vertritt.

„Die Zeit war noch nicht reif“

Seit dreieinhalb Jahren tüfteln die Professoren mit ein paar Diplomanden an einem Projekt, das sich wie einst der Turmbau zu Babel den Himmel zum Ziel gesetzt hat. Es geht um Skyfarming, um Ackerbau in Hochhäusern, konkret um den hocheffizienten Reisanbau unter optimalen Bedingungen in einem durchtechnisierten Hochhaus.

Doch bis große Ideen in den Himmel wachsen, wartet auf sie die Mühsal der Ebene. Zwei Förderanträge der Professoren, bei denen es um zweistellige Millionenbeträge ging, wurden ablehnend beschieden. „Die Zeit war noch nicht reif“, sagt Folkard Asch.

Die Weltbevölkerung wächst

Die Zeit wird knapp. Weil die Weltbevölkerung wächst und Ackerfläche durch Bodenversiegelung abnimmt, muss gehandelt werden, um die Nahrungsmittelversorgung der Menschen zu sichern.

Allein beim Reis, der etwa 20 Prozent des globalen Kalorienbedarfs deckt, muss bis zum Jahr 2035 die jährliche Erntemenge um 116 Millionen Tonnen steigen. Das entspricht bei einer Erntemenge von acht Tonnen pro Hektar einer Fläche von 145 000 Quadratkilometern.

Während die großen Nahrungsmittelkonzerne in Indien und China das Versorgungsproblem dadurch lösen wollen, dass sie für Milliardensummen Anbaurechte in Afrika erwerben, um von dort Nahrungsmittel nach Asien zu exportieren, schlagen die Hohenheimer Professoren einen anderen Weg vor. Die Nahrungsmittel – in diesem Fall Reis – sollen dort erzeugt werden, wo sie verbraucht werden: Direkt in den 26 Megacitys der Welt, von denen 15 in Asien liegen.

Allein Tokio verbraucht 5000 Tonnen Reis am Tag

Als Beispiel nennt Asch das Ballungszentrum Tokio. Die 35 Millionen Menschen verbrauchen dort täglich über 5000 Tonnen Reis. Das entspricht der Ladung von 130 schweren Lkw. Die für die Erzeugung benötigte Ackerfläche, die größer ist als Tokio selbst, wird in den kommenden Jahren durch Bodenversiegelung abnehmen.

Aufgefangen werden könnte dieser Flächenschwund durch Skyfarming, durch die Schaffung von Anbauflächen in Hochhäusern. Asch zählt eine ganze Reihe von Vorteilen des Reisanbaus mitten in den Großstädten auf. Unter kontrollierten Bedingungen im Hochhaus seien die Pflanzen vor Frost, Dürre, Starkregen und Schädlingsbefall geschützt. Durch eine Produktion in einem geschlossenen System würde sich auch der Einsatz von Düngemitteln und der Ausstoß des Treibhausgases Methan dramatisch verringern. Ähnliches gelte für den Wasserverbrauch. Asch rechnet damit, dass im Hochhaus für die Erzeugung von einem Kilo Reis nur noch 20 bis 35 Liter Wasser verbraucht werden. Auf normalen Feldern sind es bis zu 2000 Liter. Auch der Ernteertrag werde steigen, erwartet der Hohenheimer Forscher. „Ein Hektar Skyfarming entspricht zehn bis 40 Hektar im herkömmlichen Reisbau.

Diese Zahlen klingen gut, haben aber einen Haken: Sie haben mit der Realität heute nichts zu tun. „Das alles ist Zukunftsmusik“, sagt Asch. Der Forscher spricht im Zusammenhang von Skyfarming von einer Herausforderung, die er mit dem Flug zum Mond vergleicht. So gibt es bisher weder Geldgeber für den Bau der Hochhäuser noch die Technologien, um die erhofften Erträge einzufahren. Dafür aber gibt es viele offene Fragen. Mit welchen Lampen und welchen Wellenlängen sollen die Pflanzen bestrahlt werden? Reicht die Energiegewinnung aus Wind und aus den Pflanzenresten aus, die Hochhäuser energieneutral zu betreiben?

Bisher gibt es das Reis-Hochhaus nur als Modell

Bisher kommt das Skyfarming-Projekt nur in klitzekleinen Schritten voran. In ihrer Diplomarbeit an der Uni Stuttgart hat die Architektin Gundula Schieber ein Hochhaus entworfen und ein Modell im Maßstab 1:333 gebaut. In Hohenheim experimentiert der Diplomand Marc Schmierer mit einigen der knapp 80.000 bekannten Reissorten. In einer Experimentierkammer versorgt und düngt er die Pflänzchen ausschließlich mit einem Nährstoffnebel.

Aber sonst fehlen noch viele Dinge. Beispielsweise zwölf bis 15 Millionen Euro für ein dreistöckiges und voll funktionsfähiges Demonstrationsmodell, sagt Asch. Sozusagen Skyfarming im Flachbau.

Das Hochhausmodell, die Nebelkammer und die ganze Hohenheimer Projektidee reisen vom 1. Juni bis 15. Oktober mit vielen anderen Projekten zum Thema „Zukunftsprojekt Erde“ auf einem Binnenschiff durch Deutschland und machen in etwa 30 Städten Station. In Stuttgart aber geht die „MS Wissenschaft 2012“ nicht vor Anker.