Putins Rhetorik verfängt bei vielen Russen. Foto: dpa/Alexei Nikolsky

Das russische Staatsfernsehen berichtet über eine „gerechtfertigte Operation“ in der Ukraine. In Moskau finden diese Worte viel Zustimmung.

Moskau - In Russlands Hauptstadt geht das Leben seinen Gang: Mütter sind auf dem Weg zum Kindergarten, die Straßen sind verstopft, Skater drehen ihre Runden auf dem Manegeplatz vor dem Kreml. Über der Eisfläche am Roten Platz erklingen sowjetische Schnulzen. Die Menschen schlendern über das Pflaster. Die Karussells drehen sich.

Maxim Popow zieht an seiner Zigarette. „Das, was in der Ukraine passiert, war zu erwarten“, sagt der 19-Jährige. „Wenn unsere Regierung sagt, dass etwas nicht passiert, geschieht genau das auf jeden Fall. War schon immer so.“ Der Krieg? „Nicht überraschend. Ein Schritt, der nötig ist.“ Popow, der Ex-Student, erklärt, warum: „Selenskyjs Staat neigt dem Terrorismus zu, gerichtet gegen die russischsprachige Bevölkerung in seinem Land.“ Sätze, die auch Russlands Präsident Wladimir Putin bei seinen Auftritten von sich gibt. „Irgendwo bewundere ich Putin auch für seine Ehrlichkeit“, bekennt Maxim Popow. Ein Mitglied des russischen Föderationsrates kündigt im TV-Kanal Rossija-24 an, Russland werde „in aller Ruhe“ die Ukraine entnazifizieren. Die Begriffe „Entmilitarisierung und Entnazifizierung“ sind in den Wortschatz der Russen bereits eingegangen.

Krieg? Welcher Krieg?

„Beängstigend, was da passiert, es sieht so aus, als führe die Ukraine Krieg“, sagt Olga Putschkowa am Grab des Unbekannten Soldaten. „Wir werden alle leiden. Auch unsere kleine Tochter. Und warum? Weil Selenskyj angefangen hat, die Ukrainer gegeneinander aufzubringen.“ Wer gut und wer böse ist, verstehe sie längst nicht mehr, sagt die 42-Jährige. „Aber ich“, mischt sich ihre Freundin Olga Silantjewa ins Gespräch ein. „Amerika ist an allem schuld. Die wollen uns kaputt machen. Wir müssen sie aus Kiew vertreiben, deshalb schießen unsere Truppen.“

Es entsteht der Eindruck, das Leben in Moskau spiele sich in einer Parallelwelt ab. „Krieg? Welcher Krieg denn?“, fragt ein Wachmann und zuckt mit den Schultern. Ein älterer Mann schreit: „Ein Bürgerkrieg herrscht in der Ukraine! Russland hat damit nichts zu tun!“ Der Chefredakteur des unabhängigen Online-TV-Senders Doschd (Regen) kann in seiner Livesendung kaum die Tränen zurückhalten. „Wir müssen mit unserer Arbeit weitermachen, es ist wohl das einzig Vernünftige“, schreibt er später. Die russische Schauspielerin Lia Achedschakowa spricht von einem „Meer an Lügen und schmutzigen Tricks“ des Kremls.

„Nur weg aus diesem Land““

Die meisten Menschen im Land hören solche Worte nicht. Marat Chamassow hat vom Angriff Moskaus auf die Ukraine nichts mitbekommen. „Ich schaue keine Nachrichten.“ Der 39-Jährige ist mit seiner Frau aus Tatarstan gekommen – ein Abschied. Bald soll es für die sechsköpfige Familie nach Polen gehen. „Weg aus diesem Land, das wir längst nicht mehr verstehen.“