Parkour: Der Freudenstädter Andy Haug über Parkour, und warum Freerunning noch mehr bockt. Mit Video
"Goaldigger" steht in großen schwarzen Buchstaben auf Andy Haugs grauem Hoodie, als er durch die Türe der Redaktion gelaufen kommt. Ein englisches Wortspiel: Die Anlehnung an den "gold digger", den Goldgräber, ist offensichtlich. Andy Haug aber gräbt nicht nach Gold – er gräbt nach Zielen.
Ein kurzes Lächeln huscht über Andy Haugs Gesicht. Dann erzählt er, wie er vor 14 Jahren mit seiner Sportart, Parkour, begonnen hat. Mit Matratzen im heimischen Garten und dem Ansporn, seine Freunde "ein bisschen zu beeindrucken". Mittlerweile, 14 Jahre später, ist der 28-jährige Freudenstädter eine Instanz in der deutschen Parkour-Szene. Privilegiert fühlt er sich, die Entwicklung der Sportart miterleben zu dürfen – und dabei scheint er beinahe zu vergessen, dass sein Sport auch ihm vieles zu verdanken hat.
Wie Andy Haug sich im "Augen auf"-Interview geschlagen hat? Die Antwort gibt es im Video:
Zwei Lager
Alltag ist für den 28-Jährigen derzeit vielmehr sein Leben in Stuttgart. Und auch das hat sich in den vergangenen Monaten gewandelt. Genauer gesagt seit der Weltturnverband FIG Parkour im vergangenen Jahr in sein Portfolio aufgenommen hat. Ein Schritt, der in der Szene nicht überall gut angekommen ist. "Es ist wie in vielen anderen Sportarten auch", erklärt Haug: "Es gibt zwei Lager." Die einen, fährt er fort, hätten die Eingliederung in den Weltturnverband unterstützt – "so wie ich", sagt Haug. Andere aber hätten sich gesträubt und sträubten sich noch. Vermutlich aus Angst, die Sportart könnte ihre Leichtigkeit verlieren.
Verletzungsrisiko präsent
So oder so gehört Andy Haug nicht zu denjenigen in der Szene, die alles aufs Spiel setzen. "Ich glaube durch meinen Stil nicht so risikobehaftet zu sein", erklärt er. "Da machen andere viel abgefahrenere Sachen. Man muss sich einfach fragen, ob man eine kurze Sternschnuppe sein will, oder den Sport lange und möglichst gesund ausüben möchte." Und trotzdem ist das Verletzungsrisiko immer präsent. Auch Andy Haug hatte es Anfang des Jahres, in der Endphase der Vorbereitung auf die neue Saison, erwischt: Eine Bänderverletzung setzte ihn für einige Wochen außer Gefecht. "Das war extrem blöd, weil ich dadurch viel Zeit verloren habe. Klar konnte ich trotzdem Krafttraining machen, aber die Routine fehlt – und bei zu viel Krafttraining oder Mountainbiken, was ich gerne mache, geht die Spritzigkeit verloren. Deshalb darf man das auch nicht übertreiben."
Schlossplatz im Fokus
Sein Hauptaugenmerk liegt in diesem Jahr sowieso nicht auf der Weltcup-Saison, sondern vielmehr auf einem einzigen Event: dem City-Event am Stuttgarter Schlossplatz, das im Rahmen der Turn-WM im Oktober stattfinden wird – und in dessen Organisation Andy Haug stark involviert ist. Er nutzt die Chance, die sich dank der Eingliederung in den Turnverband ergeben hat und arbeitet derzeit intensiv mit dem Schwäbischen Turnerbund (STB) zusammen.
Für diesen, das bestätigt Jörg Hoppenkamps, Geschäftsführer der Turn-WM Stuttgart 2019, ist Haugs Unterstützung Gold wert: "Andy Haug ist ein absolut sympathisches Gesicht als Parkourer und Freerunner – er steht für das, was uns verbindet. Wir kommunizieren gemeinsam, produzieren attraktiven Content und haben ein gemeinsames Ziel: möglichst viele Kinder und Jugendliche begeistern." Dass sich durch die Zusammenarbeit Synergien bilden, liegt auf der Hand: "Natürlich können wir auch gegenseitig voneinander lernen", betont Hoppenkamps. "Wie tickt die Szene? Was braucht es aber auch an Struktur, um einen solchen Sport zu entwickeln und zu fördern?"
Mit Trends beschäftigen
Mit diesen Fragen wird sich sowohl der Weltturnverband als auch der Schwäbische Turnerbund in den kommenden Jahren intensiv auseinandersetzen. "Natürlich steckt das derzeit noch in den Kinderschuhen", betont Andy Haug, "aber der Turnerbund ist da extrem hinterher." Beispielsweise können inzwischen Trainerscheine erworben werden: "Wir haben passend zur Turn-WM im Sinne der Nachhaltigkeit eine Projektgruppe aus Parkourläufern aufgebaut", erklärt STB-Präsident Wolfgang Drexler. "Diese betreuen und entwickeln die von uns aktuell gestarteten Bildungsangebote Trainer-C-Parkour sowie noch folgende Fortbildungsangebote." Es sei wichtig, "sich immer mit den aktuellen Trends wie zum Beispiel Parkour zu beschäftigen", sagt Drexler weiter. "Parkour ist eine hochattraktive Bewegungsform, die speziell junge Menschen begeistern kann. Deshalb empfehlen wir unseren Vereinen, Parkour in ihr Portfolio aufzunehmen. Bei der Umsetzung stehen wir als Dachverband gerne beratend und strukturfördernd zur Verfügung." Man entwickle gemeinsam mit Partnern neue Geräte, um den Parkour in den Vereinen und Turnhallen zu verbreiten. "Zudem ist Parkour ein Baustein in unserem fünf Stationen umfassenden Modul Schule turnt, mit dem wir bis zum Sommer an zehn Schulen touren."
Andy Haug ist bescheiden, das manifestiert sich immer wieder. Nicht zuletzt daran, das offenbart Jörg Hoppenkamps, dass er nicht einmal verrät, von höchster Stelle zum Weltcup nach Montpellier eingeladen worden zu sein: "Es ist besonders erfreulich für uns, dass die Maßnahmen auch außerhalb unserer Grenzen wahrgenommen werden. Morinari Watanabe, der Präsident des Turn-Weltverbands FIG, hat Andy Haug persönlich zum FIG Parkour-Weltcup nach Montpellier eingeladen", sagt er.
Aus dem 14-Jährigen mit den Matratzen im Garten, das wird schnell offensichtlich, wenn man sich mit Andy Haug unterhält, ist ein gestandener Weltcup-Athlet geworden, der sich selbst einer größeren Sache unterstellt: der Weiterentwicklung dessen, was er liebt – sein Sport, Parkour.